Über die Zukunft der Buchkultur

Dieser Beitrag war Anfang 2014 ursprünglich in +Bücherdämmerung, einem von Detlef Bluhm herausgegeben Sammelband erschienen, in dem sich die einzelnen Autor*innen mit der Frage auseinandergesetzt haben, wie die Digitalisierung den Buchmarkt verändern wird.

Das, was damals noch ein Blick in die Zukunft gewesen ist, lässt sich in diesem Text auch als Blaupause für mojoreads lesen, da alles, was ihr hier heute seht, darauf aufbaut.

Bücherdämmerung_Teaser — ISBN 9783650400031, erschienen bei Lambert Schneider

Verfolgt man Diskussionen über eBooks und ihre Lesegeräte, gewinnt man mitunter den Eindruck, es ginge einzig und allein um eine Frage der Displaytechnologie – die Anhänger von eInk und eReadern auf der einen, die Anhänger von Smartphones und Tablet-PCs auf der anderen Seite.

Diese Sichtweise ist noch sehr dem physischen Produkt verhaftet und übersieht, dass wir es im Zuge der Digitalisierung nicht nur technologisch, sondern auch gesellschaftlich mit einem Paradigmenwechsel zu tun haben, welcher der Erfindung des Buchdrucks in nichts nachsteht.

Gutenberg und die auf ihn folgende industrielle Produktion von Büchern haben sowohl die alte Infrastruktur der Buchkultur in Gestalt der Mönche mit ihren Skriptorien und Klosterbibliotheken obsolet gemacht als auch die bis dahin tradierten Formen und Gewohnheiten des Lesens und Schreibens radikal verändert.

Texte mussten nicht länger von Hand abgeschrieben werden, um sie zu vervielfältigen – vor allem aber wurden Bücher für andere Gesellschaftsschichten erschwinglich und damit außerhalb eines klerikalen oder höfischen Rahmens zugänglich: Bücher fanden vermehrt Eingang in die bürgerliche Sphäre und wurden im privaten Umfeld konsumiert.

Der Zugang zu Information, Bildung und literarischer Erbauung war nicht länger einer gesellschaftlichen Elite vorbehalten, die exklusives Herrschaftswissen hortete. Der Verlagsbuchhandel übernahm anstelle der Klöster die Funktion der Vervielfältigung und Verbreitung von Büchern und versorgte statt der herrschenden Klasse nun auch die breite Masse mit Inhalten.

Buchhandel und Verlagswesen stiegen dank ihrer Kapazitäten in Sachen Produktion und Vertriebs schnell zur beherrschenden Infrastruktur, zu den Datenautobahnen der Neuzeit auf. Und selbstverständlich hatte die Säkularisierung des Buchwesens massive Auswirkungen nicht nur auf die Produktion, sondern auch auf die Rezeption von Texten – bis hin zur Entwicklung unserer heutigen Wissensgesellschaft, die sich dieser Demokratisierung von Inhalten verdankt.

Doch die Zeiten des traditionellen Buchhandels und Verlagswesens sind vermutlich unwiderruflich vorbei. Bereits heute verliert die Buchbranche massiv an Bedeutung. Das Buch ist dabei, sich erneut zu transformieren, sich eines neuen Trägermediums zu bedienen, wodurch die alten Strukturen zumindest im digitalen Bereich überflüssig werden.

Es ändern sich jedoch nicht nur Strukturen und Technologien, sondern auch die Art und Weise, wie wir Texte nutzen. Um die weiteren Implikationen zu verstehen, ist es wichtig, ein Verständnis davon zu entwickeln, was ein Buch ist und wie es in der digitalen Welt »funktioniert«.

Was ist ein Buch?

Die Antwort auf diese Frage ist alles andere als offensichtlich, da sie je nach persönlichem Hintergrund, individuellem Kontext und Erwartungen an das Thema variiert. Überspitzt formuliert: Es ist ein Unterschied, ob man von Telefonbüchern, einem Handbuch für KFZ-Mechaniker oder von Hochliteratur spricht. »Das Buch« kann alles sein, von einem konkreten Werkstück einer Druckproduktion bis hin zu einem abstrakten Symbol, um nicht zu sagen einem Synonym für Kultur schlechthin.

Was aber macht ein Buch zum Buch? Das Papier? Das Material? Die Ausstattung? Letzten Endes ist ein Buch in seiner kodifizierten Form, also in Gestalt eines gebundenen Stapels bedruckten Papiers, nichts weiter als eine Konservendose, die uns hilft, Sprache zu konservieren, um damit Ideen beziehungsweise (Text-)Informationen durch Zeit und Raum, von einem Kopf in den anderen, zu transportieren, ganz gleich, ob diese (Text- )Informationen primär den Idealen der Aufklärung oder der Unterhaltung dienen.

Das gedruckte Buch besteht damit im Wesentlichen aus zwei Teilen: einem zu transportierenden Inhalt (oder »Content«) sowie einem Transportmittel oder Trägermedium. Während sich die Frage nach einem geeigneten Transportmittel für Inhalte aller Art in der Vergangenheit relativ pauschal mit »in Form eines gebundenen Stapels bedruckten Papiers« beantworten ließ, lässt sie sich in der digitalen Welt nicht mehr pauschal beantworten, was letztlich auch an das Selbstverständnis der Verlage rührt.

