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Buchdoktor

Posted on 17.12.2021

Der Montrealer Kriminalbeamte Victor Lessard steht nach der Trennung von Frau und Kindern und dem traumatischen Tod zweier Kollegen im Dienst am zaghaften Beginn einer Zukunft als trockener Alkoholiker. Als der Verwaltungschef eines Krankenhauses an seinem Arbeitsplatz offenbar mit einem Jagdmesser fachkundig niedergemetzelt wird, wissen Michauds Leser bereits mehr über ein mögliches Tatmotiv als das Ermittlerteam. Der Täter folgte offenbar einem präzisen Racheplan, bei dem man ihm über die Schulter sehen kann. Sein erstes Opfer ruht bereits in einem Golfsack in einem geparkten Auto, das dummerweise kurz darauf von jugendlichen Autodieben gestohlen wird. Der Täter lässt sich (für seine Persönlichkeit verblüffend) von seinem Plan ablenken und folgt gerade seiner zweiten Zielperson, als ihm im Krankenhaus überraschend der Verwaltungsmann Mongeau über den Weg läuft, der an dem Tag noch nicht auf seiner Agenda stand. Lessard und sein Team forschen nun akribisch nach Feinden, die der politisch aktive Verwaltungsmann gehabt haben könnte – unter den Argusaugen von Chef Tanguay, der die Ermittlungen zum bestens vernetzten Mongeau am liebsten ganz einstellen lassen würde. Ob Mongeau gegen Tanguay etwas in der Hand hatte? In diesem Krankenhaus liegt die junge Simone Fortin im Koma, die bei einem Unfall mit Fahrerflucht verletzt wurde. Als Leser ist man zu dem Zeitpunkt mitten zwischen mehrere Erzählperspektiven und verschiedene Zeitebenen gestoßen worden (Simone erzählt aus der Ichperspektive, ein allwissender Erzähler weiß stets mehr als das Team Lessard und von eingeblendeten Erlebnissen eines Kindes mit seinem Vater bei der Jagd können sicher nur Vater und Sohn wissen). Selbst wenn Michauds Leser lange im Dunkeln tappen, sind sie dem Team Lessard stets einen Schritt voraus. In dem Mosaik aus zwei Todesopfern, die in gleicher Weise abgeschlachtet wurden, Simone als Unfallopfer und sonderbaren Erlebnissen, die sie offenbar mit einem Mann namens Miles verbinden, schien mir der zeitliche Ablauf nicht zu stimmen. Miles trifft jedoch offenbar genau Simones schwachen Punkt, einen Grabstein auf einem Friedhof, von dem nach Simones Überzeugung niemand wissen konnte. Als Simone sich gegen ärztlichen Rat aus dem Krankenhaus verabschiedet, um nach Miles zu suchen, ist das der Beginn einer für sie selbst, ihr Umfeld und Lessards Team lebensgefährlichen Jagd nach dem Mann mit dem Jagdmesser. Simones Vergangenheit öffnet schließlich den Zugang zur Verbindung zwischen Täter und Opfern. Nachdem ich durch Simones Erlebnisse mit „Miles“ kurz an meiner Wahrnehmung zweifeln musste, entfaltete sich der Startband in die Victor-Lessard-Serie zu einem überaus blutigen, komplexen Krimi mit diversen Verknüpfungen, dem sehr berührenden Thema Koma-Patienten und der ethisch hoch interessanten Frage, wann Menschen lernen, sich mit der Vergangenheit zu versöhnen. Die Serie 1. Il ne faut pas parler dans l'ascenseur (2010) / Without Blood 2. La Chorale du Diable (2011) 3. Aus dem Schatten des Vergessens (2020) 4. Durch die Tore des Todes (2021) 5. In die Fluten der Dunkelheit (2021)

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