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wandanoir

Posted on 18.11.2022

Von Wirtschaft und Politik Kurzmeinung: Las ich mit großem Vergnügen. Der Roman "Connemara" spielt in Frankreich, im Department Grand-Est, mit Épinal als zentralem Verwaltungsitz. Hélène Poirot wohnt eine Stunde weit entfernt in Nancy. Eigentlich gehört sie nach Paris, dem Zentrum der Welt, meint sie, aber aus gesundheitlichen Gründen muss sie zurückstecken und in die Provinz umsiedeln. Alles, was nicht Paris ist, ist aus ihrer Sicht und aus der Sicht aller Pariser tiefe Provinz.  Dennoch arbeitet Hélène Poirot in einem Spitzenjob. Sie ist Consulting Manager bei der renommierten Firma WKC. Die struktuelle Vereinheitlichung der Verwaltung, zuerst des Departements, aber wer weiß, vielleicht ganz Frankreichs, steht auf dem Plan. Das ist eine gewaltige Aufgabe, die die Firma ganz nach open pushen würde, Hélènes Konzept dafür ist einwandfrei, ja, es ist makellos. Dennoch sieht sie sich seitens der höheren Beamtenschaft der Verwaltung Widerständen gegenüber. Sie ist ehrgeizig und will Partnerin werden. Dafür muss dieses Projekt gelingen, es ist ihr Projekt, es ist ein Knaller, es ist ihr Baby.  Der männliche Protagonist, Christophe Marchal, bäckt wesentlich kleinere Brötchen, obwohl auch er gut in seinem Job ist. Er ist Handelsvertreter für Tierfutter, zuständig für die gesamte Region Grand-Est. Aber seine Firma setzt die Bedingungen für auszuschüttende Boni, durch deren Erwerb allein man als Handelsvertreter einigermaßen über die Runden kommt, höher und höher.  Abgesehen davon will Christophe, er, der in seiner Jugend ein Lokalmatador war, ein im Distrikt berühmter Eishockeyspieler, dem die Frauen nachliefen, es noch einmal wissen, er will zurück aufs Eis. Wenn da nicht seine Kumpels wären, mit denen er gerne herumhängt und Bierchen zischt … . So haben beide, Hélène und Christophe ihre beruflichen Sorgen und Probleme. In beiden Ressorts herrscht übler Konkurrenzdruck. Beide Protagonisten haben Familie, beide haben feste private Strukturen, doch eines schönen Tages verstricken sie sich ineinander. Kann das gut gehen?  Der Kommentar:  Der Roman wird durch die weibliche Figur bestimmt und getragen. In Rückblenden wird der berufliche Werdegang Hélène Poirots aufgezeigt. Die Bildungsstrukturen Frankreichs kommen auf den Tisch. Man kann noch so gut sein, ein Ausnahmetalent, ein hochtalentiertes Kind wie Hélène Poirot, wenn man aus kleinen Verhältnissen kommt und nicht die Eliteschulen des Landes durchlaufen hat, wird man den besseren Kreisen immer hinterherlaufen. Und wenn man es doch geschafft hat, wenn man sich hochgeboxt hat, es bleibt ein Unterschied. Niemals gehört man so ganz dazu.  Hélène Poirot zuzuschauen, wie sie sich einen Platz an der Sonne erstreitet, macht Spaß. Es bestätigt, was man schon wusste. Die Welt ist ungerecht. Frauen müssen immer eine Schippe mehr drauflegen als die männliche Konkurrenz, die gefördert und gefordert wird, die den richtigen Stallgeruch hat. Und auf die richtige Toilette geht. Während man durch Hélène Poirots Jugend schreitet, entfaltet sich die typische Melancholie französischer Romane. Eine gewisse Morbidität. Resignation. Verzweiflung.  Der Roman Connemarra und also Nicolas Mathieu widmen sich einerseits dem Spiel der ganz Großen, dem Wirtschaftsleben, dessen Eigendynamik, dessen Gnadenlosig- und Skrupellosigkeit mit Hélène auf der einen Seite und andererseits dem Landleben und seinem leicht fauligen Charme, den Christophe Marchand verkörpert.   Man muss sich für wirtschaftliche Zusammenhänge interessieren, um an diesem Roman richtig Freude zu haben. Man kann sich aber natürlich auch auf die Affäre zwischen Hélène und Christophe konzentrieren, bei der es heftig zur Sache geht. Zu heftig für meinen Geschmack.  Dann aber, wenn man die Affäre leserisch in den Mittelpunkt stellt, müssen einem die Schilderungen, wie es bei WKC zugeht, der Consultingfirma, langweilig vorkommen. Das wäre schade. Die Consultingfirma, die sich alle Mühe gibt, Hélène mitsamt ihren Ambitionen über den Tisch zu ziehen, wartet nämlich mit einer ganz besonderen Praktikantin auf. Und diese stellt sich auf die Seite von Hélène Poirot. Und dann hat sie noch ihren Kerl zuhause. Der ihr nur allzugerne in den Rücken fällt. Warum ist das so? Genetisch bedingt. Weil Männer wichtiger sind. Denken sie.  Fazit: Fast wie ein Wirtschaftskrimi. Hoher Spaßfaktor. Mit Protagonisten um die vierzig und mit jener, ganz typischen französischen Melancholie durchzogen, die auch französische Filme auszeichnet. Kategorie: Unterhaltung mit Anspruch Verlag, Hanser 2022

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