Ist man noch ein Verlag, wenn man statt Büchern plötzlich Software, Datenbanken, Websites, Online-Dienste, Spiele oder wie auch immer geartete »Nonbooks« produziert? Und in welchen Märkten ist man damit auf einmal tätig, vielleicht ohne dass man sich dessen überhaupt bewusst ist?

Die Antwort auf die Frage, womit man den jeweiligen Inhalt am besten »rüberbringt«, kann also sehr vielschichtig und durchaus auch unterschiedlich ausfallen und hat darüber hinaus einen ganzen Rattenschwanz an Implikationen. Letztendlich nutzt die Gesellschaft damit Produkte, Services und Dienstleistungen, die sie gar nicht mehr originär als »Buch« identifiziert.

Erscheinungsformen des »Buches« in der digitalen Welt

Prinzipiell lassen sich hinsichtlich der elektronischen Erscheinungsform von Inhalten, die vormals gedruckt als Buch erschienen sind, grob in vier Segmente unterteilen, die sich zum Teil auch miteinander kombinieren lassen:

Container-Formate (wie ePub, mobi, KF8 oder PDF), Software-Anwendungen (Apps), browserbasierte Webservices (also beispielsweise klassische Websites) sowie Cloud-Services, die im Gegensatz zu reinen »storage clouds« (also einem reinen Online-Speicherlatz), aus einer client- (App) sowie einer serverseitigen Komponente (Cloud) bestehen.

content distribution matrix — Content Distribution Matrix

Bei Container-Formaten haben wir es mit Dateien zu tun, die als reine Container Inhalte transportieren. Der dort enthaltene Text wird, einmal in seiner inhaltlichen Gestalt fixiert, nicht mehr verändert, was sich insbesondere für geschlossene Textformen wie Romane, Erzählungen oder Sachbücher anbietet. In dieses Segment fallen üblicherweise die Angebote klassischer Publikumsverlage.

In Software-Anwendungen sind die jeweiligen Inhalte nicht nur in eine Datei, sondern eine eigene Software (englisch application, kurz App) eingebettet, die sich selbst auszuführen imstande ist. Dieses Segment eignet sich beispielsweise für den Bildungsbereich oder das Kinder- und Jugendbuch, insbesondere wenn mit animierten, interaktiven oder anderweitig komplexen Inhalten gearbeitet wird.

Browserbasierte Webservices sind prädestiniert für Inhalte, die in kleineren Einheiten direkt konsumiert werden und/oder einen hohen Aktualitätsgrad erfordern. Gute Beispiele sind hier die juristischen Datenbanken von C.H. Beck oder die Online-Wörterbücher von Pons. Nachschlagewerke wie der Brockhaus haben die Transformation leider nicht geschafft, sodass dieser Bereich heute komplett durch die Wikipedia ausgefüllt wird.

Bei Cloud-Services haben wir es in der Regel mit einer anwender- sowie einer serverseitigen Komponente zu tun. Eine fest auf dem Endgerät des Kunden installierte Anwendung (App) kommuniziert über eine Online-Verbindung mit einer serverseitigen Anwendung, um Daten nachzuladen oder zu synchronisieren. Einsatzmöglichkeiten sind beispielsweise durch Geodaten gestützte Softwareangebote oder Serien-Reader, die wöchentlich die neueste Ausgabe eines Heftromans bringen.

Die Herausforderung besteht in erster Linie darin, für jede Art von Inhalt das adäquate Transportmittel zu finden, wobei letztendlich lediglich jene Inhalte im ersten Segment (Container-Formate) noch entfernt Ähnlichkeit mit dem haben, was die UNESCO heute unter einem Buch versteht, also »ein nicht periodisch erscheinendes, der Öffentlichkeit zugänglich gemachtes Druckerzeugnis von mindestens 49 Seiten«.

Wir haben es im Digitalen zwar nicht mehr mit Druckerzeugnissen oder einer festen Einteilung in Seiten zu tun, aber zumindest noch mit einer geschlossenen Textform, so dass wir diese Definition für das E-Book leicht modifiziert adaptieren können: »eine nicht periodisch erscheinende Veröffentlichung, die sich durch eine geschlossene Textform auszeichnet«, mithin also in erster Linie Werke der Literatur sowie Sach- und Fachtexte.

Wenn wir also von der Zukunft des Lesens sprechen und darunter die klassische lineare Rezeption von Textinhalten verstehen, sprechen wir im weiteren Verlauf weitgehend von Belletristik und Sachbüchern.

Die Tatsache, dass wir es hier mit den »konservativsten« Formen von Texten zu tun haben, die weit entfernt von modernen Konzepten wie etwa dem Transmedia Storytelling sind, soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in diesem Bereich perspektivisch die größten gesellschaftlichen Veränderungen stattfinden, was sich daran ableiten lässt, wie solche Inhalte verbreitet und genutzt werden.

