Lesemonat September 2022

Sechs Bücher konnte ich im September beenden. Es gab Gutes, extrem Gutes und viel Mittelmaß.

Das Beste zuerst: +Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit, der neue Roman von Natasha Pulley. Er hat mir noch besser gefallen als +Der Uhrmacher in der Filigree Street, das ich letztes Jahr mit großem Vergnügen gelesen habe. Es handelt sich um eine extrem gut gemachte What-if Geschichte mit Zeitreiseelementen, die man sofort von vorn beginnen will, sobald man die letzte Seite umgeblättert hat. Man sollte aufmerksam lesen, um in den verschiedenen Zeit- und Realitätsebenen nicht verloren zu gehen, doch man wird für seine Aufmerksamkeit mit einem absoluten Fantasy-Highlight belohnt. Meine ausführliche Rezension gibt es hier.

Natasha Pulley: "Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit", 544 Seiten, Klett-Cotta, 2022

Auch sehr gut gefallen hat mir das episch angelegte +Kreiseziehen von Maggie Shipstead. Auf zwei Erzählebenen lernen wir die Fliegerin Marian Graves und die Schauspielerin Hadley Baxter kennen, die Graves in einem Biopic verkörpern soll. Die Geschichte um Hadley bleibt - im direkten Vergleich mit Marians schillerndem Leben - immer blass und oberflächlich, doch Marian von der Kindheit bis zum Tod zu begleiten, war ein absolutes Vergnügen. Großes Lob auch an die Übersetzung für den Fantasie anregenden deutschen Titel! Meine Rezension findet sich hier.

Maggie Shipstead: "Kreiseziehen", 861 Seiten, DTV, 2022

Außerdem habe ich mit +Die leise Last der Dinge den aktuellen Roman von Ruth Ozeki, gelesen, für den sie mit dem Women's Prize for Fiction ausgezeichnet worden ist. Sie bietet hier interessante Erzählperspektiven und literarische Kniffe auf und trotzdem konnte mich der Roman nicht so recht erreichen. Beide Protagonisten (ein Mutter-Sohn-Gespann) blieben mir letztlich fremd in ihrer anhaltenden Passivität. Ausführlich rezensiert habe ich den Roman hier.

Ruth Ozeki: "Die leise Last der Dinge", 688 Seiten, Eisele, 2022

Für den Leserausch des Monats September (Lies ein Debut!) habe ich mir zwei Hörbücher vorgeknöpft. Zum einen war das +Wir sind dieser Staub von Elizabeth Whetmore. Wenn man dem Anfang Glauben schenken mag, geht es um die Vergewaltigung eines jungen Mädchens (mexikanischer Abstammung, das wird später noch wichtig) durch einen Ölarbeiter im Texas der 1970er Jahre. Doch dann verschwindet Gloria (das nämliche Mädchen) für weite Strecken aus der Erzählung und es geht um ganz viele andere Frauen. Ja klar, Whetmore will mir die systematische Gewalt an Frauen, deren Benachteiligung und Unterdrückung vor Augen führen, aber ich fand, dass sie das in Teilen manipulativ und mit unredlichen Mitteln tat, was die Hörerfahrung schmälerte. Auch habe ich nicht verstanden, warum das Hörbuch von zwei (wenn auch sehr guten) Sprecherinnen gelesen wurde, wenn es im Buch sieben oder acht verschiedene Perspektiven gibt. Ein technisch und stilistisch herausragendes Buch, das einen bitteren Beigeschmack bei mir hinterließ.

Elizabeth Whetmore: "Wir sind dieser Staub", 318 Seiten, Eichborn, 2021

Das andere Debut war das autofiktionale +Bleaker House von Nell Stevens. Nell studiert kreatives Schreiben und ergattert ein Stipendium, mit dem sie drei Monate (wenn ich das richtige erinnere) an jedem beliebigen Ort der Welt leben kann, um einen Roman zu schreiben. Aus jugendlichem Größenwahn heraus entscheidet sie sich für die Falklands. Noch lebensfeindlicher ist vielleicht nur noch die Antarktis. In "Bleaker House" schreibt sie nun über sich, über ihr (Über)leben auf Bleaker Island und ihre ziemlich prätentiösen Versuche, einen Roman fertigzustellen. Genervt haben mich ihre Naivität gepaart mit ihrem literarischen Größenwahn und absoluter Humorlosigkeit. Ich werde ihrem Debutroman +Briefly, A Delicious Life noch eine Chance geben, weil er viele begeisterte Leserstimmen einsammeln konnte. Aber mit "Bleaker House" hat sich Nell Stevens nicht gerade beliebt bei mir gemacht.

Nell Stevens: "Bleaker House", 256 Seiten, Pan Macmillan, 2018

Das Sachbuch, das im Gegensatz zu Nell Stevens sehr gut für mich funktioniert hat, war +Im Rausch des Vergnügens des Briten Ian Mortimer. Der Historiker arbeitet sich schon seit mehreren Büchern durch die englische Geschichte chronologisch vorwärts und ist mit diesem Band nun im Regency angekommen (Jane Austen lässt grüßen). Sein Buch ist alles andere als trockene Kost, er nimmt sein Publikum mit auf eine Zeitreise und erklärt, wie die Menschen damals gelebt haben. Was wurde gegessen, wie wurde gewohnt, welche Sachen trug man, welche Bücher las man? Lauter lebensechte Reisetipps, sollte es einen je ins Regency verschlagen - denn im englischen Original heißen die Bücher alle "A Time Traveller's Guide to..." Meine ausführliche Rezension kann man hier nachlesen.

Ian Mortimer: "Im Rausch des Vergnügens", 494 Seiten, Piper, 2022