Zurück zu einer Art Natur

Dieser Artikel ist Teil der Artikelreihe Die Domestizierung des Menschen. Die vorhergehenden Artikel:

Bienenhotel — Aus irgendwelchen Gründen haben an dieser Stelle meines Gartens Wildbienen, nicht ich, ihren Spaß.

Wer mir auf Twitter folgt, wird wohl ab und zu etwas von meiner Mikroobsession mit Mooren mitbekommen haben. Ich war noch nie in einem (lebenden) Moor, ich komme aus einer Gegend, wo der noch flüsschenförmige Neckar neben kleinen Bächlein das einzige Gewässer weit und breit ist, aber theoretisch liebe ich Moore. Angefangen hat das mit einer landschaftlichen und kulturhistorischen Faszination für die Nordseeküste im Urlaub. Wusstet Ihr, dass es sogar ein schwimmendes Moor da gibt? Ein schwimmendes Moor!! Ich kann nicht, das ist so cool. Als ich dann noch gelesen habe, dass Moore klimarettende und wasserregulierende Powerhouses sind, war es um mich geschehen. Moore <3

Die Sache ist, dass inzwischen 95% aller Moorflächen in Deutschland tot sind. Uff. Landgewinnung für den Ackerbau und Torfabbau haben die Moore hierzulande dezimiert. Aber es gibt einen Lichtblick! Moore kann man wiedervernässen und es gibt auch schon Projekte in die Richtung, auch wenn sie sich schwierig gestalten. Und Moorflächen sind keine verlorenen Flächen. Davon abgesehen, dass sie uns im Kampf gegen die Klimakrise kräftig unter die Arme greifen und Hochwasser verhindern können – was an sich schon Grund genug sein sollte, intakte Moore zu haben – kann man Moorflächen auch noch in sogenannter Paludikultur bewirtschaften. Hach, ich bin der Herzaugen-Emoji. Moore <3

Die Sache ist die: Wir wissen das alles. Wir wissen, dass Moore bessere CO2- und Methanspeicher sind als Wälder. Wir wissen, dass Wälder den Regen von der Küste ins Inland transportieren. Wir wissen, dass Monokulturen und schwere Geräte unseren Boden derart ruinieren, dass er in ein paar Jahrzehnten totkultiviert sein könnte. Wir wissen das alles, es gibt für alles Lösungen, aber wir wollen diese Probleme offensichtlich nicht lösen.

Vom Willen zu wollen

Das ist doch irgendwie das Frustrierendste, das Ärgerlichste, das Ich-könnte-vor-Wut-meine-Daumen-schälenste an der ganzen Ökologiedebatte: Dass Menschen an sich super schlau sind, oft schon vor Jahrhunderten und Jahrtausenden Lösungen für den nachhaltigen Umgang mit der nicht-menschlichen Welt gefunden haben, man das einfach machen könnte – es aber einfach nicht tut. Und in vielen Fällen: Nicht will.

Das fängt bei dem Unwillen an, Fahrradwege einzurichten, nein, nicht mal während der Corona-Pandemie, geht über die haarsträubenden Lobbyverstrickungen der Landwirtschaft bis hin zu der politischen Sabotage des Ausbaus erneuerbaren Energien. Will nicht, kann nicht, aber die Wirtschaft! Und dann regen sich Bauern auch noch darüber auf, dass sie die Gülle nicht mehr direkt in Gewässer kippen dürfen. Danke für nichts. Was mich an der ganzen „Debatte“ so aufregt, ist schlicht und ergreifend, dass die Wissenschaft, die Vernunft und der eigene Überlebenstrieb eigentlich sehr klar vorgeben, was zu tun ist, die Politik und Teile der Bevölkerung dies aber aus Bequemlichkeit oder Profitinteresse schlicht und ergreifend nicht wollen.

Dabei sind gerade die wirtschaftlichen Schäden des Klimawandels enorm: Alleine die von den wiederkehrenden Dürren verursachten Missernten und Ausfälle im Schiffsverkehr sind deutlich spürbar und das Klima wird ja nicht mehr freundlicher. Wir stehen erst am Beginn der uns bevorstehenden Veränderungen und schon jetzt brennt die Arktis und auch im gemäßigten Deutschland wird mancherorts das Wasser knapp. Aber da wir eben noch am Anfang stehen, könnte man noch richtig, richtig viel tun. Man müsste nur wollen wollen.

