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Yvonne Franke

Posted on 16.2.2023

Quentin Tarantino ist mal wieder ein sehr seltsames Kunststück gelungen. In seinem jüngst erschienenen autobiografischen Hollywood-Erklärwerk "Cinema Speculation" dekonstruiert er Ikonen, betrachtet jedes ihrer Einzelteile mit der Lupe, setzt sie wieder zusammen und stellt sie frisch poliert zurück aufs Podest. Immerzu schreckt man kurz auf, befürchtet gleich zu viel zu wissen über Steve McQueen oder Clint Eastwood, um sie in Zukunft noch guten Gewissens einfach cool finden zu können. Aber Tarantinos kindlich staunender Blick, lässt die Helden unversehrt. Er sieht sie sich einfach nur gern aus der Nähe an und hat tausend Fragen. "Cinema Speculation" ist eine Lebenserzählung in filmkritischen Häppchen. Begonnen mit dem kleinen Quentin, dessen sehr junge Mutter eine Filmbesessene war, die ihm bereits im Vorschulalter eine hohe Dosis Genrefilme verabreichte. Seitdem versucht er wohl den Pegel zu halten. Die schiere Masse von Filmtiteln, mit denen er um sich wirft, überwältigt einen bereits im ersten Kapitel. Dann aber folgen Nahaufnahmen einzelner Filmikonen wie "Getaway", "Dirty Harry" und "Taxi Driver". (Eine ziemliche Macho-Dichte, was die Hauptfiguren angeht, aber bitte.) Tarantino vergleicht literarische Vorlagen mit ihren Filmfassungen, Drehbuchautoren werden für ihre Entscheidungen zur Rede gestellt, er ordnet die Werke gesellschaftspolitisch ein, stellt sie in Frage, analysiert Bildsprache, Ton, Schnitt und natürlich Regie und Spiel. Er nimmt Besetzungslisten auseinander bis zur kleinsten Nebenfigur und macht Gegenvorschläge, schreibt sie um. Man sitzt mit offenem Mund da und denkt: Was macht der Besessene da? Es ist verrückt und wild, aber gleichzeitig auch eine präzise Buchführung des neuen Hollywood, gespickt mit herrlichen Anekdoten, die man am liebsten alle auswendig lernen möchte. Die Vorstellung von einer Eifersuchts-Prügelei zwischen Steve McQueen und Maximilian Schell wird mich wohl noch einige Zeit begleiten. Vorsicht, dieses Buch ist ein Rabbit Hole. Man verliert Zeit und Raum, gewinnt aber eine kilometerlange Watchlist.

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