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mabuerele

Posted on 4.6.2021

„...Adele streckte den Arm Richtung Zufahrtsstraße. Ein Streifenwagen schlich heran. „Derf mer jetzt da auch scho nimma picknickn?“ Wilhelm flehte inständig, dass genau das der Grund für das Auftauchen seiner Kollegen sein möge – und nicht jener, den er vermutete...“ Wilhelms Flehen hat sich nicht gelohnt. Er muss das Picknick mit Adele und Alois und seinen Patenkindern abbrechen. Auf ihn wartet eine Leiche. Die Autorin hat einen spannenden historischen Krimi geschrieben, denn wir befinden uns in Wien des Jahres 1966. Der Schriftstil ist insofern etwas Besonderes, da die Autorin die Personen häufig in ihrem Dialekt oder in ihrer Sprache reden lässt. Auch als Nichtwiener hatte ich damit kein Problem, da ich einige Worte schon kenne und andere sich aus dem Sinnzusammenhang entschließen lassen. Auf jeden Fall erhält die Geschichte dadurch nicht nur ihre örtliche, sondern auch ihre zeitliche Authentizität, denn Sprache verändert sich. Sehr gut sind die Protagonisten charakterisiert. Ich möchte mich auf zwei beschränken. Chefinspektor Wilhelm Fodor weiß mit seinem Team umzugehen. Es sind aber so kleine Bemerkungen, die zeigen, dass er noch heftig mit seiner Vergangenheit zu kämpfen hat. Dort gibt es offene Baustellen. Und diese Zeit hat ihn eins gelehrt. Rassistische Attacken und alte Nazicliquen kann er nicht vertragen. Leider wird er damit wiederholt konfrontiert. Fischer, einer seiner Untergebenen, hat es schwerer, sich einen Standpunkt zu erarbeiten. Einerseits neigt er zu unkontrollierten Äußerungen gegenüber Fremden, andererseits zeigt er gegenüber Schwächeren sehr viel Empathie. Anders ausgedrückt: Mal möchte man ihn runderneuern, mal auf die Schulter klopfen. Der Tote ist von schwarzer Hautfarbe und trägt Stiefel, wie sie GIs habe. Also haben die Kriminalisten die Hoffnung, dass das nicht ihr Fall, sondern der der US – Armee ist. Die aber winkt ab. Ab und an blitzt in der Geschichte ein feiner Humor auf. Die Möglichkeit, Klara, eine junge Kollegin ins Team zu integrieren, wird so kommentiert: „...Und der liebe Herr Innenminister und der liebe Herr Bundeskanzler sind so konservativ, dass sie mich bei der Frage anschauen werden, als würde ich verlangen, einer Spinne das Wahlrecht zu verleihen...“ Die Ermittlungen gestalten sich schwierig. Eine Spur scheint weit in die Vergangenheit zu führen. Gleichzeitig erhalte ich einen Einblick in die historische Situation . Spannend sind insbesondere die Diskussionen in den Gasthäusern. Gespalten ist die Meinung zur Frage von Südtirol. Gleichzeitig heben in Wien die Nazis erneut verstärkt ihre Köpfe. Die alten Seilschaften existieren noch. Deshalb fragt sich Wilhelm: „...Was, bitte, war so schlecht an der mühsam erkämpften Demokratie? Wieso gab es doch erklecklich viele Menschen, die sie wieder abschaffen wollten?...“ Und dann scheint es so, als würde Wilhelm bei einen Ermittlungen selbst observiert. Hat er irgendwo versehentlich in ein Wespennest gestochen? Ab und an beginnen die Kapitel mit Ort, Datum und Uhrzeit. So ist eine Einordnung gut möglich. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen und gleichzeitig mein Interesse am Vorgängerband geweckt. Die Autorin versteht es, die Geschichte gekonnt in die Zeit einzubetten, neben den Ermittlungen Raum für private Befindlichkeiten zu lassen und ihre Protagonisten mit Ecken und Kanten auszustatten. Nichts ist rundgeschliffen, alles hat mehreren Seiten. Nicht zuletzt gefällt mir der Wiener Humor.

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