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birgit_boellinger

Posted on 24.10.2021

Wenn man sich dieser Tage darüber echauffiert, wie mühsam und zäh sich in einer vielfältiger gewordenen Parteienlandschaft der Regierungsbildungsprozess gestaltet, ja, dem sei nicht nur Geduld angeraten, sondern vielleicht auch die Lektüre dieses Buches. Prozesse in der Demokratie brauchen ihre Zeit. Notstandsgesetze sind dagegen schnell erlassen, der Terror regiert ohne Rücksicht auf langatmige Meinungsbildung. Dass der Wandel einer zwar maroden Weimarer Republik hin zum nationalsozialistischem Terrorregime rasend schnell ging, ist jedem mit etwas historischem Interesse zwar bewusst. Aber wie sehr dies die Intellektuellen – die es ja vielleicht besser hätten wissen können – überraschte und überrollte, das macht der Literaturkritiker und Schriftsteller Uwe Wittstock mit seinem Band „Februar 33“ eindrucksvoll deutlich. Zwischen der Machtergreifung Hitlers und den ersten brennenden Büchern lagen nur wenige Wochen. Und obwohl der „Stürmer“ und andere nationalsozialistischen Presseorgane schon in den Jahren zuvor keine Zweifel daran ließen, dass Autorinnen und Autoren und Journalisten wie Carl von Ossietzky, Erich Mühsam oder Gabriele Tergit auf ihren schwarzen Listen standen, dass selbst der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann, der mit den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ noch zu den Befürwortern des Ersten Weltkriegs gezählt hatte, argwöhnisch beäugt wurde – ja trotz dieser offenen Feindschaft zu allem, was als intellektuell, meinungsstark und links galt – ja trotzdem wurde diese Zielgruppe quasi über Nacht nicht nur zum Staatsfeind Nummer eins, sondern zu Gefangenen, Verfolgten, Ermordeten. Erich Mühsam, bereits 1934 von KZ-Wächtern erschlagen, war eines der ersten Todesopfer, die in Wittstocks Buch ihren Platz finden. Er bezeichnet es im Untertitel als den „Winter der Literatur“: In den wenigen kalten Wochen ab dem 30. Januar 1933 wurden die Straßen tatsächlich buchstäblich leergefegt von allem, was zuvor die lebendige, laute und intellektuell herausragende Weimarer Zeit ausgemacht hatte. Wittstock schreibt in seinem Vorwort: „(…) über Schriftsteller und Künstler im Februar 1933 wissen wir unvergleichlich mehr Persönliches als über jede andere Gruppe. Ihre Tagebücher und Briefe wurden gesammelt, ihre Notizen archiviert, ihre Erinnerungen gedruckt und von Biografen mit detektivischem Ehrgeiz durchleuchtet.“ Der Autor, davon zeugt auch die umfangreiche Liste an „benutzter“ Literatur, die Wittstock benennt, hält sich eng an diese Fakten, gibt im Nachwort auch einen Werkstatteinblick, in dem er erläutert, wie er mit diesen Quellen umging. Das ist wohltuend: Gab es in den vergangenen Jahren doch auch eine gehäufte Anzahl an Büchern aus dem Bereich literarischer Dokumentation und fiktionalisierter Biographien, die diese Einblicke nicht erlaubten – und die Lesenden ratlos im Bereich zwischen Dichtung und Wahrheit zurückließen. Doch die große Stärke des Buches ist, dass Wittstock, anstatt anekdotenhaft ein ganzes Kaleidoskop an Schicksalen und Figuren aufzufächern, um diese Zeit zu bebildern, sich auf ein gutes Dutzend (oder etwas mehr) Protagonisten beschränkt und die Fäden der einzelnen Schicksale und ihre Verknüpfungen immer wieder aufgreift. So am Beispiel von Thomas Mann, Bert Brecht und Hanns Johst, der 1935 Präsident der Reichsschrifttumskammer wird und bereits 1933 die Gleichschaltung der Sektion Dichtung an der Preußischen Akademie der Künste betreibt. „Eine faszinierende Konstellation: drei Schriftsteller, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in München über den Weg laufen und deren Entwicklung unterschiedlicher nicht sein könnte.“ Gerade am Schicksal der Akademie macht Wittstock eindrücklich deutlich, wie vehement und gut organisiert sich die Nationalsozialisten die Meinungshoheit eroberten und Andersdenkende ausschalteten, wie schnell Mitläufer bereit waren, sich anzupassen oder narzisstische Naturen wie Gottfried Benn versuchten, die Zeitenwende für sich zu nutzen. In der Akademie, den Gesprächszirkeln, den Stammkneipen und den Cafés, in die Wittstock die Leser mitnimmt, war eine Frage, ein Zwiespalt der beherrschende: Gehen oder bleiben? Widerstand aus dem Innern oder aus dem Exil? Und wenn Flucht, was konnte einen dort erwarten? Über Oskar Maria Graf meint Wittstock: „München und Bayern sind für Graf mehr als nur die Heimat. Sie sind für ihn als Schriftsteller das wichtigste Thema, das unentbehrliche Material, von dem er lebt. Worüber wird er schreiben, wenn er jetzt ins Ausland geht?“ Aber Graf weiß auch: „Unter den Nazis würden seine Geschichten niemals gedruckt und verkauft werden dürfen.“ Wie Thomas Mann von seinen Kindern geradezu gedrängt werden muss, nach einer Lesereise nicht in dieses Deutschland zurückzukehren, das über Nacht ein anderes geworden ist, wie Carl von Ossietzky, sein Schicksal erahnend, beschließt, zu bleiben, wie Brecht, Döblin und andere auf gepackten Koffern sitzen, dies alles verbindet Uwe Wittstock sehr gekonnt mit den parallel verlaufenden Entwicklungen auf der politischen Ebene. Vom Presseball, wo der letzte Tanz der Republik stattfindet, rüber in die Reichskanzlei, wo in der Wohnung des Franz von Papen die Machtübernahme eingefädelt wird, bis gegen Ende des Buches hinein in die Folterkammern der SA: Das liest sich streckenweise atemlos und – wäre es nicht bittere deutsche Vergangenheit – auch wie ein Krimi. Seit „1913: Der Sommer des Jahrhunderts“ ist diese Technik der zeitgeschichtlichen Collage geradezu en vogue. Und wie es halt so geht: Da kommen dann auch etliche Schnellschüsse auf den Markt, die nicht allzu sehr überzeugen. Wie gut, dass sich Wittstock für dieses Buch, das einen elementaren Einschnitt in die deutsche Geistesgeschichte beschreibt, offenbar Zeit zum Recherchieren und Schreiben gelassen hat. Ein gelungenes Buch, das nochmals deutlich macht, welchen geistigen Verlust die deutsche Literatur und Kunst in diesen wenigen Wochen erlitten hat.

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