Liebliches Pottingen an der Emscher

Die Menschen in Europa haben ihrer Landschaft übel mitgespielt. Die Begradigung des Rheins, die der Vorbeugung von Hochwasser und der Erleichterung der Schifffahrt dienen sollte, hat zum Beispiel das Flussbett derart erodiert, dass das Grundwasser abgesunken ist und die Auenwälder abgestorben sind. Upsi. Auch der Bergbau in NRW hat zu Absenkungen des Bodens geführt und die RAG muss für alle Ewigkeiten Wasser pumpen, damit das teils mit Schadstoffen belastete Grubenwasser nicht in Kontakt mit dem Grundwasser im Ruhrgebiet kommt. Nennt sich Ewigkeitskosten. Ewigkeit wie in „für immer“. Doppel Upsi.

Aber es geht auch anders. Manchmal will jemand: Ebenfalls im Ruhrgebiet findet sich eines der größten Renaturierungsprojekte Europas: der Emscher-Umbau. Für alle, die nicht mit dem Pott vertraut sind: Die Emscher wird im Wikipedia-Artikel von einem mittelalterlichen Chronisten so beschrieben: „An Flüssen ist nur die Emscher vorhanden, welche in der hiesigen Gegend noch nicht stark ist […]. Doch hat dieselbe Hechte, Aale, Bleier und andere Fische, wie auch Krebse. Man genießt daselbst eine recht gesunde Luft und hat vortrefflich klares Wasser.“

Meine Erfahrung ist da eher: „Und fährt man auf der Erzbahnschwinge Richtung Gelsenkirchen, so gebietet es sich, alsbald die Luft anzuhalten, so man nicht erstinken möge, denn man passiert hier die Emscher, jenes einbetonierte Abwasser, von dem ich mit Verwunderung vernommen habe, dass es sich um einen Fluss handele.“ Die Emscher wird seit Jahren aufwendig renaturiert. Wenn auch der ursprüngliche Verlauf alleine wegen der Absenkung des umliegenden Landes nicht wiederhergestellt werden kann, so wird aus dem offenen Abflusskanal des Ruhrgebiets doch wieder ein Fluss, sogar mit neuer Mündung in den Rhein. Ist das nicht abgefahren? Dass man Flüsse einfach verlegen kann? Dass wir all unsere intellektuelle und ingenieurstechnische Potenz auch für die nichtmenschliche Umwelt einsetzen können?

An manchen Orten und Landschaften in Europa ist das notwendig. Hier haben die Menschen die Landschaft baulich so stark verändert, dass es einen weiteren menschlichen Mammutakt benötigt, um das wieder gerade zu rücken. Das bedeutet, dass eine Menge Geld, Zeit und Arbeitskraft (Yay, Arbeitsplätze!) in solche Renaturierungsprojekte investiert werden müssen. Das ist anstrengend und gerade bei solchen Rieseninvestitionen ist die Überzeugungsarbeit, die geleistet werden müsste, natürlich enorm. Aber was, wenn wir in der Renaturierung gar nicht alleine arbeiten müssten? Was, wenn wir uns von jemandem helfen lassen könnten, der kein Geld für seine Dienste verlangt und ganze Landschaften verändern und pflegen kann? Gibt es. Man muss nur aufhören, unter Menschen nach solchen Personen zu suchen.

Loslassen

Die wirksamste Methode, ein Moor wiederzuvernässen, ist, die Entwässerungsgraben zuzuschütten und es dann in Ruhe zu lassen. Niemand hat den deutschen Wald gesät. Das hat die nicht-menschliche Welt einfach selbst gemacht. Wenn Umweltschützer_innen Landstriche wieder verwildern wollen, haben sie mächtige Verbündete, wenn sie ihr Repertoire auf nicht-menschliche Landschaftsarchitekten ausweiten. Rewilding – die Wiedereinführung großer Tiere, die Menschen von der Bildfläche gejagt und domestiziert haben, hat einen so großen Einfluss auf Ökosysteme, dass sogar die Wüstenbildung damit aufgehalten werden kann.

Ja, der westlichen Mach-dir-die-Welt-Untertan-Logik gefällt der Gedanke nicht: Dass andere Tiere einen signifikanten und zwar einen positiven Effekt auf die Umwelt haben können, der nicht vom menschlichen Genie erdacht ist. Menschen waren nie allein auf dieser Welt und dass sie uns bisher so gewogen war, hat viel mit der Vorarbeit nichtmenschlicher Akteure, pflanzlicher wie tierischer zu tun. Manchmal auch menschlicher, aber Europäer_innen sind sehr gut darin, die Vorarbeit indigener Kulturen nicht zu sehen oder anzuerkennen. (Nein, Kartoffeln, Mais und Tomaten kamen in ihrer direkt anbaubaren Form auch nicht in der amerikanischen Natur vor.) Das Beste, was der Mensch manchmal für die Umwelt und für die Leute, die sich um sie kümmern, tun kann, ist, sie in Ruhe zu lassen oder sie jenen Tieren zu überlassen, die sie seit Urzeiten gepflegt haben.

