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bella5

Posted on 10.2.2020

Kein schlechtes Debut, aber nichts wirklich Neues Julia „Turtle“ Alvestons Leben ist geprägt von Männern. Seit dem frühen Tod ihrer Mutter lebt sie mit ihrem Vater abgeschieden in den Wäldern Kaliforniens, und es gibt noch einen Großvater. Julia weiß nicht so richtig, wie man sich in Gesellschaft verhält, dafür ist sie für das Leben in der Natur aber bestens gerüstet, sie kann mit Messern und anderem Gerät hantieren, da ihr Vater Martin ein Waffennarr ist, wie er im Buche steht. Martin vergöttert sein „Liebchen“, er missbraucht das Kind emotional und physisch. Julia schwankt zwischen Abhängigkeit und Auflehnung, ihr Großvater schafft es nicht, dem Treiben ein Ende zu bereiten, in der Schule verschließen die Angestellten lieber die Augen. Als Julia Jacob kennenlernt, ahnt sie, dass es noch ein anderes Leben als ihr hartes Dasein geben muss. Ihre Versuche, sich von Martin zu lösen, führen dazu, dass plötzlich ein anderes Mädchen leiden muss. Julia muss sich entscheiden… „Mein Ein und Alles“ wird keinen Leser kalt lassen, die Mißbrauchsthematik im Roman wird durch die vulgäre Sprache unterstrichen. Die Protagonistin ist völlig verroht und gleichzeitig empfindsam, es fallen Sätze wie „Scheiß auf die Scheißnutte“. Wenn man das Ganze vom literaturgeschichtlichen Standpunkt aus betrachtet, bietet der Autor ehrlich gesagt nicht viel Neues. Coming of Age, die Natur als Sehnsuchtsort und Refugium, als Gegenentwurf zu einer technisierten Welt, Emanzipation einer Figur unter widrigen Umständen. In der angloamerikanischen Literatur hat das Natur – Topos eine lange Tradition, der Autor bedient sich und pervertiert das Ganze in gewisser Weise. Das gottesfürchtig - bigotte Monster Martin lamentiert nicht von Ungefähr über die sterbende Natur, über die „Scheißwelt“, in welche man eigentlich keine Kinder setzen könne und vergißt dabei zu erwähnen, dass er selbst die größte Gefahr für seinen „Krümel“ ist. Vieles im Roman war mir zu vordergründig, den verwahrlosten, monströsen Waffennarr, der in seiner eigenen Parallelwelt lebt, gibt es sicher in den USA, trotzdem war die Figurenzeichnung hier für mich zu nah am Klischee, fehlte nur noch, dass der Roman in Kentucky oder Tennessee spielt. Überhaupt ist diese Thematik in Film und Literatur in ähnlicher Weise einfach schon oft bearbeitet worden. Man denke an die Serie „True Detective“ oder an den Roman „Winter’s Bone“ von Daniel Woodrell, den ich persönlich für sehr viel besser halte als Tallents Erstling. „Mein Ein und Alles“ ist auch ein Roman über Misogynie. Es ist wichtig, dieses Thema anzusprechen, ich habe mich aber nicht wohl dabei gefühlt, dass ein Mann den Missbrauch eines Mädchens beschreibt. Der Roman ist so packend wie abstoßend und trotzdem nicht tiefgründig genug. Eins ist jedoch sicher: Dieses Debut wird dem Autor Gabriel Tallent viel Aufmerksamkeit bescheren.

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