[ Update: Bei log.os bzw. mojoreads kommt eine Kombination der oben beschrieben Elemente zum Einsatz – so nutzen wir eine Cloud-basierte Infrastruktur, um Inhalte über unseren Web-Service und unsere Apps zu vertreiben, und zwar unabhängig von ihrer jeweiligen Ausgabeform (print und digital) ]

Modell mojoreads — mojoreads-Modell zum Vertrieb von Inhalten

Das eBook ist kein komplettes, sondern ein komplexes Produkt

Der Inhalt (Content) in Form des reinen Textes eines eBooks mag zwar identisch mit dem der Printausgabe sein, das den Text transportierende Produkt besteht in der digitalen Welt jedoch aus unterschiedlichen Komponenten, die grundlegend anderen Regeln und Gesetzen gehorchen als ihre gedruckten Vorgänger.

Auch die Rollenverteilung entlang der Wertschöpfungskette ändert sich zusehends. Ein gedrucktes Buch ist ein Komplettprodukt, das Inhalt (Content) und Ausstattung, d.h. die jeweiligen Produkteigenschaften, in sich vereint und somit ohne weitere Hilfsmittel direkt konsumiert werden kann.

Das Nutzererlebnis liegt über die Wahl der Ausstattung (Materialien und Gestaltung) allein in der Hand der Verlage (vereinfacht gesagt: hochwertiges Hardcover versus billiges Taschenbuch), wobei sich der (Tausch-) Wert eines Buches in erster Linie über seine materielle Ausstattung sowie die Anzahl der verfügbaren Vervielfältigungsstücke bestimmt.

Ein gedrucktes Buch ist ein materielles Gut, das dem Theorem der Knappheit unterliegt: je seltener beziehungsweise exklusiver, desto wertvoller.

Ein eBook ist im Gegensatz zum gedruckten Buch kein materielles, sondern ein immaterielles Gut, das man nicht besitzen und mithin auch nicht erwerben kann. Das, was der Kunde erwirbt, ist ein Nutzungsrecht an einem Inhalt, der ihm in Form einer Datei zur Verfügung gestellt wird.

Diese Datei allein nutzt Leser*innen jedoch herzlich wenig, da sie, um sie auch tatsächlich nutzen, also lesen zu können, noch ein geeignetes Endgerät sowie eine ausführende eReading-Software benötigen, die der Verlag nicht mitliefert. Die reine eBook-Datei ist also allenfalls ein »halbes« Produkt, mit dem Leser*innen allein nichts anfangen können.

Alles, was Leser*innen an »Ausstattung« von eBooks wahrnehmen und erwarten, angefangen von der Möglichkeit, den Inhalt überhaupt erst lesen zu können, über Funktionen, mit denen man Text markieren, Notizen oder Lesezeichen erstellen und verwalten kann, bis hin dazu, die auf diese Weise selbst erstellten Inhalte mit anderen Nutzer*innen zu teilen, sind nicht etwa Eigenschaften des eBooks, sondern Eigenschaften der ausführenden eReading-Software.

Das Nutzererlebnis – die User Experience (kurz: UX) – bestimmt sich somit in erster Linie aus dem Funktionsumfang der jeweiligen Software-Ausstattung. Die jeweilige Hardware spielt dabei im Grunde eine völlig untergeordnete Rolle. Das Entscheidende aus Sicht der Leser*innen ist, dass, dass ihre Inhalte auf ihren jeweiligen Endgeräten lauffähig sind.

Welche Art von Gerät dann tatsächlich zum Einsatz kommt, hängt maßgeblich vom eigenen Nutzungsverhalten ab: Die einen bevorzugen dezidierte eBook-Reader mit einem augenfreundlichen eInk-Display, die anderen nutzen ausschließlich Smartphones oder Tablets, weil das Lesen von eBooks nur ein Teil ihres Medienkonsums ist.

Im Grunde sind dies alles Varianten des gleichen Prinzips: Man nutzt flache, portable Mini-Computer, die direkt über einen Bildschirm bedient werden und sich allein hinsichtlich ihres Leistungsspektrums sowie ihrer Displaytechnologie unterscheiden.

WSK — Leitfrage: Was ist das jeweilige Produkt entlang der Wertschöpfungskette?

Neue Rollenbilder und das Ende der Privatsphäre

Die Fragmentierung des »Prinzips Buch« in Inhalt, ausführende Software und Endgerät ist jedoch nur ein Faktor des stattfindenden Paradigmenwechsels. Um zu verstehen, was die Umwälzungsprozesse für die Beteiligten bedeuten, muss man sich zunächst die klassische Rollenverteilung entlang der Wertschöpfungskette vergegenwärtigen:

Autor*innen produzieren Texte, sind also verantwortlich für den Inhalt. Die Verlage produzieren auf Grundlage dieser Texte dann Konsumartikel in Form von physischen Büchern und gestalten damit das Nutzungserlebnis – also die Art und Weise, wie ein bestimmter Text in Erscheinung tritt und rezipiert werden kann.

