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gachmuret

Posted on 4.11.2021

Die 16jährige Ada lebt mit ihrem Vater Kostas, seines Zeichens bekannter Botaniker, in London. Es ist kurz vor Jahresende und es ist fast ein Jahr her, dass ihre Mutter Defne gestorben ist, noch dazu unter für Ada traumatischen Umständen. Adas sowieso schon nicht sehr redseliger Vater, ist seither noch weiter verstummt und spricht, wenn er denn spricht, hauptsächlich über Bäume. Von der unmöglichen Liebe ihrer Eltern vor Jahrzehnten auf Zypern weiß Ada nichts, wie sie überhaupt über die Geschichte ihrer Eltern und deren Heimat nichts weiß - vom googlebaren Wissen einmal abgesehen. Das bricht auf, als Defnes Schwester nach dem Tod ihrer Eltern in London auftaucht, um die beiden zu besuchen - was Ada empört, immerhin war von der Familie ihrer Mutter niemand zur Beerdigung erschienen. Als verbindendes Element zwischen den drei Zeitebenen, in denen Elif Shafak die Geschichte von Kostas, Defne und Ada erzählt, dient ein Feigenbaum. Ein Feigenbaum, die einst Zeugin der heimlichen Liebe zwischen dem Griechen Kostas und der Türkin Defne war - mitten auf einer Insel, die Jahrtausende lang Kulturen verband und auf der nun Grenzen zwischen Nachbarn gezogen wurden und ein Bürgerkrieg ausbrach. Ein Feigenbaum, die Zeugin wurde, wie sich beide nach vielen Jahren wiederfanden und von der sie einen Trieb mit nach London nahmen, wo ein neuer und doch alter Feigenbaum wieder erwuchs. Dieser Feigenbaum erzählt, was die Menschen in diesem Roman nicht zu erzählen vermögen, weil ihre Wunden zwar verschlossen sind, aber nicht heilen. Elif Shafak gelingt mit diesem vielschichtigen und hellsichtigen Roman eine wahrhaft wundervolle Erzählung, die schmerzhaft zeigt, wie wenig wir Menschen doch vom Leben in all seiner Vielfalt und Pracht verstehen. Eine Geschichte voller eindrücklicher Bilder, erzählerischer Fülle und sprachlicher Kraft. Ich bin beeindruckt und dankbar - dieses Buch wird noch lange in mir nachhallen.

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