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Wordworld

Posted on 8.9.2022

Wer schon längere Zeit meinen Blog verfolgt wird nicht überrascht sein zu hören, dass ich dem Erscheinungstermin der Fortsetzung zu Sarah J. Maas´ "Crescent City" seit der Ankündigung begeistert entgegengefiebert habe. Da der deutsche Verlag mit der Übersetzung wahnsinnig Gas gegeben hat, stand schon seit Mitte Juni meinem Versuch zu überprüfen, ob die Geschichte wirklich den Hype der englischen Community verdient, nichts mehr im Weg ... außer meinen eigenen Ansprüchen. Wie bei allen langersehnten Neuerscheinungen hatte ich als langjähriger Sarah-J.-Maas-Fan ein wenig Angst, von diesem Genreausflug enttäuscht zu werden und mir deshalb einige Wochen Zeit gelassen, bis ich mich im Buddyread zusammen mit Sofia von @SofiasWorldofBooks dem Buch gewidmet habe. Doch wieder einmal waren diese Sorgen unbegründet: "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" ist genau wie sein Vorgänger unfassbar komplex, brutal, schonungslos, herzbrechend, wunderschön, magisch, liebevoll, bildgewaltig, detailreich und wieder einmal einfach nur EPISCH! Schon bei der Gestaltung könnte ich stundenlang ins Schwärmen kommen. Dass das detailgetreue Cover mit den vielen liebevoll gestalteten Einzelheiten, den inhaltliche abgestimmten Spielereien, den kontrastreichen Farben und dem fantasievollen Motiv ein Hingucker ist, muss ich denke ich nicht genauer erklären. Positiv überrascht haben mich aber der kunstvolle Buchschnitt, der auch nach dem Lesen immer noch farbenfroh und knitterfrei mit dem Hauptmotiv verzückt, die aufwändig illustrierte Karte, der goldene Sichelmond unter dem Schutzumschlag und die episch-düstere Ausgestaltung der Buchdeckelinnenseiten. Dass das Buch trotz der knapp 900 Seiten und der gebundenen Ausgabe recht dünn ist, wird durch die recht kleine Schrift und das dünne Bibel-Seiten-Papier gewährleistet. Warum die englische Ausgabe trotzdem nur etwa die Hälfte des Umfangs aufweist, ist und bleibt mir ein Rätsel... Erster Satz: "Sofie hatte jetzt schon zwei Wochen im Todeslager von Kavalla überlebt." Inhaltlich aufgeteilt ist die Geschichte in drei nach den Kreisen der Hölle benannten Teile "Die Kluft", "Der Abgrund" und "Der Schlund", sowie in 78 Kapitel inklusive eines kurzen Epilogs und eines außergewöhnlich langen Prologs, die dieser langen und komplexen Story eine Struktur verschaffen. Zunächst lernen wir im Prolog mit Sofie eine neue Protagonistin kennen und dürfen einen ersten Blick auf das vom Krieg zwischen den Asteri und den Ophion Rebellen erschütterte Pangera werfen, bevor wir dann zu Bryce und Hunts Leben nach dem großen Showdown von Band 1 zurückkehren. Einige Monate sind vergangen, seit Bryce sich selbst als Erbin der Sterngeborenen Fae enthüllt hat und mithilfe von Lunas Horn auf ihrem Rücken die Stadt vor den einströmenden Dämonen gerettet hat, die der Erzengel Micah in einem Anflug von Größenwahn freigelassen hat. Um die Asteri nicht auf sich aufmerksam zu machen und zu riskieren, dass sie ihre Meinung doch noch ändern und die beiden eliminieren, müssen sich Bryce und Hunt seit den Vorfällen im Frühjahr bedeckt halten und versuchen, ein normales Leben zu führen. Als jedoch eine neue Erzengelin für die Stadt ernannt wird und die Ophion-Rebellen in Crescent City aktiv werden, wird es für die beiden immer schwieriger, unbeteiligt zu bleiben... "Was machst du, wenn du die Wahrheit herausgefunden hast?" Bryce biss sich auf die Unterlippe. "Vermutlich zu Cthona beten, dass ich sie akzeptieren kann." Der Einstieg in Band 2 fiel mir deutlich leichter als der in Band 1, da wir die vielen Namen, Orte, Erklärungen, Zusammenhänge und Besonderheiten des Worldbuildings