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Buchdoktor

Posted on 1.12.2020

>>>Die Natur tut nichts Belangloses<<< Der Journalist und Autor John Lewis-Stempel kauft das Anwesen Trelandon mit Blick auf die Black Mountains in Herefordshire, in einer Gegend, in der bereits seine Vorfahren als Landwirte arbeiteten. Er und seine Frau züchten zu diesem Zeitpunkt schon Schafe, sie möchten mehr Platz dafür und wollen vom Tourismus entlang des Offa’s Dyke Path profitieren, indem sie Zimmer vermieten und Wollprodukte auf Bauernmärkten verkaufen. Die 16 ha liegen idyllisch am Escley, ein verfallenes Farmhaus und 1000-jährige Eichen warten auf die neuen Besitzer, ein Eisvogel ist zu beobachten, die Wiesen für die Schafe sind allerdings nass bis sumpfig. Das abgelegene Tal scheint die letzte Wildnis Englands zu sein. Die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln regt den Autor an, ein Jahr lang autark zu leben, ohne Kühlschrank und nur zu verzehren, was die Natur bereithält. Das sind Vögel, Enten, kleine Säugetiere wie Eichhörnchen, Fische, Nüsse, Pilze, Früchte und grüne Blattpflanzen, von denen nur Insider wissen, dass sie essbar sind – und an einigen Tagen: nichts. Frau und Kinder ernähren sich wie bisher – eine harte Versuchung, finde ich. Anmerkungen des deutschen Verlags klären zu Beginn des Buches darüber auf, dass die Naturschutz- und Jagdgesetzte in England und Wales sich von den deutschen Gesetzen unterscheiden und deutsche Nachahmer evtl. nicht alles sammeln und jagen dürfen, das der Autor zubereitet. Lewis-Stempels erste Erfahrung wird sein, dass Sammeln, Jagen, Zubereiten und Haltbarmachen immense Zeit kosten und am Abend die Ausbeute häufig nicht reicht, um den knurrenden Magen zu besänftigen. Als Vollzeit-Landwirt könnte er sich seinen Versuch nicht leisten, weil dann sein Betrieb zu kurz käme. Auf der Suche nach einfachen Rezepten scheint der moderne Sammler sehr erfolgreich gewesen zu, für die man nicht erst in ein Feinkost-Geschäft fahren muss. Zu jedem Beutetier und jedem bitteren oder haarigen Blattgemüse gibt es im Buch Rezepte. Schlachten und Verarbeiten machen schmutzig – L-S. Mitmenschen sehen und riechen noch tagelang an ihm, was er zerlegt und gebrutzelt hat. Werden Vorräte schlecht, gibt es nichts zu essen, der Jäger und Sammler kann nicht einfach eine Dose aus dem Regal nehmen. Zu allem Überfluss ist er bei seiner Nahrungssuche Sklave des Wetters, ein Jäger und Sammler kennt keinen freien Tag. Dass eine Nahrung aus Fleisch und Blattgemüse recht einseitig sein kann, spürt L-S, als er gesundheitliche Probleme bekommt. Das Leben in und von der Natur in einem vertrauten Terrain bringt den Autor seinem betagten Vater näher, der früher in der Gegend als Verwalter eines landwirtschaftlichen Betriebs Hopfen angebaut hat, und auch seiner Großmutter, deren Einfluss auf sein Verhältnis zur Natur ihm bisher unbewusst gewesen sein könnte. Schließlich gelangt der erfahrene Landwirt zu der Einsicht, dass ein Selbstversorger gezwungen ist, ständig in Bewegung zu sein und damit Endorphine ausschüttet, die dunkle Gedanken im Herbst verhindern. Neben Anekdoten mit Nachbarn, Naturschützern und den schulpflichtigen Kindern des Paars spielt auch Labrador-Hündin Edith eine wichtige Rolle, deren Abrichtung zum Jagd- und Apportierhund während L-S. Jäger-und-Sammler-Jahr fortgesetzt wird. Fazit Der Einklang zwischen dem Autor, seiner Region und seiner Herkunft wirkt völlig rund und ist Anlass für mich, auch seine bisherigen Bücher zu lesen. Meinen Blick auf Sauerampfer, Hagebutten und Bärenklau-Wurzeln hat L-S. bereits nachhaltig verändert. Wer schwer erträgt, dem Autor beim Schlachten von Kaninchen oder Enten zuzusehen, sollte das Buch besser nicht lesen. ------ Zitat „Es ist so warm, dass die Insekten der Nacht unterwegs sind, und Flotten kleiner Nachtfalter treiben vor der Hecke, während langlebige Kohlschnaken uns grotesk im Weg hängen. In der schlummernden Auguststille kann ich das hochfrequente Zirpen von Laubheuschrecken wahrnehmen. Es liegt noch etwas in der Mitternachtsluft. Ich kann die ersten Spuren von Verwesung riechen, die ersten Spuren reifender Früchte. Der Sommer ist vorbei.“ (Seite 313/14)

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