Der Handel wiederum verschafft Zugang zu diesen Konsumartikeln und produziert seinerseits ein Kauferlebnis, wobei ein maßgeblicher Faktor die Qualität seiner Filterfunktion ist, also die Frage, inwieweit es dem Handel gelingt, seinen Kunden eine in deren Augen (subjektiv wahrgenommene) relevante Auswahl an Inhalten zu präsentieren, was stets einen Selektionsprozess beinhaltet. Selbst große Buchkaufhäuser können nur einen kleinen Teil des lieferbaren Gesamtprogramms abbilden.

Und schließlich gibt es – von der kommerziellen Vermarktung der Inhalte separiert – noch eine Reihe nach- beziehungsweise nebengelagerter Instanzen wie beispielsweise die Bibliotheken, die Inhalte sammeln, ihre Bestände erschließen und zugänglich machen, oder wissenschaftliche Institutionen, welche Wissen über Inhalte sammeln und aufarbeiten sowie Studien zur Rezeption von Inhalten erstellen.

In der physischen Welt hat der Handel die Funktion eines Kanals hin zur Leserschaft, er schleust Inhalte also lediglich durch, sammelt und erschließt selbst aber keine Inhalte – was Aufgabe der Bibliotheken ist.

Polarisierung: der Vertrieb von Inhalten verteilt sich im Netz auf Direkt-Angebote für klar definierte Zielgruppen (z.B. juristische Datenbanken) und große Plattformen (Publikumsmarkt)

Darüber hinaus existiert in der physischen Welt eine strikte Trennung zwischen der öffentlichen Sphäre des Handels sowie der Privatsphäre des Lesens. Um an neue Inhalte zu gelangen, müssenLeser*innen also zunächst ihre private Sphäre verlassen und ein öffentliches Ladengeschäft, eine Bibliothek oder auch einen Online-Shop (Achtung: Wir sprechen hier zunächst rein von Versandhandel und nicht von digitalen Gütern!) aufsuchen.

Sobald das Buch an der Kasse bezahlt wurde, verlässt man die öffentliche Sphäre. Der eigentliche Konsum im Sinne der tatsächlichen Nutzung eines Inhaltes, das Lesen, findet ausschließlich im privaten Bereich statt. Außerdem hat man hier die Möglichkeit, sich eine eigene private Bibliothek aufzubauen, die einem uneingeschränkt zur Verfügung steht.

In der digitalen Welt verändert sich die traditionelle Wertschöpfungskette gravierend. Dort produzieren Autor*innen zwar auch weiterhin Text, die Verlage vertreiben aber allenfalls nur noch halbe Produkte, da einem eBook, wie wir bereits weiter oben festgestellt haben, sämtliche Ausstattung fehlt, die nun Teil der ausführenden eReading-Software ist, welche in der Regel durch Online-Händler wie Amazon (Kindle) oder Apple (iBooks) angeboten wird.

Wer als Händler*in eBooks lediglich zum Download anbietet, selbst jedoch nicht über eine eigene eReading-Software, geschweige denn eine serverseitige Infrastruktur verfügt, wirft sich damit leider selbst aus dem Rennen, da man seine Kund*innen durch den Verkauf (besser gesagt: die Vermittlung) von eBook-Downloads im Grunde direkt zur Konkurrenz schickt – schließlich lässt sich mit einer eBook-Datei allein nicht das Geringste anfangen.

Unsere Kund*innen laden sich also eine entsprechende App oder kaufen sich ein Gerät mit vorinstallierter Software, in die dann aber jeweils ein anderer Shop eingebaut ist, sodass man die Applikation für den Erwerb neuer Inhalte nicht mehr verlassen muss – das komplette digitale Angebot ist schließlich nur einen Klick entfernt.

Kund*innen, die dennoch den mühsamen Weg auf sich nehmen, den Rechner hochzufahren, einen Browser zu öffnen, einen Webshop anzusteuern, sich durch die gesamte Klickstrecke von der Startseite über die Produktdetailseiten bis hin zum Warenkorb und dem finalen Check-out (Bezahlvorgang) zu bewegen, einen Download abzurufen, das E-Book herunterzuladen, das eBook (manuell) auf ihr Gerät beziehungsweise in die eReading-Software zu übertragen und sich am Ende auch noch bei Adobe für ein umständliches, externes DRM-Verfahren zu registrieren, dürften in Zukunft die klare Ausnahme sein.

Kund*innen bevorzugen integrierte Systeme, also Softwareumgebungen, die ihnen gleichzeitig den Zugang zu sowie die Nutzung von Inhalten ermöglicht – die Shop und eReading-Software in einem sind. Damit erschöpft sich der Einflussbereich dieser digitalen Plattformen jedoch nicht länger nur auf die Funktion, ein Kauferlebnis zu gestalten sowie einen Bezahlvorgang abzuwickeln: sie gestalten über die Ausstattung ihrer eReading-Software auch ganz maßgeblich die Nutzererfahrung (User experience) ihrer Kunden.

Über die quasi unbegrenzte Lagerfläche im Netz sowie die mittlerweile etablierten Verteilersysteme mittels digitaler Auslieferungen und Aggregatoren haben alle relevanten Anbieter – auch wenn sie das Gegenteil behaupten – zumindest im nationalen Bereich das gleiche Angebot an verfügbaren Inhalten.