schon kennen. Auch hier benötigt die Geschichte allerdings einige Seiten, um in Schwung zu kommen und wählt zugunsten vieler Details und einem starken Fokus auf die Figuren und deren Beziehung zueinander ein langsameres Erzähltempo. Doch wer zu Beginn noch dachte, Sarah J. Maas sei so begeistert von ihrem Setting gewesen, dass sie es mit dem Worldbuilding etwas übertrieben hat, wird im Laufe der Geschichte bald merken, dass alles Teil eines abgekarteten Verwirrspiels ist und all die kleinen versteckten Details am Ende ihr Comeback im Showdown erhalten. Vergleichbar zu Band 1 gibt es auch hier wieder einen Kriminalfall, an dem sich die sonstige Handlung wie an einem roten Faden entlanghangelt. Während es in Band 1 um den Mord an Danika ging, begeben sich unsere Hauptfiguren nun auf die Suche nach dem verschollenen Jungen Emile, welcher als mächtiger Donnervogel über Sieg und Niederlage der Rebellen entscheiden könnte. "Diese Welt könnte so viel mehr sein. Diese Welt könnte frei sein. Ich verstehe nicht, warum ihr das nicht auch wollt." "Es ist schwer, die Freiheit zu genießen, wenn man tot ist", entgegnete Hunt finster. Cormac öffnete die Tür und trat in die wallenden Schatten hinaus. "Ich kann mir keinen besseren Grund vorstellen, für den ich mein Leben aufgeben würde." Dabei wird die Geschichte abermals aus verschiedenen Perspektiven an verschiedenen Orten erzählt. Neben den beiden Hauptprotagonisten Bryce und Hunt, erzählen auch Bryces Fae-Bruder Ruhn, der Meermann Tharion und der Wolf Ithan aus einer personalen Erzählperspektive, welches es möglich macht, viel vor dem Leser zu verbergen und doch einen Einblick in die Gefühle und Gedanken der Figuren zu erhaschen. Durch die vielen Erzählperspektiven sowie den Nebenhandlungsstrang rund um die Rebellen und die Wolfsmystikerin rückt der Fokus etwas von Hunt und Bryce ab, wodurch die beiden recht wenig Zeit alleine haben (die nicht mit Sexszenen gefüllt ist - die Autorin versucht nämlich in der zweiten Hälfte großzügig dafür zu entschädigen, dass es in Band 1 nicht zur Sache gegangen ist). Während die beiden als ungleiches Ermittlerduo in Band 1 beinahe die ganze Zeit zu zweit unterwegs waren, ist in "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" häufig mindestens noch eine andere Figur dabei, weshalb mir das unbeschwerte, natürliche Geplänkel zwischen den beiden etwas gefehlt hat. Dafür zelebriert die Autorin hier aber den Found-Family-Trope und wir dürfen zusehen, wie die liebevoll "Team Scheiß-auf-die-Regeln" benannte Gruppe immer größer wird und beweist, dass gemeinsame Werte mehr zusammenschweißen als eine gemeinsame Herkunft. Besonders gut gefallen hat mir dabei Ruhns Handlungsstrang mit einer ganz besonderen Romanze, die man so nicht kommen sieht... "Meinen Verstand hat in der Dunkelheit deinen gefunden. Über einen Ozean hinweg. (...) ich werde dich finden", sagte er an ihren lodernden Haaren. "Eines Tages werde ich dich finden, das verspreche ich dir." Trotz des leicht abschweifenden Fokus gelingt es der Autorin ihre Hauptfiguren weiterzuentwickeln und sie uns noch näher zu bringen. Gerade Bryce muss man für ihre starke, sture und sarkastische Persönlichkeit einfach lieben und sie ist mir mit jeder Seite mehr ans Herz gewachsen. Auch der gefallene Engel Hunt (eigentlich Orion) Athalar, der als Auftragsmörder für den Gouverneur Micah arbeitete und deshalb als "Todesschatten" gefürchtet wird, hat sich über das anfängliche Klischee hinaus entwickelt und entdeckt neue Seiten an sich selbst. Wir kennen sie ja alle: dominante, starke, sexy Protagonisten (ob CEOs, Prinzen, Engel, Vampire oder Fae spielt dabei keine Rolle), mit großem Ego, insgeheim gebrochenen Herzen und starken