Schnupperkurs: Polen

Schnupperkurs: Polnische Literatur

Ich wohne an der polnischen Grenze und ich lese gern, da versteht es sich, dass ich von Zeit zu Zeit auch mal in polnischen Gewässern wildere. Dazu kommt, dass meine Lieblingsdozentin an der Uni Polin war und jedes Semester mindestens ein Seminar zu polnischer Literatur anbot. Perfekte Voraussetzungen also, um sich ein bisschen einzulesen! Für diejenigen, die ebenfalls Lust haben, mal in die polnische Literatur hineinzuschnuppern, habe ich im folgenden ein paar mögliche Startpunkte (also Autoren) aufgeführt. Dabei erhebe ichłnatürlich weder den Anspruch der Vollständigkeit (wie sollte das auch möglich) noch den eines irgendwie gearteten Kanons. Vielmehr möchte ich euch kurz ein paar Autoren und ihre Werke vorstellen – eine komplett persönliche Auslese sozusagen. Vielleicht macht euch das ein oder andere neugierig. Und falls ihr der Meinung seid, ich habe etwas ganz Wichtiges übersehen, dann rein damit in die Kommentare!

Adam Miekiewicz

Mickiewicz, der von 1798 bis 1855 lebte, gilt gemeinhin als der Nationaldichter Polens, weil er mit dem +Pan Tadeusz das Nationalepos der Polen verfasst hat, das bis heute Schulstoff ist. „Pan Tadeusz“ gilt als das letzte große europäische Versepos – es wurde 1834 in Paris veröffentlicht. Es geht um den Widerstand gegen den Zaren, einen Familienzwist, ein großes Bankett und natürlich um die Liebe. Wer sich an Versdichtung nicht so recht herantraut: Andzrej Wajda hat den Stoff 1999 verfilmt.

Bolesław Prus

Prus, eigentlich Aleksander Głowacki, lebte von 1847 bis 1912 und gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Realismus in Polen. Sein wohl bekanntestes Werk ist der ziemlich umfangreiche Roman „Die Puppe“. Auf deutsch ist er im Moment nur antiquarisch zu haben, wer neu kaufen möchte, muss auf die englische Übersetzung ausweichen: +Doll. Es geht um Wokulski, einen zu Geld gekommenen Ladenbesitzer, und seine Angebete, eine verarmte Aristokratin. Man kann sich denken, dass da Welten aufeinander prallen. Dieses Set-up nutzt Prus, um sich an polnischer Geschichte, Identität und Kultur abzuarbeiten und die Aristokratie zu beschreiben.

Henryk Sinkiewicz

Sinkiewicz (1846-1916) kennt man vielleicht eher durch die Verfilmung seines Romans +Quo vadis?. Oder vielleicht kennt man auch nur den Hollywood-Monumentalfilm und ist sich gar nicht der Tatsache bewusst, dass er auf einem polnischen Roman basiert. Die Handlung spielt zu Zeiten Neros, es geht um die ersten Christen. Man kennt das – Löwen, die im Colloseum Christen zerfleischen (und ja, das kommt im Buch auch vor). Die Geschichte dreht sich um den Römer Marcus und die Christin Lygia. Die beiden verlieben sich, naturgemäß entstehen daraus Verwicklungen. Aus heutiger Sicht ist die Liebesgeschichte ziemlich bieder und nicht wirklich überzeugend (heute firmiert so etwas wohl unter der Überschrift „Instalove“), aber der Plot vermag trotzdem noch zu packen. Und gerade gegen Ende wird es sowohl spannend als auch sprachlich richtig überzeugend.

Bruno Schulz

Der polnische Jude Bruno Schulz lebte von 1892 bis 1942. Er wurde im Ghetto auf offener Straße von einem SS-Mann erschossen. Sein bekanntestes Werk sind wahrscheinlich +Die Zimtläden. Es handelt sich hierbei um eine Sammlung von Erzählungen, die gleichermaßen biographisch wie auch phantastisch und surreal sind. Darauf muss man sich einlassen können. Dann jedoch bekommt man vielleicht keine geradlinige Geschichte präsentiert, dafür aber wunderschöne Prosa, die ganz viel Raum für Interpretation bietet. Ein ganz besonderes Buch!

Andzrej Szczypiorski

Szczypiorski lebte von 1928 bis 2000, hier empfehlen möchte ich seinen Roman +Die schöne Frau Seidenman. Die Handlung spielt während des Zweiten Weltkriegs in Warschau und erzählt in einzelnen Kapiteln die Geschichten unterschiedlicher Figuren, die mehr oder weniger lose zusammenhängen. Der besondere Kniff ist jeweils ein Vorgriff in die Zukunft, so kann er zeigen, was den Figuren nach dem Krieg widerfährt. Dadurch bietet sich auch die Möglichkeit, zwei Diktaturen (die nationalsozialistische und die kommunistische) zu beschreiben.

Olga Tokarczuk

Nach Sinkiewicz ist Olga Tokarczuk (geboren 1962) die zweite Literaturnobelpreisträgerin in dieser Liste. +Ur und andere Zeiten 1100188 beschreibt anhand des fiktiven polnischen Dorfes Ur (der Name ist natürlich nicht zufällig gewählt) die polnische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Zwar handelt es sich um ein Dorf in Polen, aber gleichzeitig wirkt es mythisch, geradezu märchenhaft. So wird es beispielsweise von den vier Erzengeln bewacht. Der Roman liest sich ein bisschen wie magischer Realismus zu seinen besten Zeiten – ein wirkliches Meisterwerk.

Ich habe zusätzlich noch eine Liste angelegt. Darauf finden sich weitere Bücher der hier aufgeführten Autoren, außerdem auch Autoren, die ich selbst noch nicht gelesen habe. Viel Spaß beim Stöbern!