Die Software wird damit zum alles bestimmenden Wettbewerbsfaktor:

Die Inhalte kosten dank Buchpreisbindung nämlich (noch) überall das Gleiche, nur dass der eine Anbieter über seine Software – im metaphorischen Sinne – ausschließlich hochwertig ausgestattete »Hardcover« im Angebot hat, während der andere Anbieter lediglich über minderwertige Second-Hand-Ware (ich sage nur: Download-Vermittlung) in Form von angegrauten »Taschenbüchern« verfügt.

Anders ausgedrückt: Der praktische Nutzwert von eBooks erschließt sich ausschließlich über die ausführende Software, womit die Produkthoheit nicht mehr beim Verlag liegt, welcher lediglich die Inhalte zuliefert, sondern beim Betreiber des eReading-Angebots.

Noch viel gravierender wirkt sich gesellschaftlich allerdings der Umstand aus, dass Unternehmen, die auf diese Weise digitale Inhalte vertreiben, längst keine Buchhändler mehr sind, sondern Betreiber von Online-Bibliotheken. Aufgrund der mittlerweile etablierten Cloud-Services stehen unsere Bücher nämlich nicht mehr im heimischen Bücherregal oder in öffentlichen Bibliotheken, sondern in kommerziellen Serverfarmen, die neben eBooks massenhaft Nutzerdaten sammeln.

Als Gesellschaft laufen wir damit Gefahr, die Hoheit über das Kulturgut Buch zu verlieren und hinsichtlich der Versorgung mit digitalen Buchinhalten komplett von internationalen Großkonzernen abhängig zu werden, die alleine den Zugang zu sowie die Nutzung von Inhalten kontrollieren.

Ohnehin wird die Unterscheidung zwischen Shop und Bibliothek in der digitalen Welt obsolet, da die Leser*innen ja keine Bücher, sondern lediglich Nutzungsrechte an bestimmten Inhalten erwerben, sodass sich der Zugang zu diesen Inhalten allenfalls über den Umfang der eingeräumten Nutzungsrechte unterscheidet.

Der Erwerb eines dauerhaften Nutzungsrechts mag vielleicht gefühlsmäßig einem Kauf in einem Shop entsprechen, während der Erwerb eines zeitlich befristeten Nutzungsrechts subjektiv an die Leihe in einer Bibliothek erinnert – faktisch und technisch handelt es sich jedoch um den gleichen Vorgang.

Die Sphären des Buchhandels, der öffentlichen und privaten Bibliotheken sind bei den großen Anbietern also längst zu großen Cloud Libraries verschmolzen, sodass die aktuell im Markt agierenden Anbieter de facto den Auftrag der öffentlichen Bibliotheken usurpieren. Damit fällt ihnen gleichzeitig eine Verantwortung zu, die sie als reine Wirtschaftsunternehmen im Grunde nicht einlösen können, da eine Kapitalgesellschaft per definitionem primär den Interessen ihrer Eigentümer, nicht aber den Interessen der Nutzer oder gar der Urheber verpflichtet ist.

So bequem und einfach diese integrierten Systeme in ihrer Handhabung auch sein mögen, müssen wir uns als Kund*innen doch stets darüber bewusst sein, dass wir uns damit völlig ausliefern. Nicht nur, dass die jeweiligen Anbieter über unsere gesamten Kundendaten verfügen und anhand unsere Such- und Kaufhistorien Nutzerprofile erstellen, auch unser gesamtes Leseverhalten wird durch die Software aufgezeichnet, protokolliert und ausgewertet.

Lesen ist also nichts Privates mehr. Wir stehen als Leser*innen permanent unter Beobachtung und müssen darauf vertrauen können, dass unsere jeweiligen Anbieter sorgsam und diskret mit unseren Daten umgehen. Und so kurios es sich anhören mag: Sofern unsere Anbieter Kundendaten, ganz gleich ob anonymisiert oder nicht, weitervermarkten, werden wir damit letztendlich selbst zum Produkt.

Die Rolle der Autor*innen in der digitalen Welt

All die bislang beschriebenen Facetten der Digitalisierung lassen jedoch einen ganz maßgeblichen Aspekt außer Acht: die Autor*innen. Für Autor*innen haben Bücher neben dem Broterwerb noch eine ganz wesentliche andere Funktion, da Bücher ebenso (Kommunikations-) Mittel sind, sich der Öffentlichkeit mitzuteilen und am öffentlichen Diskurs teilzunehmen.

In den Zeiten vor Radio, Fernsehen und Internet gab es in dieser Hinsicht schlichtweg keine andere Möglichkeit, als ein Manuskript physisch vervielfältigen und vertreiben zu lassen – sei es nun in Form eines Buchs oder eines Beitrags in einer Zeitung oder einer Zeitschrift.

Etwas zu veröffentlichen, war damals allerdings ein extrem aufwändiges und teures Unterfangen, für das man einen kompletten Industrieapparat in Bewegung setzen musste, sodass man stets auch jemanden brauchte, der das erforderliche Kapital vorstreckte (oder vorlegte – daher etymologisch auch das deutsche Wort Verlag) und die nötige Infrastruktur zur Verfügung stellte.

