Profilbild von letterrausch

letterrausch

Posted on 12.6.2022

Anthony Horowitz’ „Die Morde von Pye Hall“ war für mich ein überraschendes Highlight, denn ich bin kein passionierter Krimileser. Tatsächlich fasse ich so gut wie nie einen Krimi an – wer der Mörder war, interessiert mich in der Regel nicht und letztendlich sind Tote doch irgendwie unappetitlich. Bei Anthony Horowitz hat mich das Buch-im-Buch Konzept angesprochen, das „Die Morde von Pye Hall“ so originell macht: Es geht in der Rahmenhandlung nämlich um die Lektorin Susan Ryeland, deren erfolgreichster Autor Alan Conway tot aufgefunden wird, gerade nachdem er sein letztes Manuskript um den Privatdetektiv Atticus Pünd eingereicht hat. Als sie feststellt, dass das letzte Kapitel fehlt, muss Susan das Rätsel um Alans Tod lösen und dieses Kapitel finden. Innerhalb dieser Rahmenhandlung bekommt der Leser dann auch den Roman um Atticus Pünd geboten – quasi zwei Krimis zum Preis von einem, die sich zusätzlich auch noch gegenseitig spiegeln. „Die Morde von Pye Hall“ ist so ein charmantes, kurzweiliges und pfiffiges Buch, dass für mich sofort klar war, dass ich bei neuerlichen Abenteuern von Susan und Atticus wieder dabei sein würde. Dieses neuerliche Abenteuer ist jetzt unter dem Titel „Der Tote aus Zimmer 12“ erschienen. Wieder ist es ein Krimi-im-Krimi, bei dem Susan einen Fall mittels eines alten Conway-Krimis lösen muss. Hier, beim zweiten Anlauf, muss Horowitz schon ein bisschen mehr jonglieren, um dieses Konzept halbwegs plausibel zu machen, aber um logische Glaubhaftigkeit geht es ja nur am Rande. Susan ist mittlerweile mit ihrem Partner nach Griechenland gezogen, um dort ein Hotel zu führen. Besucht wird sie vom Ehepaar Treherne, das sie anheuert, um ihre verschwundene Tochter zu finden. Vor Jahren war im Hotel der Trehernes ein Mord geschehen, den Conway als Inspiration für „Atticus unterwegs“ genutzt hat. Cecily Treherne will in diesem Roman nun den entscheidenden Hinweis dafür gefunden haben, dass der Falsche für dieses Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurde, wofür sie scheinbar aus dem Weg geschafft wurde. Und so fliegt Susan zurück nach England, ermittelt im Hotel der Trehernes und liest den entsprechenden Roman von Alan Conway, „Atticus unterwegs“. Wieder gibt es englisches Landhausleben in rauen Mengen, Gespräche mit Verdächtigen, die plausibel erklären, dass sie keiner Fliege etwas zu Leide tun können und einen Atticus-Pünd-Roman, der die Rahmenhandlung spiegelt. Als Sahnehäubchen gibt es auf beiden Handlungsebenen ein umfangreiches Kapitel, in dem der Ermittler alle Verdächtigen zusammenkommen lässt, um ihnen groß und breit des Rätsels Lösung zu erklären. Wie klassisch ist das bitte? Anthony Horowitz spielt mit den Themen und dem Sound des klassischen Detektivromans. Klar, es wird gemordet, aber davon mal abgesehen, geht es sehr gemütlich und gesittet zu – very britisch halt. Atticus Pünd – und auch seine Lektorin Susan Ryeland – stehen in einer langen Tradition klassischer Detektive, allen voran Hercule Poirot. Wer also Agatha Christie mag und Lust auf eine sehr gut gemachte Pastiche hat, der wird hier fündig werden. Beide Romane habe ich als (gekürztes) Hörbuch genossen. Gerade auch die Erfahrung als Hörbuch hat mich für „Die Morde von Pye Hall“ eingenommen, denn durch verschiedene Sprecher kann man die Handlungsebenen wunderbar anschaulich trennen. Jetzt im zweiten Teil ist leider nur noch Katja Danowski als die Stimme von Susan Ryeland dabei. Bodo Wolf, der im ersten Teil den Atticus-Pünd-Roman hervorragend eingelesen hatte, wurde jetzt durch Volker Hanisch ersetzt, der nicht ganz so distinguiert klingt. Das Hörbuch bekommt also leichte Abzüge und ich wünschte, Verlage würden die Praxis, Romane für die Hörfassung zu kürzen, endlich ersatzlos streichen. Aber davon abgesehen, habe ich auch diese Hörerfahrung wieder sehr genossen. Anthony Horowitz kennt sich im Genre des klassischen Krimis ganz offenbar exzellent aus. Ihm ist auch hier wieder ein Roman gelungen, der sich an die Größen des Genres anlehnt, aber trotzdem auf eigenen Füßen steht. Für Kenner der klassischen Detektivgeschichten ist „Der Tote aus Zimmer 12“ wieder ein absolutes Schmankerl, in dem sie auf die Suche nach Anspielungen gehen können. Doch auch für unbedarfte Krimileser (wie mich) ist das was, einfach weil Horowitz mit so leichter Feder einen Roman hingeworfen hat, der unterhalsam, spannend und schlicht gut lesbar ist. Sicherlich wird es in Zukunft immer schwerer werden, den Krimi-im-Krimi Aufbau auf der Handlungsebene logisch weiterzuführen. Doch sollte es Anthony Horowitz noch einmal wagen, werde ich auch für ein drittes Abenteuer wieder ein Ticket ziehen!

zurück nach oben