Profilbild von nina 🌸

nina 🌸

Posted on 6.4.2021

Schockierend, authentisch und unheimlich bewegend. Vorab eine kleine Anmerkung: Ich werde hier ein paar meiner Gedanken zu diesem Buch mit euch teilen, sehe mich aber nicht wirklich in der Lage eine richtige Rezension dazu zu schreiben, wie ich es normalerweise tue. Mir fällt es sehr schwer, überhaupt etwas zu diesem Buch zu sagen, aber ich hoffe, dass ihr aus meinen Worten trotzdem etwas für euch ziehen könnt. Ich habe auf jeden Fall das Gefühl, dass dieser Beitrag sehr persönlich wird... Meine Gedanken zum Buch: Ich bin sehr lange um dieses Buch herumgeschlichen. Einerseits wollte ich es unbedingt lesen, andererseits hatte ich auch Angst davor, weswegen ich es immer wieder vertagt habe. Ich wollte mich bereit für dieses Buch fühlen und nun war es endlich so weit, wobei ich rückblickend sagen kann, dass ich doch nicht wirklich darauf vorbereitet war. Allerdings glaube ich auch nicht, dass ich mich jemals besser darauf hätte vorbereiten können. Das Buch behandelt eine derart sensible Thematik, dass sie einen wohl immer hart trifft, egal wie gut man sich vorbereitet hat. Ich liebe emotionale Bücher, Bücher mit sensiblen und komplexen Themen, die gerne auch mal in eine gesellschaftskritische Richtung abdriften können. Auch wenn ich diese Art von Buch nicht immer lesen kann, weil es auf Dauer einfach zu belastend und negativ wäre, lese ich diese Geschichten doch am liebsten. Ich gehe gerne bis an meine Grenzen, lasse mich berühren, mitreißen, schockieren und aufrütteln, aber sobald ein Buch meine persönlichen Grenzen auch nur um einen Millimeter überschreitet, wird es kritisch - "Meine dunkle Vanessa" ist für mich ein Grenzfall. Diese Geschichte hat so viele widersprüchliche Gefühle in mir ausgelöst wie kein Buch jemals zuvor. Ich war traurig, wütend, angeekelt, fassungslos, verzweifelt, verständnislos und verständnisvoll. Ich war alles und nichts. Es ist eine Geschichte, die so schrecklich ist, dass Worte nicht auszudrücken vermögen, was sie mit mir gemacht hat. Alles was ich zu diesem Buch sagen könnte, scheint mir unzulänglich. In meinem Kopf bilden sich Gedanken, aber sobald ich sie ausspreche, fühlen sie sich falsch an. Das hatte ich bisher noch nie und werde es vermutlich auch nicht so schnell wieder haben. Meine Worte können dieser Geschichte einfach nicht gerecht werden und eigentlich weiß ich auch gar nicht, wie genau ich zu diesem Buch stehe... "Meine dunkle Vanessa" ist für mich kein Buch, dass sich in Sternen oder anderen typischen Bewertungssystemen bewerten lässt. Es ist für mich kein Buch, das man empfehlen oder nicht-empfehlen kann. Ich wollte dieses Buch unbedingt lesen, weil ich die Thematik gleichermaßen faszinierend wie entsetzlich fand und einfach wissen musste, was genau sich hinter dieser Geschichte verbirgt. Falls es euch ebenso geht, macht euch vorher unbedingt intensiv Gedanken darüber, ob ihr diese Geschichte verkraften könnt. Ich denke, wir wissen alle, dass sie nicht ohne ist und einem das Lesen einiges abverlangt, mir ging es jedenfalls so. Wie bereits erwähnt kann man sich meines Erachtens auf eine Geschichte wie diese nicht hundertprozentig vorbereiten und weiß erst ob man wirklich bereit war, wenn man sie schon liest, aber ihr könnt euch zumindest gut überlegen, ob ihr euch diese Thematik zutraut. Mir hat es übrigens auch sehr geholfen, während des Lesens mit jemandem über die Inhalte und die dadurch in mir hervorgerufenen Emotionen sprechen zu können. Was ich euch sagen kann: Ich bereue es nicht, dieses Buch gelesen zu haben. Was ich euch nicht sagen kann: War es für mich wirklich die beste Entscheidung, es zu lesen? Ich bin ein sehr sensibler und empathischer Mensch, der sich nur schwer von den Schicksalen anderer distanzieren kann, gerade bei Büchern. Ich involviere mich schnell emotional in Situationen, mit denen ich eigentlich gar nichts zu tun habe, dementsprechend ging mir dieses Buch sehr, sehr nahe (und