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Bris Buchstoff

Posted on 15.2.2020

Männerwelten oder vom Unsichtbarmachen von Frauen Jeder kennt diese Situation, wenn jemand einem die Welt erklären will. Frauen jedoch kennen das ganz besonders. Meine Situationen dazu erlebe ich häufig in der Arbeit. Dabei muss ich aber auch sagen, dass die Männer, die mir hier die Welt erklären, es nicht böse meinen, das nicht, sie sind einfach nur nicht aufmerksam genug, zu ermitteln, was ich an meinem Arbeitsplatz tagtäglich - und das seit mittlerweile 13 Jahren - an Problemen ohne ihr Dazutun löse. Wenn Sie mir dann mein Tagesgeschäft erklären, werde ich schon mal massiv. Da ich sie aber prinzipiell mag und sie alle keine schlechten Kerle sind, versuche ich in Kleinstarbeit, ihre Achtsamkeit gegenüber einigen Mechanismen zu erhöhen und meine sogar Erfolg damit zu haben. Womit ich nicht umgehen kann - und es auch ehrlich gesagt gar nicht will - ist die Tatsache, dass es immer wieder Menschen, nein hier muss ich mich korrigieren - Männer gibt, die in den sozialen Medien gewisse Muster an den Tag legen, um andere Diskussionsteilnehmer - und da machen diese Männer meist keinen Unterschied bezüglich des Geschlechts ihres Gegenübers - einfach abzubügeln. Besonders beliebt: Die Aussage einer Person wird verdreht und angekreidet, wenn die Person dann noch einmal erklärt, was tatsächlich gemeint war, wird nicht darauf eingegangen, im Gegenteil, es geht zurück zum Punkt an dem die Verdrehung anfing. Wie eine tibetanische Gebetsmühle nur mit weniger Sinn spult der Erklärer alles noch mal ab. Gegenargumente, Verdeutlichung des ursprünglich Gemeinten, Versuche auf eine Ebene der wahren Diskussion zu kommen scheitern, weil der Erklärer nicht bereit ist, dies alles überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn darauf einzugehen. Im Gegenteil. Der Erklärer geht noch einen Schritt weiter, er beharrt nicht nur auf der einzigen Wahrheit, die er gepachtet hat, er erklärt sie seinem Gegenüber und stellt ganz klar, dass das Gegenüber einfach nicht verstehen will, nein kann, denn es ist nicht so klug wie der Erklärer und das muss man ja auch mehrfach feststellen. Ein Muster, das man bei bestimmten Typen nach kurzer Zeit erkennen kann und dem man irgendwann nur noch genervt aus dem Weg geht. Mansplaining Rebecca Solnit hat solche Situationen zu Genüge selbst erlebt. Die krasseste aber ist wohl die, die sie dazu gebracht hat, einen Essay zu verfassen, der der vorliegenden Sammlung von sieben Essays, den Titel Wenn Männer mir die Welt erklären gab. Am Ende einer Party unterhielt sie sich zusammen mit ihrer Freundin mit dem Gastgeber. Das Gespräch kam auf Eadweard Muybridge, das Fachgebiet Solnits, hatte sie doch eben erst ein Buch über ihn veröffentlicht. Doch sie kommt gar nicht dazu, sich zu äußern, denn der Gastgeber will erst mal davon erzählen, dass es da ein neues Buch zum Thema gibt, das sehr gut ist. Solnits Freundin versucht den Gastgeber darauf aufmerksam zu machen, dass die Autorin des Buches, das er eben so lobt, vor ihm steht. Dreimal muss sie das tun, bevor es eine kurze Reaktion des Gastgebers gibt, der innehält und schließlich zugeben muss, das Buch gar nicht selbst gelesen zu haben, nur einen Artikel darüber. Seit dem Essay über diese Situation und die Haltung von vielen Männern - Solnit spricht ausdrücklich davon, dass nicht per se davon ausgegangen werden kann, dass alle Männer sich so verhalten - Gesprächspartner*innen gegenüber, wird ihr zugeschrieben, die inhaltliche Grundlage für den neuen, mittlerweile aber stark verbreiteten Begriff des Mansplaining gelegt zu haben. Dieser Essay findet sich im vorliegenden Buch gleich zu Beginn und bildet einen durchaus auch amüsanten Einstieg in das für Solnit essentielle Thema: Gleichberechtigung. Für Frauen und Männer. Eine tolle Initiative zum selben Thema hat zum Beispiel Emma Watson mit ihrer Kampagne #heforshe ins Leben gerufen. Gewalt hat ein Geschlecht Sicherlich sind nicht nur Männer dazu befähigt, Gewalt auszuüben. Das steht nicht in Frage. Die Faktenlage aber zeigt eindeutig, dass deutlich mehr Männer gewalttätig werden als Frauen. Im Essay Der längste Krieg, aus dem Jahr 2013 stammend, zeigt Solnit ganz klar auf, dass es wichtig ist, über Geschlecht zu sprechen. Denn tun wir das nicht, wird zu viel verschwiegen. Vor allem aber wird über die Gründe der Gewalttaten geschwiegen "Allseits