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Buchdoktor

Posted on 17.3.2023

Als Lennart durch eine kryptische SMS von der Beerdigung seines Jugendfreundes Max im pfälzischen Ottersweiler erfährt, bucht er kurzentschlossen einen Flug nach Deutschland und sagt seinen beruflichen Termin in den USA ab. Lennart hatte mit Max und Josefine/Joe seine Sommer im Freibad des Ortes verbracht und war schon als Jugendlicher ein besessener Porträtfotograf. Damals von den Freunden als Paparazzo bespöttelt, sind seine Porträts inzwischen preisgekrönt, aber nicht unumstritten. Auf Dauer zu dritt „allerbeste Freunde“ zu bleiben, zeigte sich jedoch komplizierter als erträumt, als sich körperliche und geistige Anziehung nicht mehr trennen ließen. Lennarts Beziehung zu Max war spätestens beendet, als der ihn in Kalifornien besuchte und sich „alles größer vorgestellt hatte“. Lennart hatte auch das Freibad seiner Jugend größer in Erinnerung, findet es typisch deutsch und scheint aus seinem Heimatort herausgewachsen zu sein. Heute wird er im Ort als Fremder wahrgenommen, sobald er seinen ersten - hochdeutschen - Satz formuliert. Andeutungen über Schwimmmeister Kiontke geben noch nicht preis, auf welches Ereignis der Vergangenheit die Handlung zusteuert. Die handelnden Figuren sind in den 80ern geboren, das zentrale Geheimnis, auf das Arno Franks Leser:innen lange warten müssen, geschah circa 1995. Franks Figuren verbinden alltägliche Beziehungen, zwischen Eltern und Kindern, Geschwistern, Liebenden, Schülern und Lehrerin, Angestellten und Chef, Dagebliebenen und Fortgegangenen. Wer dageblieben ist, mag keine Veränderungen, das zeitlose Freibad symbolisiert diese Haltung. Renate war als Jugendliche in der Psychiatrie und arbeitet heute an der Kasse des Freibads; ein Arbeitsplatz, der durch einen Automaten ersetzt werden könnte. Nun steht Max’ Beerdigung bevor – und seine Frau Josefine/Joe ist noch unentschlossen, ob sie daran teilnehmen will. Als hochinteressante Figur habe ich Isobel Trautmann erlebt, bei der die Beteiligten Latein hatten. Mit weit über 80 Jahren schwimmt sie jeden Tag. Wenn sie gelegentlich den Faden ihres Lebens verliert, gerät sie in phantastische Szenarien, kann die Realität zusammenfalten und wird darin z. B. zur Liliputanerin. Ihr Mann entwarf das Schwimmbad um einen Baum-Veteranen herum, und die Leute aus Ottersweiler scheinen bis heute damit hochzufrieden zu sein. Ein normales Bad, in dem Kiontke die beweglichen Teile schmiert, alles gern adrett hat und nachts von seinen Dämonen eingeholt wird. Als Fan von Schwimmbad-Romanen wäre ich in die Handlung gern flott eingetaucht, doch die Figuren ließen ihre Masken leider erst nach einem Viertel des Romans fallen. Ihre Insider-Gespräche wirkten anfangs auf mich floskelhaft; man kennt sich, jeder weiß, wer mit wem liiert war und erinnert sich an das für den Ort traumatische Ereignis – und was ist mit den Leser:innen? Ein komplexer stimmungsvoller Roman, der sehr glaubwürdige Figuren der 80er Generation noch einmal im Freibad ihrer Jugend aufeinander treffen lässt, aber mich als Leserin m. A. zu lange im Unklaren ließ, wer warum welches Problem mit den anderen hatte.

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