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SternchenBlau

Posted on 15.1.2021

Es ging ihr ums Prinzip. Oder auch Prinzipien. Ein intensives Buch, das meiner Meinung den Deutschen Buchpreis 2021 würdig gewonnen hat. Neben der sensiblen Auseinandersetzung mit einem realen Person sticht besonders die Form hervor, die Anne Weber wählt: Ein Heldinnenepos ist nämlich nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch im formalen Sinne richtig. Wobei sie durchaus das Held:innen-Bild bricht. Oft ist es neben den Prinzipien nämlich der Zufall, der Annette an die entscheidenden Wendepunkte bringt. Aber genau darum habe ich das Buch ja auch so gerne (als Hörbuch) gelesen: Annette ist so oft heldenhaft, riskiert ihr Leben, aber mit Marvel-Superheld:innen hat sie dennoch wenig zu tun. Weber schildert Annette als Mensch aus Fleisch und Blut. Viele ihrer Taten können wir bewundern, manchmal wundern wir uns vielleicht, aber ich fand sie immer nachvollziehbar. Und auch, wenn wir Vorbilder brauchen, es ist gut, dass wir heute, anders als bei früheren Epen so oft geschehen mit harten Männern häufig, niemand auf einen Sockel gestellt bekommen. Weber macht den Fehler nun eben NICHT bei einer Frau, sondern fühlt sich ein und macht ihre Heldin nahbar, mit feinem Humor sowie Selbstironie und -erkenntnis, die sich auf Protagonistin wie Autorin und Erzählhaltung beziehen. Schon auf Anfang wird der Bogen zum Ende gespannt, auch auf der Metaphernebene. Eine kundige Finesse, von denen Weber so einige in Petto hat, die dieses Buch gleichzeitig zu einem intellektuellen Genuss machen. „Geboren wird Annette in einer Sackgasse. Und das nicht bloß im übertragnen Sinne, wie wir alle.“ Annette suchte immer wieder Wege aus diesen Sackgassen hinaus. Nicht so sehr für sich, sondern für andere. Und so wurde sie zunächst schon in ganz jungen Jahren eine Kämpferin in der Resistance für die Kommunist:innen. Und später setzte sie sich für eine freies Algerien ein. Während die meisten wohl den Kampf gegen Nazis als legitim werten werden, könnte es bei Bomben gegen Kolonisatoren vielleicht schon eng werden. Auch, wenn sie die nicht legt, sondern nur als Fahrerin tätig wird und später als Ärztin und in der ersten algerischen Regierung. Die Frage, was wir als gerechtfertigt sehen, schwingt immer mit. Und Weber stellt gekonnt diese Frage immer wieder und macht Bezüge auf, wie Unterdrückung auf vielfältige Weise wirkt. Durch die Form bekommt die Geschichte etwas märchenhaftes. Das hilft es auch, die harten Fakten zu ertragen, die immer nur am Rande skizziert werden. Eine Content Note in Bezug auf Shoah, Folter und Morde ist dennoch angebracht, auch, wenn hier nichts drastisch geschildert wird. Aber in der Skizzierung durchaus sehr emotional. Es ist eher der Fakt, DASS es passiert, denn wie genau es passiert ist. Zudem wird in einer historischen Einordnung das Z-Wort und in einem Zitat das N-Wort benannt. Letzteres Zitat ist recht heftig. Aber hier werden wie häufig im Buch die Bezüge zwischen verschiedenen Diskriminierungen und Rassismen aufgemacht. Ich bin wirklich froh, dass es Menschen wie Annette immer wieder gab und gibt. „Es ging ihr ums Prinzip. Oder auch Prinzipien.“ Die Fragen, wann etwas zu tun geboten ist, wird bei mir noch eine Zeitlang nachwirken.

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