Buchverfilmungen: Haben wir Respekt vor Drehbuchautoren?

Drehbücher sind keine Romane.

Romane sind keine Drehbücher.

Dessen sind wir uns alle bewusst. Und trotzdem schauen wir immer wieder überrascht, wenn der Film zum Buch, das Buch zum Film oder das Buch zum Film, basierend auf einem Buch, von der Grundlage abweichen.

Als Grundlage sei für diesen Artikel definiert, was sie für jeden Einzelnen von uns ist: Das, was uns zuerst in die Finger kommt. Wir können erst vergleichen, wenn wir einen Ersteindruck (Grundlage) haben und erst dann über das Neuartige zum Vergleichen verfügen.

Lasst uns doch mal über Buchverfilmungen und ihre Abweichungen zur Buchgrundlage sprechen. Denn für mich ist meistens, wenn nicht sogar immer, das Buch die Grundlage. In keinem der nachfolgenden Beispiele habe ich erst den Film und dann das Buch inhaliert.

Mann tut was Mann kann

In „Mann tut was Mann kann“ [Film von Marc Rothermund] oder „Man tut, was man kann“ [Roman von Hans Rath] geht es um Paul, der geschieden, 40 und eigentlich zufrieden, aber dennoch innerlich leer ist. Er führt Fred, einen Rottweiler aus dem Tierheim aus und trifft auf Iris, in die er sich verliebt. Zwei Freunde ziehen bei Paul ein und stellen sein Leben auf den Kopf, und Paul versucht, alles zu jonglieren und die verlobte Iris für sich zu gewinnen.

Wenn der Titel zunichte gemacht wird

Ich finde den Titel „Mann tut was Mann kann“, abgesehen vom hässlichen Kommafehler, entsetzlich. Wieso muss hier ein Scheinwerfer auf Pauls Eigenschaft als Mann gelegt werden? Ich mag es nicht, wenn Buchtitel für Filme abgewandelt werden. Aber marketingtechnisch war es wohl vonnöten.

Das ist, was wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller eher selten verstehen: Ein Film ist anders als ein Buch. Die Zielgruppe wird anders bestimmt, und bestimmte Dos und Don’ts aus der Welt der Drehbuchautoren müssen eingehalten werden.

Um diesen Artikel zu schreiben, habe ich Tom Lazarus‘ „Professionelle Drehbücher schreiben: Erfolgsmethoden für Film & TV“ gelesen. 209 Seiten. In einem durch. Erst jetzt fühle ich mich in der Lage, überhaupt etwas zu Buchverfilmungen zu schreiben. Und ich habe viel gelernt:

·Filme sind Dreiakter. Romane sind komplexer.
·Die Exposition muss so schnell wie möglich zur Handlung kommen.
·Jede neue Szene muss sich von der vorherigen bildlich unterscheiden.
·Alle Handlungsstränge müssen zur Befriedigung des Zuschauerst zusammengeführt werden.
·Figuren sind Schauspieler, und Schauspieler sind teuer.

Das ist der Grund, weshalb einige Figuren zusammengestrichen wurden, die Handlung am Ende eher plump und „typisch deutsch“ geendet ist und es ein paar Orte im Film zu sehen gab, die Hans Rath in der Buchvorlage nicht vorgesehen hat. Aber immerhin: Der Autor des Romans hat auch am Drehbuch mitgewirkt.

Das Ende und die Fortsetzung

Erschreckend und enttäuschend war nur das Ende von „Mann tut was Mann kann“: Das Love Interest Ina erledigt sich zum Ende des Films anders als zum Ende des Films. Eine Fortsetzung getreu der Vorlage ist nicht mehr möglich, aber spoilern möchte ich nicht. Als die Filmemacher (wider Erwarten?) herausgestellt haben, dass der Film ein Kassenschlager wird, haben sie Teil zwei geplant und gedreht. Und Ina ausgetauscht. Alles, was Ina im zweiten Band tut, macht jetzt eine völlig fremde, neue Person. Die Filmumsetzung gerät meiner Meinung nach ins Wanken. Band 3 der Trilogie wurde bis heute nicht verfilmt.

Für Hans-Rath-Fans und Lesende seiner Bücher ist die Umsetzung der Verfilmung sicher enttäuschend. Ich möchte in diesem Artikel noch einen weiteren Film ansprechen, bei dem ähnlich schlimmes Schindluder getrieben wurde, das Endprodukt aber deutlich überzeugender ist.

Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück

Hector ist ein Psychiater, dessen Job es ist, unglücklichen Menschen zuzuhören. Seine Patientinnen und Patienten zahlen wenig, denn Hector braucht nicht viel. Er ist genügsam, wohnt mit seiner Freundin Clara zusammen, die ihr (im Film auch sein) Leben im Griff hat. Als Hector bemerkt, dass er kein guter Psychiater mehr sein kann, da er selbst nicht glücklich ist, macht er sich auf eine Reise, um das Glück zu finden. China, Afrika, USA - hier erlebt er die Abenteuer des wahren Glücks.

Spitballing ohne Sinn und Verstand?

In der Buchverfilmung von François‘ großartigem Roman haben die Filmemacher Spitballing betrieben. Diesen Begriff kenne ich ebenfalls aus Lazarus‘ Ratgeber. Hast du schon einmal Horrorgeschichten gehört wie: „Der Protagonist sollte heimlich ein Alien sein!“ oder: „Wie wäre es, wenn die Katze plötzlich sprechen kann?“. Spitballing zerstört das ganze Manuskript, wirkt sinnlos und kommerzialisierend auf den Schriftsteller, bringt dem Film aber letzten Endes Erfolg.

