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gachmuret

Posted on 2.11.2021

Die »Schachnovelle« wurde seit ihrem Erscheinen vor 70 Jahren intensiv und von versierten Expert:innen interpretiert und ist nicht zuletzt durch ihren Einsatz als Schullektüre sehr wirkmächtig geworden. Daher möchte ich es bei persönlichen Anmerkungen belassen. Auf mich wirkt die »Schachnovelle« vor allem sehr lamoryant. Da trauert jemand einer untergegangenen großbürgerlichen Welt nach, in der es noch etwas bedeutete, mit kaiserlichen Kreisen zu verkehren. Das tritt weitaus stärker zu Tage als die Versuche, psychische Foltermethoden zu schildern. Besonders stößt mir die Darstellung des Gegenspielers von Dr. B. auf, der bei dem kaum ein Klischee der Slawenverachtung ausgelassen wird. Unbestreitbar bleibt freilich Zweigs Erzählkunst, die hier in der kurzen Form deutlich besser zur Geltung kommt als in seinem unerträglichen Jammerhauptwerk »Die Welt von gestern«. Dass die Flucht in den Geist vor den Nachwirkungen traumatischer Erlebnisse zwar für den Moment Rettung bringen kann, die tiefen Verletzungen im Untergrund aber weiter wirken und nur den richtigen Trigger brauchen, um wieder hervorzubrechen, scheint mir sehr gelungen umgesetzt zu sein. Trotzdem: Für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus sollten wir auf dem knappen Lektüreplan des Deutschunterrichts Platz machen für andere Werke.

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