diese Formulierung trifft es nicht einmal annähernd, wie ihr euch vielleicht denken könnt). Dass die Geschichte aus Vanessa's Sicht in der Ich-Perspektive erzählt wird, hat es mir nur noch schwerer gemacht, da ich dadurch beim Lesen natürlich in gewisser Weise zu Vanessa wurde. Für eine Zeit war ein Teil von Vanessa's Leid und Schmerz mein eigener und ist es noch. "Meine dunkle Vanessa" ist die Art von Buch, die man nicht so schnell vergisst - vielleicht auch nie mehr vergisst. Es ist eine Geschichte, die nachhallt und einen nie ganz verlässt, das solltet ihr euch meiner Meinung nach bewusst machen. Womöglich geht es euch aber auch anders, wenn ihr mehr Abstand zum Gelesenen wahren könnt. Was ich damit sagen will: Niemand anderes kann für euch entscheiden, ob ihr dieses Buch lesen und verkraften könnt. An dieser Stelle möchte ich auch eine Triggerwarnung aussprechen. Das Buch selbst hat keine, da durch den Klappentext bereits klar wird, dass es um Missbrauch und Vergewaltigung geht, aber was daraus nicht hervorgeht, ist, dass die expliziten Szenen in diesem Buch wirklich sehr detailliert beschrieben werden und für mich war das mehr als hart. Zeitweise liest sich dieses Buch wie die Verschriftlichung eines Pornos - in diesem Fall Kinderpornographie und Vergewaltigung. Es war schrecklich zu lesen, aber für mich macht es das Buch auch aus. Es ist direkt, unverblümt und schonungslos ehrlich und das ist auch gut so. Beschönigen neigen zu Verharmlosungen und das ist bei dieser Thematik alles andere als angebracht. Diese Thematik sollte einen hart treffen, muss es sogar. Daneben kommen noch weitere Themen wie Grooming, Victim Shaming etc. hinzu. Zu Beginn fiel es mir oft schwer, mich in Vanessa und ihre Lage hineinzuversetzen, was bei mir wie gesagt selten der Fall ist. Mir fällt es für gewöhnlich sehr leicht, mich in andere Menschen einzufühlen, auch wenn ich selbst gar keinen persönlichen Bezug zu ihren Erlebnissen und Erfahrungen habe, was hier glücklicherweise der Fall ist. Anfangs konnte ich Vanessa's Gedanken und Gefühle, ihre gesamte Einstellung oft nicht nachvollziehen und nachempfinden, rückblickend sehe ich das Ganze allerdings anders. Jetzt nach Beenden des Buches kann ich sagen, dass ich Vanessa so viel besser verstehe als ich es zu Beginn jemals für möglich gehalten hätte. Ich kann selbstverständlich nicht für Betroffene sprechen und auch Betroffene empfinden es sicherlich nicht alle gleich, aber auf mich hat die Darstellung von Vanessa's Gedanken, Gefühlen und Ansichten hier sehr authentisch gewirkt. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich einige Betroffene wirklich genauso fühlen. Dass die Umsetzung auf mich so ehrlich, glaubhaft und authentisch gewirkt hat, machte das Lesen für mich selbstverständlich nur noch schwerer. Dennoch möchte ich hier keinesfalls den Anschein erwecken, dass ich mir wirklich ausmalen kann wie sich Betroffene fühlen - das kann ich keineswegs und eigentlich bin ich auch froh darum. Das Lesen hat mir einiges abverlangt, war beklemmend, verstörend und schmerzhaft - und dennoch konnte ich nicht damit aufhören. Ich wurde voll und ganz von der Geschichte eingesogen und konnte sie kaum aus der Hand legen. An manchen Stellen musste ich pausieren und mich erstmal wieder fangen (insbesondere bei den expliziten Szenen), aber dann war der Drang weiterzulesen sofort wieder da. Dieses Buch macht süchtig. Manchmal frage ich mich allerdings auch, ob ich es vielleicht einfach nur schnell beenden wollte, eben weil es so schwer und belastend war. ‼️ Achtung! Die zwei nachfolgenden Absätze enthalten kleinere Spoiler ‼️ Aufgrund des Klappentextes hatte ich mir die Geschichte ein bisschen anders vorgestellt als ich sie letzten Endes empfunden habe. Ich dachte, dass Vanessa gar nicht begreifen würde, was ihr damals widerfahren ist und das sehe ich jetzt etwas anders. Die Begriffe Missbrauch, Vergewaltigung und Pädophilie fallen recht früh und auch wenn Vanessa sich Strane's