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SternchenBlau

Posted on 18.10.2021

Kameradinnen – was für ein antiquiertes Wort und auch martialisch, militärisch. Nachdem ich das Buch gelesen haben, finde ich, dass dieses Wort so wundervoll für diesen Titel passt, weil es drei Frauen zeigt, die von Schulkameradinnen zu Kameradinnen in einem Kampf werden, den People of Color, Frauen, muslimische oder queere Menschen noch längst nicht gewonnen haben. Bazyar spielt in ihrem Roman mit Sprache ebenso wie mit Erwartungen, mit denen der Gesellschaft und mit denen der Lesenden. Sie kann das so gekonnt, weil sie die Diskurse in- und auswendig kennt. Kasih erzählt ihre Geschichte und die Geschichten von Saya und Hani. Und nach wenigen Seiten schaffte Bazyar eine Intensität, dass die drei im Geiste auch zu meinen Kameradinnen wurden, auch wenn unsere Biografien anders aussehen. Bazyar vermag die vermeintlich kleinen Erinnerungen so liebevoll, präzise und voller Poesie zu erzählen, dass sie mir real erschienen. Es finden sich so viele wundervolle Stellen in diesem Roman, dass es mir wirklich schwer fällt, nur einzelne auszuwählen. „Als ich klein war, habe ich mir immer vorgestellt, Saya und ich wären Figuren in einem schönen Kinderfilm, und ehrlich gesagt habe ich mir das auch noch vorgestellt, als wir mit Hani zu dritt waren und eher in so ein verruchtes Teenie-Drama gepasst hätten. Als Kind dachte ich, dass Saya und ich, wie wir so mit Kreide auf den Asphalt malten, von Bäumen sprangen und tote Maulwürfe vergruben, um sie Wochen später wieder auszugraben, die idealen Protagonistinnen wären. Dass alles, was wir taten, eine prima Einleitung war. “ Die Harmonie von Freundschafts-, Kindheits- und Jugenderinnerungen sind meist gebrochen, wie könnte es anders sein, in einer Gesellschaft, die Rassismus, Sexismus, Klassismus und all dies so oft noch weiterhin verteidigt. Kasih erzählt meist schonungslos, sich selbst, den Freundinnen und auch den Lesenden gegenüber. „Ihr wartet auf den Moment, in dem ich erkläre, wer von uns aus welchem Land kommt. Das nämlich müsst ihr wissen, bevor ihr euch in uns eindenken könnt. Das ist für euch eine ungefähr so wichtige Information wie die, am Rand welcher deutschen Kleinstadt wir aufgewachsen und wie alt wir sind und wer von uns die Heißeste ist. Ich sage euch dazu nichts. Da müsst ihr durch. Ich weiß ja auch über euch nichts.“ Ja, da müssen wir wohl als Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft auch einmal durch, auch, wenn das nicht immer angenehm ist. Und ich kann auch einfach kein Tone Policing mehr ertragen. Das erlebe ich als Frau schon genug. Da finde ich, dass Women of Color erst recht Tacheles reden dürfen. Schon auf den ersten Seiten ist klar, dass mit Kasihs Freundinnen etwas schlimmes passieren wird. Und ich wollte das nicht lesen, das nicht zulassen. Es passieren doch immer schlimme Dinge, warum können denn diese drei in der Fiktion nicht verschont bleiben? Ich bin dann aufs Hörbuch umgestiegen. Die ersten paar Minuten erschien mir Banafshe Hourmazdi Stimme fast zu jung für Kashi, aber sobald ich mich eingehört hatte, war ich fasziniert, wie wundervoll sie Kashis Facetten umsetzen konnte: die Selbstzweifel, die Klugheit, die Vorsicht, die unterdrückte Wut, die sich in ihrem Text endlich einen Weg nach draußen bahnt, die Loyalität und Liebe zu ihren Freundinnen. Bazyar spielt auch mit dem Roman als solches. Wie genau, das werde ich euch nicht verraten, denn es hat für mich das Lese- und Hörvergnügen nochmal zu etwas ganz besonderem gemacht. Ein Roman, den ich sicherlich nicht nur einmal lesen werde. 5 von 5 Sternen.

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