Eifersuchtsproblemen. Auch Sarah J. Maas wurde in der Vergangenheit oft für ihre dominanten Alpha-Love-Interests kritisiert. Mit Hunt und Bryce findet sie jedoch einen Weg, genau dieses Stereotyp zu parodieren und offen anzusprechen, in dem sich Bryce über das "Alpha-Arschloch-Gehabe" der Männer in ihrem Umfeld ärgert. Dadurch kommt es nicht nur zu unfassbar lustigen Dialogen, sie problematisiert auch indirekt diese Art der Figurendarstellung, auf die wir LeserInnen immer wieder hereinfallen, auf sehr unterhaltsame Art und Weise. "Ist es ein Klischee, wenn ich sage, dass Ärger mein zweiter Vorname ist?" "Und ob. Definitiv." "Was wäre dein zweiter Vorname?", neckte er. Ihre Flammen zogen sich zurück und enthüllten diese Augen aus purem Feuer. "Vergeltung." Das eigentliche Genie der Geschichte entfaltete sich wie immer im ausgeklügelten Verwirrspiel der Autorin: wie sie den Leser immer wieder auf falsche Fährten lockt und dann überrascht und ein komplett neues Bild zeichnet, ist wirklich genial! Hier spielt Maas geradezu mit falschen Annahmen und tänzelt auf einem schmalen Grat zwischen Verschwiegenheit, Geheimnissen, Lügen und Täuschungen. Würde ich die Geschichte mit meinem jetzigen Wissen nochmals lesen, würden mir viele subtile Andeutungen und wohl platzierte Ausführungen zu später wichtigen Themen auffallen, die ich angesichts der Komplexität der Handlung beim ersten Lesen komplett übersehen habe. So kommen viele Wendungen zwar sehr überraschend, sind aber nach kurzem Nachdenken immer schlüssig und nachzuvollziehen - was die wirkliche Kunst bei Plot-Twists ist. "Wenn du mich nach Nena geholt hättest, wäre ich niemals hier gelandet. In Lunathion." Sein Lächeln wurde breiter, als er hinausging. "Dann wäre ich niemals Bryce begegnet." Jedes Grauen, jeder Albtraum... all das hatte sich allein ihretwegen gelohnt." Neben der spannenden Machart mit den vielen unvorhergesehenen Wendungen und Entwicklungen sowie den dynamischen Protagonisten lebt die Geschichte auch von den bekannten Stärken der Autorin. Die erste: Worldbuilding. Manche Fantasy-Welten werden einmal aufgebaut und dann spielt sich die Handlung in diesem statischen Bühnenbild ab, doch nicht bei Sarah J. Maas: Ständig verändert sich der Fokus, der Blickwinkel, der Handlungsort der Geschichte, es werden neue Dinge aufgenommen, bestehende ändern sich - eine stetige Entwicklung, die die Geschichte so perfekt und schlüssig erweitert, dass aus dem roten Fanden, ein rotes Band wird. Das ist eine Fähigkeit, für die ich Sarah J. Maas immer bewundern werde: ihre zusammenhängende Darstellung der Welt, die immer komplexer, verschachtelter und geheimnisvoller wird, mit jedem Charakter und Handlungsstrang, der dazukommt. Hier kreiert sie eine spritzige Mischung aus Dystopie, Krimi und Fantasy-Epos und erzählt von einer modernen Welt, die von einer eigentlich unmöglichen Kombination an Fantasy-Wesen bevölkert wird. Denn statt sich für eine Spezies zu entscheiden, mischt sie hier Engel, Fae, Meereswesen, Hexen, Kobolde, Gestaltwandler, Chimären, Sensenmänner, Vampire, Werwölfe, Geister und Co - fehlen nur noch Feen, Zwerge und Riesen und dann hätte sie alles abgedeckt, was das Fantasy-Genre in den letzten Jahrhunderten erfunden hat (aber dafür gibt es hier ja noch Otter 😊😌). Besonders erstaunlich ist, dass diese verrückte Fantasy-Steampunk-Kombination tatsächlich funktioniert und sie nie das Wesentliche aus den Augen verliert oder die Story überlädt. Sie pickt sich einzelne interessante Aspekte gekonnt heraus, welche dann weitergesponnen und vernetzt werden, bis ein umwerfendes, vielseitiges Gesamtergebnis entsteht! "Du erinnerst mich an den Wind. Mächtig und fähig, die Welt mit einem halben Gedanken zu