Manipulation damals nicht bewusst war, so weiß sie es doch zumindest jetzt im Jahr 2017, zumindest habe ich es so interpretiert. Ich glaube, dass Vanessa es sich selbst nur nicht eingestehen kann, weil die Wahrheit zu schrecklich wäre. Sie muss daran festhalten, dass es wahre Liebe war, um nicht daran zu zerbrechen. Es ist Selbstschutz. Ich bin aber überzeugt, dass sie tief in ihrem Inneren weiß, dass es Missbrauch war. Vanessa ist ein kluges Mädchen, das bereits in jungen Jahren sehr reflektiert erscheint, weswegen ich sogar den Verdacht hege, dass sie es damals in gewisser Weise auch schon wusste - unterbewusst, verdrängt und verblendet von ihrem manipulativen und berechnenden Lehrer, zu hilflos und ohnmächtig um sich die Wahrheit einzugestehen. Besonders schockierend war für mich auch, wie unterschiedlich ich zu Beginn und am Ende über die Geschichte dachte. Dadurch dass die Geschichte aus Vanessa's Sicht erzählt wird, habe ich sie zunächst auch wie sie erlebt und zwar so sehr, dass ich Strane selbst fast auf den Leim gegangen wäre. Ich hätte mir zu Beginn durchaus vorstellen können, dass er Vanessa wirklich geliebt hat. In meinen Augen zeigt dieser Umstand nur noch mehr, wie gefährlich und toxisch Schüler:in-Lehrer:in-Beziehungen sein können. Im Gegensatz zu Vanessa wurde für mich ab einem bestimmten Punkt offensichtlich, wie sehr er sie manipulierte, aber hätte ich das mit 15 Jahren auch gemerkt? Hätte ich es gemerkt, wenn es wirklich um MICH gegangen wäre? ‼️ Spoiler Ende ‼️ Als Leser:in merkt man deutlich, an welchen Stellen Strane Vanessa manipuliert und geblendet hat. Es ist offensichtlich, nur nicht für Vanessa, was wirklich unheimlich schwierig zu lesen war. Sie ist emotional komplett von ihrem Englischlehrer abhängig, der ihr aber permanent das Gefühl gibt, sie wäre die Mächtige von ihnen und würde selbst entscheiden. Sie ist nahezu von ihm besessen, ihm hörig und willenlos. Sie ist so sehr auf ihn fixiert, dass sie kein Leben ohne ihn führen kann, auch Jahre später nicht. Die Langzeitauswirkungen des Missbrauchs werden hier sehr authentisch und nachvollziehbar aufbereitet. Irgendwann habe ich nur noch um Vanessa geweint. Unabhängig davon was sie tut, denkt und fühlt, ist Vanessa für mich unheimlich stark. Ihr Charakter wird in seiner Komplexität so detailliert und tiefgehend aufbereitet, dass es mich innerlich zerrissen hat. Sie ist echt, pur, gebrochen und in sich verloren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Leseerlebnis noch intensiver und ergreifender sein könnte als dieses hier. Vanessa erzählt die Geschichte teilweise so nüchtern, distanziert und emotionslos als wäre sie eine Unbeteiligte, was mir persönlich wiederum durch Mark und Bein ging. Um den Aufbau des Buches nicht ganz zu vernachlässigen: Das Buch spielt sich auf zwei Zeitebenen ab - 2017 in Vanessa's Gegenwart und im Zeitraum von 2000 bis 2007 als Vanessa und Strane zusammen waren. Man erlebt mit wie sie sich kennenlernten und wie sich ihre Beziehung zueinander über die Jahre entwickelte. Das Buch endet recht abrupt, was ich etwas schade fand, da ich mir noch mehr Details gewünscht hätte. Ich wüsste gerne wie es mit Vanessa weitergeht, aber vielleicht suche ich auch einfach nur nach meinem unrealistischen Happy End, das nicht zu dieser Geschichte gepasst hätte. Es ist ein ehrliches Buch, authentisch und lebensnah. Es endet nicht wie man es sich wünschen würde, sondern so wie es realistisch ist. Es zeigt die Dinge wie sie wirklich sind und es ist eben nicht alles schön. Ich hoffe, ihr konntet daraus etwas für euch mitnehmen. Wie ihr vielleicht gemerkt habt, fiel es mir wirklich nicht leicht, darüber zu sprechen bzw. zu schreiben. Ich würde diesem Buch 4,5 Sterne ⭐️ geben, allerdings halte ich es immer noch für unangebracht, diese Geschichte mit Sternen abzuspeisen. Sie mag zwar fiktiv sein, aber sie steht für so viele reale Menschen, dass es mir einfach nicht ganz richtig erscheint.

zurück nach oben