beliebt sind als Entschuldigung auch psychische Probleme und Drogeneinlluss - und bei Sportlern: Kopfverletzungen. Die neueste Variante lautet, Bleibelastung sei für einen Großteil unserer Gewalttaten verantwortlich, nur dass beide Geschlechter Blei ausgesetzt sind, aber nur eines davon den Großteil aller Gewalttaten begeht. Die Pandemie der Gewalt wird ständig mit allem möglichen erklärt, außer mit dem Geschlecht, mit allem außer dem, was das umfassendste Erklärungsmuster zu sein scheint." Wie man sieht, versteigt sich Solnit nicht auf ein alles erklärendes, unumstößliches Urteil, sondern macht darauf aufmerksam, dass gerade das evidenteste Erklärungsmuster außen vor bleibt und damit setzt sie nicht voraus, dass es nicht auch andere Gründe geben kann, wie sicherlich einige Menschen es ihr gerne vorwerfen würden. Aber so wie die Male idiot theory (MIT) durch eine Studie, die im British Medical Journal veröffentlicht, belegt, dass Männer aufgrund ihres Geschlechts Risiken häufiger falsch einschätzen als Frauen, so sollten wir auch bei Gewaltverbrechen über Zahlen und Geschlecht sprechen. Die Zahlen, die Solnit in ihren Essays aufruft sind erschreckend und verstörend. Vom Unsichtbarmachen Wenn wir nicht über Geschlecht reden, dann passiert auch noch etwas anderes: Die Bilder, die in unser aller Köpfe entstehen, wenn wir zumeist die männliche Form von beispielsweise Berufen verwenden, lassen uns automatisch auch nur Männer sehen. Vor nicht allzu langer Zeit gab es in den sozialen Medien einen spannenden Versuch, der auf Video aufgezeichnet wurde. Kinder im Kindergarten wurden gefragt, was sie einmal werden wollten und sollten dann Bilder über diese Berufe zeichnen. Ein einziges Mädchen hat tatsächlich ein Mädchen / eine Frau in ihrem Wunschberuf gezeichnet. Alle anderen Kinder zeichneten Jungen / Männer. Als dann die Tür aufging und lauter Frauen, die in sogenannten Männerberufen arbeiteten eintraten, staunten auch die anwesenden Erwachsenen nicht schlecht. Kinder sind unbedarfter als wir, sie spiegeln ihre Wahrnehmungen und damit auch, wie wir mit Sprache umgehen. Deshalb ist es notwendig, aufmerksam damit umzugehen. Wenn wir also bei vielen Wörtern die weibliche Form nicht verwenden - was ja meist aus Gewohnheit passiert - dann zementieren wir eine jahrzehntelang etablierte Tradition weiterhin. Eine Tradition, die soweit reicht wie das Beispiel, das Solnit in ihrem Essay Großmutters Spinne aus der Familiengeschichte einer Freundin anführt. Diese Freundin kann ihren Stammbaum eintausend Jahre zurückverfolgen. Allerdings finden sich dort nur die männlichen Mitglieder der Familie. Frauen werden nicht erwähnt. "Man tilge seine Mutter, dann die beiden Großmütter, dann die vier Urgroßmütter. Geht man weitere Generationen zurück, dann verschwinden Hunderte, Tausende. Mütter verschwinden, und die Väter und Mütter dieser Mütter. Immer mehr Menschenleben Kommen abhanden, als wären sie nie gelebt worden, bis man einen Wald auf einen Baum reduziert hat, ein Netz auf eine Linie. Auf diese Weise schafft man eine lineare Erzählung von Blutsverwandschaft oder Einflussnahme oder Bedeutung." So wie die Frauen in den Stammbäumen nicht sichtbar sind, so wurden sie in ihren Ehen unsichtbar. Auch in Deutschland durfte eine verheiratete Frau bis in die 1960er/70er Jahre hinein keine Arbeit ohne ausdrückliche Zustimmung ihres Mannes annehmen. Verdiente sie den Familienunterhalt war ihr trotzdem nicht gestattet, ein Bankkonto zu eröffnen, um ihr erarbeitetes Geld dorthin überweisen zu lassen. Das Konto lautete auf den Namen ihres Mannes. Und bis heute steht auf den Formularen der Steuererklärung, die ich jedes Jahr machen muss - als diejenige, die den Familienunterhalt verdient - Steuernummer des Steuerzahlers, bei Ehegatten: Ehemann. Es ist also nach wie vor wichtig, dass wir für eine wahre Gleichstellung kämpfen und dabei sind Texte wie die von Rebecca Solnit eine große Unterstützung, weil sie fachlich fundiert, unaufgeregt und sprachlich flüssig die Sachlage perfekt darstellen. Vorangestellt sind den einzelnen Essays, die aus unterschiedlichen Jahren stammen, wunderbare schwarz/weiß Abbildungen von Bildern einer mir bisher unbekannten Künstlerin. Ana Teresa Fernández hat hier Werke geschaffen, die die Texte von Rebecca Solnit sehr schön unterstützend begleiten, obwohl sie unabhängig von den Texten entstanden.

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