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Gabriele

Posted on 6.4.2022

Was für ein Buch! In drei Teilen erzählt der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk eine unglaubliche Geschichte. Die Handlung spielt im Großraum Istanbul in den 1980er Jahren und reicht bis die Gegenwart. Der Autor verknüpft die in der modernen Türkei angesiedelte Handlung mit der griechischen Ödipus-Sage sowie der Legende von Rostam und Sohrab aus dem persischen Nationalepos Schahname. Als Kind liebte Cem seinen Vater abgöttisch. Als der eines Tages verschwand, zog der Jugendliche mit seiner Mutter zu Verwandten. Um sein angestrebtes Studium finanzieren zu können, nahm er eine Arbeit bei einem Brunnenbauer an. Sein Meister wurde für ihn zum Ersatzvater. Zu dieser Zeit verliebte sich der 16jährige in eine 20 Jahre ältere, rothaarige Schauspielerin, die ihn schließlich in die körperliche Liebe einführte. Nach einem Unfall kehrt Cem fluchtartig zu seiner Mutter zurück. Im zweiten Teil des Buches begleiten wir Cem durch sein Erwachsenenleben. Gemeinsam mit seiner Ehefrau baut er ein regelrechtes Imperium auf. Das wird zu ihrem gemeinsamen Kind, nachdem ihnen der Wunsch nach lebenden Nachkommen unerfüllt bleibt. Grundstückskäufe führen Cem zurück zu seiner ehemalige Wirkungsstätte, wo sich zeigt, dass Legenden oft einen Kern Wahrheit in sich tragen. Im dritten Teil kommt schließlich die rothaarige Frau zu Wort und klärt die letzten Fragen auf. Orhan Pamuk wurde am 7. Juni 1952 in Istanbul geboren. Er gilt als einer der international bekanntesten Autoren seines Landes und wurde 2006 als erster türkischer Schriftsteller mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet. Mich hat das Buch so für sich eingenommen, dass ich es innerhalb weniger Tage ausgelesen hatte. Fasziniert beobachtete ich, wie sehr sich der Autor an den beiden obengenannten Legenden entlanghangelte. Dabei stellte er die Gefühle des Ich-Erzählers deutlich spürbar in den Mittelpunkt. Die Aufführung des „Legenden- und Moraltheaters“ verstand Cem als Jugendlicher zwar nicht, doch im Nachhinein wurde klar, wie sehr sie ihn in seinem weiteren Leben prägte. Jahrelange Schuldgefühle versuchte er mit der Literatur zu verarbeiten. (Wohl ebenso wie viele Leser, die in der Literatur Lebenshilfe finden.)

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