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Buchdoktor

Posted on 26.9.2022

Die neunjährige Elsa erkennt den Mann, der gerade ihr erstes eigenes Rentier getötet hatte. Es ist Robert Isaksson, Sámi wie sie. Wortlos zieht er mit dem Finger eine Linie über seinen Hals. Wenn sie ihn verrät, wird er sie töten. Schon jahrelang haben die Rentierhalter im nordschwedischen Jockkmokk vergeblich Fälle von Tierquälerei angezeigt. Jedes Mal, wenn die Polizei beschließt, wieder nicht zu ermitteln, landet bei den Opfern wieder ein Bescheid in der Schublade, wie bei Elsas Eltern. Inzwischen ist Elsa erwachsen. Von ihrem Vater und ihrem Bruder Mattias hat sie ihr Handwerk als Tierhalterin gelernt und könnte sich mit einer eigenen Herde selbstständig machen. Heiraten könnte sie dann nicht mehr; denn welcher traditionsbewusste Rentierhalter würde seiner Frau eine eigene Herde erlauben? Und wer hätte von einer Frau gehört, die zur Sprecherin der Gemeinschaft gewählt worden wäre? Weder in der Tradition der Sámi ist das vorgesehen, noch in einer Region, in der die schwedische Bevölkerungsmehrheit schon lange Sonderrechte für die nationale Minderheit ablehnt. Elsas Freundin Minna hat längst Konsequenzen gezogen, studiert und arbeitet heute als Rechtsanwältin. Für Elsa dagegen ist noch immer nichts klar. Rentierzüchter ist ein risikoreicher Beruf, der sich nur lohnt, wenn die Tiere frei laufen können und nicht unten im Dorf gefüttert werden müssen. Bedroht sind die Herden durch Unfälle in harten Wintern, Raubtiere wie Bären und – nach vielen Jahren noch immer – durch einen perversen Tierquäler, den die Gemeindemitglieder zu gut kennen. Zum Frust über die ermittlungsfaule Polizei kommt nun nach dem Tod von Lasse die Angst, in Mattias Generation könnten sich weitere junge Männer das Leben nehmen. An wen soll sich ein junger Sámi mit Problemen hier wenden – an die ahnungslose schwedische Ärztin in der Gesundheitsstation? Die für Elsa traumatische Tötung ihres Rens bildet die Rahmenhandlung für einen geschickt komponierten Plot, in den der reale Hintergrund passiver Polizeikräfte und wirtschaftliche wie familiäre Probleme eines indigenen Volks gefügt werden. Hochinteressant auf dem Weg in die Moderne fand ich den Nachfolgekonflikt in Elsas Familie und die Rolle der Frauen. Der Focus auf Elsa, ihr ganzes Dorf, das sich von einem einzelnen Gewalttäter lähmen lässt, und nicht zuletzt die Spannung, wie die Figuren sich entscheiden werden, macht den Roman für mich zu einem Highlight des Jahres.

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