Auch von Lazarus gelernt, aber schon im Vorfeld in meinem Kopf herumgeisternd: Kommerziell ist nicht schlecht. Furchtbar kommerziell zu schreiben, ob Roman oder Drehbuch, bringt uns den Erfolg, den wir mehr oder weniger insgeheim anstreben.

In Hectors Reise [Film] lebt Hector nicht in Paris wie im Roman, sondern in London. Als ich diese Information in den ersten Minuten des Films wahrgenommen habe, bin ich wahrlich ausgerastet. Bei Hectors Reise handelt es sich schließlich um eine inzwischen achtbändige Reihe (mehr ist unterwegs, da bin ich sicher), und in einem späteren Teil („Hector fängt ein neues Leben an“) wird es wichtig, dass Hector in Paris wohnt. Das ist Spitballing! Lasst uns den Franzosen nach England nehmen, da wohnt ein guter Schauspieler.

Aber es geht noch schlimmer: Der Film beginnt mit einer Tim-und-Struppi-Geschichte, die im Buch mit keinem einzigen Wort erwähnt wird. Und Clara, seine Frau, kümmert sich um Hectors Leben. Sie legt ihm das Essen zurecht, bindet seine Krawatte, alles ist schön ordentlich, genormt und perfekt. An sich wäre diese Änderung nicht gravierend, wären da nicht Klischees, die Clara bedient. Statt wie im Buch verständnisvoll, leise und nachdenklich zu sein, wenn es zum Konflikt zwischen ihr und Hector kommt, spricht sie im Film deutlich aus, dramatisiert über und wirkt … nicht hysterisch, aber … erschöpft und ausgebrannt an Stellen, wo sie eigentlich ganz verständnisvoll war.

Ein eigenständiges, schönes Werk

Genug der Kritik, ich muss dir ein Fazit verraten. Der Film „Hectors Reise“ ist einer der besten Filme, die jemals produziert wurden. Es gibt noch einen Gag und eine Hauptperson, die abgewandelt wurden, aber dennoch - oder vielleicht gerade deshalb - bin ich in der Lage, diesen Film als eigenständiges Werk zu betrachten. Wie die Thematik und der Plot umgesetzt wurden, ist herrlich, und ich habe meinen Frieden damit gefunden, den Film als leicht verdauliche Kost, eine herausragend gute Fanfiction auf der Buchgrundlage zu verstehen.

Fazit: Massenabfertigung und Kommerz

Filme sind deutlich teurer als Romane, dafür muss ich keine Kalkulation anstellen. Es ist also umso wichtiger, dass ein Film Umsatz macht. In Verlagen spricht man von einer Quote von 10 % der Bücher, die so erfolgreich sind, die 90 % Bücher, die floppen, zu tragen. Das ist beim Film sicherlich nicht so, und jeder Film muss Gewinne erzielen.

Das ist auch der Grund, warum in der Verfilmung von „Ready Player One“ von Ernest Cline die innere Gedankenwelt, die Zusammenhänge und Großartigkeit des Buchs zurückgesteckt wurden und mit kostspieligen 3D-Animationen, perfekter kleingliedriger Grafik und ausgedachten, der Buchvorlage völlig fremden Elementen wie einer lauten, ausdauernden und inhaltslosen Jagd auf Motorrädern und Autos versehen worden ist. Ich habe Verständnis, aber dennoch habe ich eine ausführliche Filmkritik zu diesem Film geschrieben. Vor meiner Zeit als Buch- und Mojo-Bloggerin. Wenn du Interesse an meiner Kritik hast, klicke doch einma lhier. (Im Vergleich dazu hier die Buchrezension).

Perfekte Szenenumsetzung

In meinem Drehbuch-Ratgeber von Tom Lazarus zitiert er Frank Capra, was ich an dieser Stelle auch gerne tue: „Man braucht nur vier gute Szenen.“ Darauf hat sich der Film zu „Ready Player One“ gestützt. Es gibt atemberaubende Gänsehaut-Szenen, eine detailgetreue, perfekte Nachstellung der virtuellen, schwerelosen Disco, und all die Anspielungen auf die 1980er Jahre sind herrlich subtil eingebaut worden. Wer aufmerksam ist, sieht sogar Freddy Krueger im Trailer (ich habe ihn zuerst gesehen!).

Buchverfilmungen müssen anders sein als die Bücher. Das ist in Ordnung so, und ich kann es verstehen. Mehr denn je, sei ich (vor etwa zwei Stunden) den Drehbuch-Ratgeber gelesen habe.

Ich habe meinen Frieden mit Buchverfilmungen gemacht. Je mehr ich das Buch liebe, desto häufiger muss ich mir vor meinem Kinobesuch ein Mantra sagen: „Ein Film ist ein eigenständiges Werk, ein Film ist ein eigenständiges Werk!“

Versetzen wir uns also in die Drehbuchautoren. Sie schreiben einen Roman um, und zwar so, dass die Kameraleute, der Cutter und die Regisseurin genau wissen, wie das Storyboard auszusehen hat und wie sie 300, 400 oder 500 Buchseiten in Spielfilmlänge packen können.

Ich bewundere François Lelord, Ernest Cline und Hans Rath nach wie vor, aber durch meine Recherchen für diesen Artikel ist meine Bewunderung für Drehbuchautoren und die Teams, die einen Film umsetzen, erwacht und gewachsen.

Darf ich diesen Artikel mit einem Zitat aus „Professionelle Drehbücher schreiben“ von Tom Lazarus beenden? „Maximieren Sie das Minimum, das Sie geschaffen haben“, sagt der Drehbuchautor und Dozent auf Seite 65. Darum geht’s in Drehbüchern: Kurz, präzise, genau und klar schreiben, undShow, don’t tellgilt für sie natürlich noch deutlicher als für uns Romanautoren.