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mrstrikehardt

Posted on 2.10.2021

Ein schmales Buch, das mit einer ungeheuren Leichtigkeit ausgestattet ist und mich geradezu „beflügelt“ hat. Marie Luise Knott bringt in vier Kapiteln Hannah Arendts Philosophie näher. Eine Philosophie, die in sich nicht geschlossen, sondern offen ist. Verlernen ist hierbei ein zentraler Begriff, eine Tätigkeit („a doing verb“), die sich bei Arendt durch Lachen, Übersetzen, Verzeihen und Dramatisieren entfaltet. 1. Das Lachen ist „ein Atemholen des Denkens“, eine (Re)Aktion auf (furchtbare) Ereignisse. Es bietet vielleicht nicht unbedingt einen Ausweg, aber die Hoffnung auf einen und animiert zum Weitermachen („we are not dead yet“, fiel mir dazu ein). Das Lachen kann außerdem eine Brücke sein und bei aller Differenzen Verbundenheit den Gesprächspartnern gegenüber ausdrücken. Natürlich gibt es noch weitere Arten des Lachens (bitteres, resignatives Lachen etc., diese Arten spielen hier keine Rolle und müssen sie auch nicht). 2. Das Übersetzen (der eigenen Texte) ermöglichte Arendt, Gedanken zu schärfen und zu aktualisieren (im Anhang gibt eine Kostprobe der „transatlantischen Unterschiede“). Im Zwiegespräch der Sprachen (Englisch und Deutsch) ergeben sich mehr neue Sprachbilder als das Verbote erteilt werden. Der Übersetzung wohnt einer poetischen Qualität inne und wirkt somit auf den Gedanken belebend. Übersetzen ist nicht leicht, im Gegenteil, eher beschwerlich, doch der Weg ist das Ziel. 3. Die Dichtung spielt überhaupt eine wichtige Rolle. Sie durchsetzt Arendts Texte, lockert sie auf und befruchtet die Gedanken (und laden somit mich als Leser zum Weiterdenken ein, auch Jahre nach der Niederschrift.) Im Austausch mit (biblischen) Texten, das einem Sichüberwerfen gleichkommt, bietet Arendt eine neue Lesart und Interpretation vom Akt des Verzeihens an. Er bezieht sich nie auf die Tat (sie kann nie ungeschehen gemacht werden), sondern auf die Person. Verzeihen ist eine Möglichkeit, dem Teufelskreis von „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zu durchbrechen und einen neuen Anfang zu markieren (vorausgesetzt die Person bereut ihre Tat). Vielleicht ist das eine (zu) naive Sichtweise und optimistische Einschätzung des Menschen, aber ich möchte sie mir doch zu eigen machen. 4. Drama, Drama, ständig und überall. In Zeiten von Social Media & vor dem Hintergrund der Mo­ne­ta­ri­sie­rung von Emotionen wirkt das Kapitel etwas befremdlich. Das Dramatisieren zielt jedoch auf Dialog und Austausch ab. Mit der Vergangenheit und der Gegenwart gleichermaßen. Es geht nicht darum, als Einsiedler zu leben, sondern Gedanken zu teilen und alte wie neue aufzunehmen. Und im dramatischen Spiel können sich daraus neue Sichtweisen ergeben. Heutzutage sind es oftmals leider weniger Gedanken als Noise und Hass, die uns auf Facebook & Co. erreicht. Anspruch und Wirklichkeit fallen also weit auseinander, könnte man meinen, aber das ist eher beschämend für „uns“. In allem eine anregende Lektüre. Marie Luise Knott schreibt unprätentiös, klug und einfühlsam. Hervorheben möchte ich auch die wunderbaren Zeichnungen der Künstlerin Hanna Meyer. Sie illustrieren jedes der vier Kapitel (das Buchcover zeigt einen Ausschnitt). Ein herrliches Spiel mit Wörtern / Worten und den dazugehörigen Skizzen, die an sich bereits zum Denken und Schmunzeln einladen. Allein hierfür lohnt sich die Anschaffung. Meine Rezension bezieht sich auf die Erstausgabe von 2011 und nicht auf die erweiterte Neuausgabe von 2017 (so ist das wenn zwischen Buchanschaffung und Lektüre Jahre liegen).

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