Inzwischen haben wir uns hin zu einer Wissens- und Informationsgesellschaft entwickelt, in der jede Wissensarbeiter*in ihre Produktionsmittel in Form ihres Wissens selbst besitzt. Die erforderlichen Werkzeuge, das eigene Wissen produktiv zu machen, sind in der Regel frei verfügbar oder aber kostentechnisch vernachlässigbar.

Wir brauchen heute keinen Industriepark samt nachgelagerter Vertriebsorganisation mehr. Jede*r kann mithilfe eines Rechners sowie der nötigen Software einen eigenen Verlag betreiben – sofern es überhaupt noch eines Verlages bedarf. Um Öffentlichkeit für die eigenen Inhalte herzustellen, also zu publizieren, genügt eine eigene Website, ein Blog oder schlicht eine Profilseite auf einem sozialen Netzwerk.

Mike Shatzkin spricht in diesem Zusammenhang von einer »Atomisierung des Publizierens« – das Veröffentlichen ist aus Perspektive von Autor*innen eine reine Funktion geworden und nicht länger die alleinige Domäne einer eigenen Verwertungsindustrie.

Das Buch ist nicht mehr Ort des öffentlichen Diskurses, sondern allenfalls Nebenschauplatz. Der gesellschaftliche Austausch findet anderswo statt. Man kann Autor*innen also nicht mehr per se das Bedürfnis nach einer Publikation in Form eines Buches unterstellen, da eine solche Entscheidung zwangsläufig wirtschaftliche und kommunikative Einschränkungen mit sich bringt – nicht zuletzt, was Geschwindigkeit und Reaktionsfähigkeit anbelangt.

Ein Teil der Autorenschaft wird zugunsten der Teilhabe am öffentlichen Diskurs im Zweifelsfalle also lieber darauf verzichten, alternativ ein Wirtschaftsgut vermarkten zu müssen.

So erfreulich diese Entwicklung für die Teilhabe des Einzelnen am öffentlichen Diskurs auch ist, so schwierig ist es für jene, die mit ihren Inhalten unmittelbar Geld verdienen möchten (oder müssen) und nicht mittelbar über Reputationsaufbau oder den Verkauf anderer Leistungen.

Das Buch ist längst kein Leitmedium mehr, es hat sich in den letzten 500 Jahren von etwas Besonderem für eine gesellschaftliche Elite in einen Massenmarkt verwandelt, ist zu einem Teil der Unterhaltungsindustrie geworden. Im Massenmarkt funktioniert es aber leider nicht, Inhalte über die eigene Website anzubieten, noch nicht einmal für die großen Verlagsgruppen.

Kund*innen haben im Netz kein Verständnis für ein begrenztes Sortiment. Eine Plattform ist erst dann attraktiv, wenn sich auch alle anderen darauf tummeln und ich als Leser*in die komplette Bandbreite an Inhalten dort finde. Folglich spricht auch aus der Perspektive jener Autor*innen, die ihre Inhalte kommerziell vermarkten (lassen) wollen, vieles für eine zentrale Plattform, welche die Aufmerksamkeit bündeln, was letztendlich den großen kommerziellen Anbietern in die Hände spielt.

Wofür bezahlen unsere Kund*innen?

Wie auch immer die Systeme genau aussehen, die uns in Zukunft mit digitalen (Buch-) Inhalten versorgen, sie werden im Kern konservativer sein, als wir es uns heute vorstellen, da sich tragfähige Modelle nur auf einer stabilen Basis aufbauen lassen, mithin also auf etwas, was sich auch in zehn Jahren nicht ändern wird – ein Mantra, das Jeff Bezos seinen Mitarbeitern bei Amazon unablässig predigt.

Entgegen landläufiger Meinung handelt es sich bei Innovationen nämlich weder um technologische Erfindungen, noch kommen sie plötzlich aus dem Nichts – es handelt sich vielmehr um die bessere Befriedigung eines bestehenden oder latent vorhandenen Kundenbedürfnisses durch Anbieter, die sich konsequent an die Lebenswirklichkeit ihrer Kund*innen anpassen und so einen höheren Nutzwert schaffen.

Die Kernfragen, die es für tragfähige Innovationen zu beantworten gilt, lauten:

Wer sind unsere Kund*innen (und wer ist es nicht)?
Wo sind unsere Kund*innen?
Wofür bezahlen uns unsere Kund*innen? (Was stellt also einen Nutzen für sie dar?

Um beim konkreten Beispiel zu bleiben: Amazon hat die Erkenntnis, dass sich Leser*innen immer mehr online bewegen bzw. über Smartphones, Tablets und Notebooks inzwischen in erster Linie mobil unterwegs sind, als Chance gesehen und holt sie genau hier ab.

