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Yvonne Franke

Posted on 25.10.2019

Der Wunsch, etwas wahrhaft Großes zu schaffen, dafür bewundert und geliebt zu werden und ewig in Erinnerung zu bleiben, ist wohl einer der stärksten Motoren menschlichen Strebens. Eine nützliche Erfindung gemacht zu haben ist ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Unsterblichkeit. Der sicherste Weg zur Legende zu werden aber wäre es, eine neue Welt zu erfinden und somit das Leben aller Menschen und Tiere zu verändern, die sie bevölkern. Emma Braslavsky, 1971 in Erfurt geboren, erzählt in ihrem dritten Roman „Leben ist keine Art mit einem Tier umzugehen“ von einer Gesellschaft solcher Welterneuerer, deren heldenhaftes Bestreben in Wahrheit meist rein egoistischer Natur ist. Da ist zum einen Jivan, ein nicht immer erfolgreicher Großstadtarchitekt, der seiner Frau Jo zuliebe ökologisches Interesse heuchelt. Um sie zu beeindrucken und an sich zu binden, finanziert er Jos umweltpolitisches Engagement. Dass er pleite ist und ihren Aktivismus eher für ein niedliches Hobby hält, das er nicht ernst nehmen kann, verschweigt er. Noah, genannt No, und seine Freundin Jule haben sich entschieden, den Rest ihres Daseins an einem verlassenen Küstenabschnitt zu verbringen, nur von natürlichen Ressourcen zu leben und nach und nach alle Erinnerungen an ihre von der Zivilisation geprägte Vergangenheit zu verdrängen. Die 19-jährige Roana wird von ihrem Vater für drei Monate in die Einsamkeit einer Vulkanlandschaft nahe der Atacama Wüste in Peru verbannt, um dort gefälligst ihre wahre Bestimmung zu erkennen, nämlich die, die er für sie vorgesehen hat. Doch Roana büxt aus und beginnt, auf der Suche nach größeren Aufgaben, eine beschwerliche Reise Richtung Buenos Aires. Unterwegs schließt sie sich kurzfristig unterschiedlichen Organisationen an. Darunter eine philosophische Gruppierung, die dem Menschen austreiben möchte, sich von den Hormonen leiten zu lassen und eine 12-köpfige Bande von Aktivisten, die in Gorillakostümen ihr Unwesen treibt. Doch keine der ihr zugeteilten Aufgaben ist Roana bedeutsam genug, bis sie schließlich einem Ehepaar begegnet, beide Gentechnikspezialisten, das sie in den Mittelpunkt eines weltverändernden Plans stellt. Doch die eigentliche Hauptfigur des Romans ist eine zufällig entdeckte bisher unbekannte Insel im Atlantik. Mit ihrer reichen, zum Teil durch einen Orkan namens Frankenstorm Tony herangetragenen Flora scheint sie der ideale Ort für einen Neuanfang zu sein und muss durch die amerikanische Marine gegen die Eroberung durch wisssenschaftliche Organisationen und euphorische Aussteiger verteidigt werden. Emma Braslavsky setzt wie in einer bunten Collage die Leben und Ziele ihrer Figuren zu einer großen Idee vom Neustart der Menschheitsgeschichte zusammen, findet für jede eine klare eigene Stimme und Erzählform. Die Geschichte des Aussteigerpärchens erfahren wir aus Tagebucheinträgen, knapp, fast versartig, und dennoch entsteht, in einem sehr persönlichen Ton, ein deutliches Bild aller aufkommenden Konflikte. Die junge Roana hingegen liefert einen ausführlichen Bericht ihrer Reise in der Sprache eines, glaubhaft erzählt, bemerkenswert klugen Teenagers. Immer wieder entzieht die Autorin ihren Figuren die von ihnen mit aller Macht angestrebte Hauptrolle, begibt sich in Distanz zu ihnen und setzt den Fokus auf das Weltgeschehen. Die individuellen Geschichten des Einzelnen treten in den Hintergrund, wenn Braslavsky in regelmäßigen Abständen wunderschöne, kraftvolle Miniaturen über das Tierleben der neuen Insel einfließen lässt, der Newsticker eines Onlinenachrichtenmagazins kurze Meldungen zum Tagesgeschehen liefert. Braslavsky nimmt an diesen Stellen die Perspektive eines unbeteiligten Beobachters ein, den nur ein rein wissenschaftliches, feldforschendes Interesse mit diesem Planeten verbindet. In einer fiktiven, von ihr selbst verfassten Pressekonferenz, behauptet sie, die letzten acht Jahre seit dem Erscheinen ihres vorherigen Romans „Das Blaue vom Himmel des Atlantiks“ nicht auf der Erde verbracht zu haben, um so einen erweiterten Blickwinkel zu bekommen. „Nun ja... wenn Sie sich das vorstellen können.“ „Leben ist keine Art mit einem Tier umzugehen“ ist ein moralisches Werk, das dazu aufruft, genauer hinzusehen, das Schöne zu erkennen und zu beschützen. Auf Distanz zu gehen, auch zu sich selbst, könnte ein brauchbarer Anfang sein.

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