kühlen oder erfrieren zu lassen, sie zu formen, obwohl niemand dich sehen kann, nur deine Wirkung auf die Umgebung." Hier wären wir dann bei der zweiten bekannten Stärke der Autorin angelangt: ihrem außergewöhnlichen Schreibstil. Auch wenn sie hier durchaus modernen schreibt, als in ihren bisherigen Fantasy-Reihen und ich mich erst an die derbe Ausdrucksweise mit den vielen Flüchen und Beleidigungen gewöhnen musste, kann auch der neue Erzählton nichts an ihrem unfassbaren Talent ändern. Wie für all ihre Bücher gibt es ein Wort, das ihr erstaunliches Talent, Worte in Sätzen so zu platzieren, dass sie der Geschichte alleine durch den Schreibstil ein imposantes Auftreten verleihen, super beschreibt: EPISCH. Durch ihre teils sehr außergewöhnliche Wahl der Worte und ihre intensiven Szenenbeschreibungen, fühlt man sich oft, als würde man einem Film zusehen, der vor den eigenen Augen abläuft - Ein wunderbarer Film voller Action, Gefühle und Hintergrund und mit genialen Schauspielern natürlich ;-) "Wir arbeiten für keine der beiden Seiten." "Für wen dann?" "Für die Wahrheit", sagte Bryce schlicht. "Wir wollen die Wahrheit herausfinden." Kurz bevor ich zum Ende komme (ja ich weiß, diese Rezension wird lang, aber ich habe auch viel zu sagen😊), will ich Euch nicht vorenthalten, dass die Geschichte im Mittelteil durchaus einige Wiederholungen und eine deutliche Überlänge enthielt, die die Autorin versuchte mit gelegentlichen Actionszenen, heißen Szenen oder plötzlichen Schockern aufzulockern. Besonders schade fand ich, dass auch hier wieder bei jedem Thema eine Verbindung zu Danika auftaucht, welche mit der Zeit leider ein wenig konstruiert und unglaubwürdig wirkt. Ihr wird post mortem so ziemlich zu jeder Gruppierung und jeder Handlung eine Verbindung angehängt, was in Band 1 ja noch ganz gut funktioniert hat, hier aber etwas zu viel des Guten erscheint. Das Ende entschädigt jedoch genau wie in Band 1 großzügig für alle kleineren Schwächen und hat dafür gesorgt, dass ich meinen Leseeindruck von 4 Sternen augenblicklich auf 5 Sterne hochkorrigiert habe. Hier reiht sich nicht nur eine 180-Grad-Wendung an die nächste, wir bekommen auch das unfassbarste, krasseste, extremste (OMG!!!! Ich schreie innerlich immer noch, wenn ich nur daran denke) Crossover vorgesetzt, über das man erstmal hinwegkommen muss. Ich musste während dem Lesen der letzten Kapitel regelmäßig Denk- und Verarbeitungspausen einlegen und nachdem ich den letzten Satz gelesen hatte, war erstmal ein kleiner Spaziergang zum Sortieren meiner Gedanken nötig. Spätestens ab dort waren alle objektiven Kritikpunkte vergessen und ich konnte dem actionreichen, dramatischen und unglaublich tragischen Schluss nur gebannt folgen. Das einzige Problem ist nun: Mir ist absolut schleierhaft, wie ich nach DIESEM Ende die Zeit bis zum Erscheinungstermin des nächsten Bandes überbrücken soll!!!! "Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, und das gesamte Universum löste sich in Luft auf. Es gab nur noch sie beide, jetzt und in Zukunft, vereint im Tanz, während ihre Seelen sich miteinander verwoben. "Sämtliche Ereignisse in meinem Leben sind nur deshalb passiert, damit ich dir begegnen konnte, Quinlan. Damit ich hier bei dir sein kann. Ich gehöre dir. Für immer." Fazit: "Crescent City - Wenn ein Stern erstrahlt" bleibt objektiv durch kleinere Schwächen leicht hinter Band 1 zurück. Das unfassbare Ende ganz zu schweigen von den dynamischen Protagonisten und den bekannten Stärken der Autorin wie Schreibstil und Worldbuilding, entschädigten aber großzügig für alle Kritikpunkte und machten die Geschichte zu einem wahren Lieblingsbuch und Jahreshighlight!

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