Amazon scheint sich aber auch die Frage »Wofür bezahlen uns unsere Kund*innen?« konsequent beantwortet zu haben, wobei das Unternehmen einen eklatanten Wettbewerbsnachteil in eine weitere Chance verwandelt hat, da man gerade bei Büchern die Katze nur ungern im Sack kauft: Im Gegensatz zu einem Buchladen kann man nämlich nicht eben einfach so im nächsten Logistikzentrum vorbei spazieren und in die Bücher hineinlesen.

Also hat man sich zunächst mit Leseproben im PDF-Format beholfen, um sich dann in einem lichten Moment offenbar die richtige Frage zu stellen: »Wofür bezahlen uns unsere Kund*innen eigentlich? Für ein Trägermedium oder für einen Inhalt?« Statt der (aus-) gedruckten Bücher direkt die Inhalte zu verkaufen (ohne den Umweg über Produktion und Vertrieb), liegt auf der Hand – denn wenn die Leseproben ohnehin schon elektronisch gelesen werden, weshalb nicht auch gleich der ganze Rest?

Auch wirtschaftlich hat das digitale Modell eine Reihe von Vorzügen, da eine praktisch unbegrenzte Verfügbarkeit mit deutlich niedrigeren Kosten für die logistische Abwicklung einhergeht – und das bei praktisch null Waren- bzw. Absatzrisiko.

Von Apple hatte Amazon derweil gelernt, dass der Vertrieb digitaler Inhalte sich nur dann monetarisieren lässt, wenn man dem Kunden ein integriertes System bieten kann, das einfach und bequem in der Handhabung ist, sodass Kund*innen ihre Inhalte direkt konsumieren können.

Die Idee hinter dem Kindle war also eine Art iPod für Bücher, auf dem sich Inhalte nicht nur kaufen, sondern auch direkt lesen. Apple hat seinerseits mit iPhone und iPad gekontert, die das gesamte Spektrum des Medienkonsums bedienen können, und bietet für die jeweiligen Bedürfnisse spezialisierte Apps an – für die Leser also iBooks.

Dabei fahren beide Unternehmen diametral entgegengesetzte Gerätestrategien. Für Apple sind Inhalte Mittel zum Zweck, um Geräte zu verkaufen. Bei Amazon hingegen sind Geräte Mittel zum Zweck, um Inhalte sowie andere Waren und Dienstleistungen zu verkaufen.

Außerdem werden wir als Kund*innen zunehmend selbst zur Ware – Google und Facebook haben schließlich vorgemacht, wie sich Kundendaten und Aufmerksamkeit vermarkten lassen. Und Apple, Amazon & Co. sitzen mit ihren Geräten und Services nicht nur direkt an der Quelle, sie analysieren neben unserem Konsum- auch unser gesamtes Nutzerverhalten.

Damit ergeben sich heute wiederum ganz andere Lebenswirklichkeiten als zu Beginn der Digitalisierung und es ergeben sich neue Fragestellungen insbesondere hinsichtlich des Daten- und Verbraucherschutzes, auf die sowohl die Unternehmen als auch wir als Gesellschaft Antworten finden müssen.

Und auch die Frage danach, was einen Wert für die Kund*innen darstellt, wird neu gestellt. Vielleicht werden Leser*innen in Zukunft nicht mehr für Inhalte, sondern für Anonymität zahlen. Oder aber sie lassen sich für ihre Kundendaten sowie die Empfehlung von Inhalten über ihre sozialen Netzwerke bezahlen, was die Geschäfts- und Erlösmodelle der Verwertungsindustrie vor völlig neue Herausforderungen stellt.

Doch bevor wir uns in wilden Spekulationen ergehen, zurück zu der Frage, was sich in den kommenden zehn Jahren nicht ändern wird.

Das Einzige, was sich mit ziemlicher Sicherheit sagen lässt, ist, dass auch in zehn Jahren noch geschrieben wird und Autor*innen Leser*innen für ihre Texte suchen. Ebenso wird es in zehn Jahren immer noch Leser*innen geben, die auf der Suche nach Inhalten sind. Alles andere kann und wird sich ändern.

Die einzige wirklich unabdingbare Funktion, die bestehen bleiben wird, ist somit die erfolgreiche Vermittlung zwischen dem Angebot von Text-Produzenten (Autor*innen) auf der einen und der Nachfrage durch Text-Konsument*innen (Leser*innen) auf der anderen Seite, die aller Voraussicht nach über zentrale Plattformen geregelt wird, da sich Leser*innen in erster Linie für Inhalte interessieren, die ihren Interessen entsprechen, nicht aber für deren Herkunft.

Leser*innen interessieren sich weder für buchhändlerische Bezugswege noch dafür, ob ein Titel lieferbar, vergriffen, verwaist, rechtefrei oder open source ist. Und sie interessieren sich vor allem nicht dafür, wie die Rechtekette exakt gestrickt ist oder welche Instanzen ihnen welche Nutzungsrechte einräumen können (oder auch nicht – die Betreiber der Piratenplattformen lassen schön grüßen).

Leser*innen erwarten, dass die Gesetze der Onlinewelt auch auf Buchinhalte zutreffen, also dass jeder erdenkliche Inhalt jederzeit sofort verfügbar ist, egal, wo man sich gerade befindet und welche Art von Gerät man benutzt (anything, anytime, anywhere). Leser*innen erwarten, dass der Zugang zu Inhalten so einfach und bequem wie möglich ist und sie über die jeweilige Software eine Nutzungssituation vorfinden, die sich ihnen ohne Hindernisse intuitiv erschließt.

