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juttaortlepp

Posted on 21.10.2020

Biografische Romane von Volker Weidermann oder auch seine Skizzen zur Literaturgeschichte gehören für mich zur besten Lektüre überhaupt. Neu erschienen ist jetzt "Brennendes Licht", das Anna Seghers' Exiljahre 1941 – 1947 in Mexiko-Stadt zum Thema hat. Überlegt und geradezu behutsam zeigt er Anna Seghers auf der Flucht aus Nazi-Deutschland. Über die Schweiz, Frankreich, Nordamerika geht es, bis die Familie Aufnahme in Südamerika, in Mexiko findet. Ich musste an Stefan Zweigs Flucht nach Brasilien denken, wie unglücklich er dort war, wie ihm die deutsche Sprache gefehlt habe muss. Doch war er 20 Jahre älter als die Seghers, über deren Ankunft und Leben im Exil wir nun hören. Viele deutsche Freunde waren da, sie gründete mit Egon Erwin Kisch den "Heinrich-Heine-Club" - für Veranstaltungen, zum Austausch, als Treffpunkt. Gut situiert stand sie da - "Das siebte Kreuz" wurde mit großem Erfolg in den USA publiziert und dann verfilmt – sie war berühmt. Doch war nicht alles strahlendes Licht, ein Unfall fesselte sie ans Krankenhaus und beeinträchtigte ihr literarisches Schaffen. Und doch wird Anna Seghers später die Jahre in Mexiko als "die schönsten meines Lebens" bezeichnen. Ja. Gut. Warum Volker Weidermann diese biografische Skizze zeichnet wird mir nicht so ganz klar. Er stellt seiner Literatin - sozusagen als Unterstützung - eine ganz Reihe recht illustrer Dichter, Künstler, Spione, Parteigrößen, rasende Reporter an die Seite, diese machen das Buch interessanter und lebendiger. Überhaupt schreibt Weidermann – so finde ich – am berührendsten, wenn nicht von Anna Seghers die Rede ist. 1945 – Kriegsende. Nun wollen alle zurück, wollen wieder gebraucht werden, beim Neuaufbau mitwirken. Stefan Zweig hat es nicht geschafft, sein altes, sein geliebtes Europa, es war nicht mehr – und so wollte er auch nicht mehr sein. Anna Seghers jedoch möchte Europa, möchte Deutschland erneuern. Sie geht nach Ostberlin, in der DDR stirbt sie 1983, hochgeachtet und -dekoriert. Immer fest auf Parteilinie mit Privilegien wie etwa Reisefreiheit ausgestattet - nie wankend, nie zweifelnd, lavierend zwischen konformer Diplomatie, Lüge und Verrat - opfert sie so manche Freundschaft. Aber das ist ja erst nach Mexiko und gehört eigentlich nur am äußersten Rande zu Volker Weidermanns Ausführungen. "So ist das mit den Spuren der Literatur in der Wirklichkeit. Sie sind flüchtig, unsichtbar, sie sind in uns Leserinnen und Leser. Anna Seghers hat in Mexiko keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Keine Gedenktafel erinnert an sie." Aber in ihren Büchern, da ist sie noch bei uns, da hat sie uns noch viel zu sagen. "Die schönsten Erzählungen", erschienen im Aufbau-Verlag, liegen bereits auf meinem Nachttisch.

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