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Buchdoktor

Posted on 2.2.2023

Der historische Hintergrund Die Anregung zu ihrem - fiktiven - Roman über drei Generationen norwegischer Frauen erhielt Trude Teige durch die Norwegerin Anna aus Vadsø (Im Roman: Sonja), die einen Deutschen heiratete, mit ihm nach Hannover zog und ihrer Tochter zurück folgt, als die wiederum einen Norweger heiratet. Inhalt „Es reicht nicht nach vorn zu schauen, man muss auch nach hinten schauen, um zu wissen, wer man ist und woher man kommt.“ (Opa Konrad S. 38/39) Als Krabbenfischer Alfred sie auf die kleine Insel übersetzt, auf der ihre Großeltern lebten, ist die 1979 geborene Juni schwanger, krankgeschrieben und muss sich klarwerden, ob sie von ihrem gewalttätigen Partner Jahn ein Kind zur Welt bringen will. Nach dem Tod ihrer Mutter Lilla hat sie Haus, Boot und Familien-Geheimnisse ihrer Großeltern Thekla und Konrad geerbt. Während Lilla immer nur weg von der Insel wollte und auf dem Festland arbeitete, kam die Icherzählerin Juni in ihrer Jugend an den Wochenenden regelmäßig zu Besuch zu den Großeltern. Alle drei Frauen neigten und neigen zu schwermütigen Gedanken, so dass die Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft und dem ihr unbekannten Vater heilsam für Juni sein könnte. Thekla war in Junis Kindheit der Frage nach ihrem Vater zunächst ausgewichen, starb jedoch, bevor sie ihr Versprechen einlösen konnte, eines Tages alles über ihn zu erzählen. Als Hobbyfotograf hat Großvater Konrad Kartons mit Fotos hinterlassen; ein Bild von 1945 zeigt Thekla zusammen mit einem deutschen Soldaten. Juni nimmt die Spur auf in die 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als Norwegen von der deutschen Wehrmacht besetzt war. Thekla hatte sich in den deutschen Wehrmachtssoldaten Otto verliebt und ihn gegen alle Widerstände noch schnell geheiratet, bevor die Soldaten aus Norwegen abgezogen wurden. Eine Momentaufnahme zeigt Thekla als „tyskerjentene“ verspottet, mit geschorenen Haaren. Obwohl ihr Vater bei der Marine diente und ihr Bruder beim Heer, wirkt Theklas Blick einer Zivilistin für die Zeit ungewöhnlich behütet. In einem besetzten Land waren Uniformen und militärische Hierarchie schwer zu übersehen. Einen ähnlich zentrierten Blick der jungen Norwegerin erleben Teiges Leser:innen an anderem Ort später noch einmal. Thekla folgt Otto auf eine Odyssee durch ein ausgebombtes Deutschland bis zum Bauernhof seiner Eltern in Klaushagen, ahnungslos, was sie im von der Roten Armee besetzten Ostdeutschland erwartet. Da die 1946 geborene Lilla nicht mehr zu Wort kommen kann, ist Juni mit zwei ineinander verschachtelten Familien-Geheimnissen konfrontiert: was geschah in Ostdeutschland, bevor Thekla Konrad heiratete und warum verschwieg die Familie den Namen von Lillas Vater? Ihre Recherche führt Juni u. a. zu Theklas Kindheitsfreundin, an Schauplätze und zu Zeitzeugen. Wie einzelne Puzzlestücke fügen sich Berichte und Dokumente zusammen. Juni kann rückblickend sogar ihre aktuellen Probleme mit John aus ihrem ererbten Trauma ableiten. Mit dem Schicksal der drei Norwegerinnen nimmt Trude Teige den Faden kollektiver Verdrängung von Kriegstraumata auf. Deutschland wurde in den 80ern des vorigen Jahrhunderts unfreiwillig mit diesem Thema konfrontiert, als in der zwischen 1910 und 1920 geborenen Frauengeneration eine Häufung von schwereren psychischen Erkrankungen auftrat. Auch ich habe hautnah miterlebt, welch fatale Folgen kollektive (oder staatlich verordnete) Verdrängung von Kriegstraumata haben kann. Fazit Trude Teige lässt in „Als Großmutter im Regen tanzte“ eine zu Unrecht verdrängte Epoche lebendig werden. Das Setting eines geerbten Hauses, in dem eine meist weibliche Erbin einem Familiengeheimnis nachspürt, wirkt zunächst alltäglich, zeigt sich jedoch als verschachteltes Trauma dreier Generationen. Die Autorin recherchierte intensiv, kann die Not der Nachkriegsjahre detailreich vermitteln, setzt jedoch m. A. zu stark auf ein Liebesroman-Schema mit klischeehaftem Ende. Als Tochter von Zeitzeugen bin ich mit dem Feingefühl von Autoren für die 40er Jahre schwer zufriedenzustellen, empfehle das Buch jedoch gern. Die volle Sternbewertung erhalten Thekla, Lilla und Juni, weil sie mir aus ihrer Perspektive das ererbte Trauma ihrer Nation gezeigt haben.

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