Die zentrale Aufgabe im Dienste unserer Kund*innen wird also sein, möglichst die gesamte Bandbreite an (Buch-) Inhalten verfügbar zu haben, eine direkte Nutzung zu gewährleisten sowie sicherzustellen, dass die jeweilige Rechtekette intakt ist und sauber abgebildet werden kann, sodass jede*r zu seinem Recht kommt – Nutzer*innen wie Urheber*innen respektive Verwerter*innen.

The-Future-Of-Publishing — Das moleskine-Notizbuch, in dem 2012 und 2013 die ersten Konzepte zu log.os / mojoreads entstanden sind – u.a. auch die Vorarbeiten zu diesem Beitrag.

Back to the roots oder Zurück in die Zukunft

Ganz egal, wohin sich die Technik entwickelt, wir werden integrierte Systeme nutzen, um spezifische Bedürfnisse zu befriedigen. Leser*innen werden sich also nicht an der einen Stelle mit Inhalten versorgen, diese an anderer Stelle lesen, um sich wiederum an einem dritten Ort darüber auszutauschen. Leser*innen werden Angebote nutzen, welche diese Funktionen kombinieren und deren Nutzung damit so einfach und intuitiv wie möglich machen.

Die Technologie wird dabei unser ständiger Begleiter sein, da wir sie permanent bei uns tragen. Bereits heute führt ein Großteil der Bevölkerung stets ein Smartphone mit sich, das im Grunde gar kein Telefon ist, sondern ein tragbarer Mini-Computer für die Westentasche, der nebenbei eben auch noch telefonieren kann und über die eingebaute Mobilfunk-Anbindung »always online« ist.

Darüber hinaus arbeiten die Technologie-Anbieter an weiterer tragbarer Hardware wie SmartWatches (Samsung, Apple) oder Datenbrillen (Google). Die eigentliche Technik in Form von physischen Bauteilen tritt dabei zunehmend in den Hintergrund, wird immer kleiner, löst sich beinahe vollständig auf. Es bedarf keiner voluminösen Gerätschaften mit enormen Speicherkapazitäten und massiver Rechenleistung mehr, da Speicherplatz ebenso wie die ausführende Software zunehmend in die Cloud wandert.

Als Nutzer*innen benötigen wir allenfalls noch Schnittstellen, über die wir mit den diversen Anwendungen und Diensten kommunizieren können. Vielleicht sitzen wir eines schönen Tages tatsächlich wieder mit einem »echten« Buch in Form eines Blankbooks da, um zu arbeiten oder zu lesen – eine kleine Kamera übersetzt Gesten in Befehle oder scannt die eigene Handschrift beim Schreiben.

Dabei muss mir die leere Seite meines Moleskine noch nicht einmal als Projektionsfläche dienen, denn statt eines Beamers, der mir ein Bild bzw. eine Nutzeroberfläche an die Wand oder auf ein beliebiges Stück Hintergrund wirft, reicht es im Grunde völlig, wenn mir eine Brille oder Kontaktlinse die nötige Information direkt auf die Netzhaut projiziert.

Und wenn Ihnen Ihr altes Notebook fehlt, dann schlagen sie einfach Ihr Blankbook auf, legen es quer, definieren die eine Seite, die sich nun oben befindet, als Bildschirm und genießen auf der anderen Seite, die sich nun unten befindet, das Schreibgefühl der wohl leichtesten und faltbarsten Tastatur der Welt.

Das Beste daran für die Nostalgiker*innen unter uns: Sie lesen dann nicht nur wie auf Papier – Sie lesen dann tatsächlich wieder auf Papier. Mein Gegenüber im Zug sieht dann vielleicht nur ein leeres Blatt oder eine unbedruckte Buchseite, ich aber sehe dank augmented reality eine komplette Arbeitsumgebung oder aber befinde mich mitten in +Die Stadt der Träumenden Bücher, versunken in den Text von Walter Moers, allein mit den eigenen Gedanken (sofern ich vorher die Social-Reading-Funktionen meiner Lesesoftware deaktiviert habe).

Denn letztendlich haben Software und Literatur etwas gemeinsam: Beide schaffen mithilfe sprachlicher Zeichen virtuelle Welten im Kopfe derjenigen, die sich ihrer bedienen. Am Anfang steht immer das Wort. Willkommen in der alten neuen Welt der Bücher.

PS: Die Text folgt dem Original, wurde allerdings nachträglich gegendert. Außerdem habe ich mir erlaubt, ein paar krumme Formulierungen zu begradigen sowie den Textfluss durch ein wenig Bildmaterial aufzulockern, das im Buch zwar nicht enthalten, als visuelle Übersetzung der Kernthesen jedoch zeitgleich entstanden und separat im buchreport als Infoposter erschienen sind:

Infoposter_Strukturwandel — Infoposter Strukturwandel | Gestaltung: www.ankehohmeister.de