Lustigerweise werden mit diesem Hintergedanken in einigen europäischen Projekten gerade Rinder entdomestiziert, da ihr wilder Vorfahre, der Auerochse, ausgestorben ist. Dank der globalen Entwicklungen, gerade in Brasilien, verbindet man Rinder eher mit Rodung des Amazonas für Weidefläche und Sojaanbau, aber das Problem sind nicht die Rinder, sondern dass Menschen sie stationär auf dem immerselben Stück Land halten. Freie Weidetiere ziehen umher und lassen die Ökosysteme, die sie ernähren, regenerieren.

Diese Einsichten, auf die wir viel früher hätten kommen können, wenn der weiß-westliche Diskurs mal indigenen Menschen zugehört hätte, sind großartig und machen Hoffnung, dass so langsam aber sicher in die richtige Richtung gedacht wird. Allerdings fehlt es für die Umsetzung an großen, zusammenhängenden Flächen. Hier in Europa gehört alles irgendwem und niemand will eine Herde rückgezüchteter Auerochsen auf seinem Acker haben. Wer nicht gerade über eine kleine Grafschaft aus dem Familienerbe besitzt, wird diese Strategien der Renaturierung nicht verfolgen können. Aber kehren wir zurück zum ersten Artikel der Reihe und nehmen die Perspektive ein: Natur und Menschen sind nicht getrennt. Und jede Person, die über die zeitlichen und körperlichen Kapazitäten verfügt, kann an der Zusammenführung arbeiten.

Rasen verboten!

Was die Moore im Guten sind, so sind Rasen meine negativ-Mikroobsession. Rasen sind so unfassbar hässlich und sinnfrei und für die Biodiversität nur ein kleiner Schritt über dem Schotter"garten". Sie machen wenn dann überhaupt nur Sinn, wenn Grünflächen explizit dafür vorgesehen sind, regelmäßig von Menschen betreten zu werden. Aber auch dann braucht es keinen englischen Rasen in Monokultur, sondern das tut auch eine Wiese voller Gänseblümchen, Klee und Spitzwegerich. Also Wiesenfläche im Garten für die Kinder zum Spielen: ja, endlose kahlgeschorene Graswüste auf öffentlichen und privaten Grundstücken: nein.

In der oben verlinkten Rewilding-Dokumentation auf Arte heißt es: „Wir haben uns in Europa an leere Landschaften gewöhnt.“ Genauso gut könnte man sagen: Wir haben uns an sterile Grünflächen gewöhnt. Steingärten sind da nur das Tüpfelchen auf dem I-gitt. Dabei gilt: Wer einen Garten hat, ist privilegiert. Und als Statussymbol, als Ausdruck der Kontrolle über das Leben und die Umwelt, muss das eigene Stück Land dann auch noch ordentlich und aufgeräumt aussehen. Dabei machen Privatgärten eine größere Fläche als alle deutschen Naturschutzgebiete zusammen aus. Zwar eignet sich die private Parzelle darum nicht dafür, Wisente auszuwildern, aber ein naturnaher Garten ist trotzdem ein großer Schritt in die richtige Richtung. Wenn dann auch noch städtische Grünflächen naturnah gestaltet würden, wären wir auf einem guten Weg, zumindest Kleintieren wie Insekten, Nagern, Igeln und Fledermäusen das Leben zu erleichtern.

Christiane Habermalz beschreibt in +Anstiftung zum gärtnerischen Ungehorsam zum Beispiel wie die schwäbische Stadt Bad Saulgau ihre öffentlichen Flächen insektenfreundlich umgestaltet hat – und zwar schon seit 25 Jahren. Sie hat die dafür Verantwortlichen besucht und befragt und die Argumente, die Städte gerne gegen solche Maßnahmen hervorbringen, als wieder denselben Refrain aus kann nicht, will nicht, aber die Wirtschaft! entlarvt. Überhaupt gibt Habermalz im ganzen Buch tolle Tipps für Leute mir Gärten und solche mit – äh – unbeobachtetem Zugang zu städtischen Grünflächen.

Ob Fensterbank, Baumscheibe oder Schrebergarten: Wer sich selbst entdomestizieren will, kann sich ganz konkret der Aufgaben annehmen, die andere große Wildtiere anderswo übernehmen: Das Verteilen von Saatgut, die Pflege und Diversifizierung des eigenen Ökosystems, mag das nun städtisch oder ländlich sein. Und wenn man nur in einem ungestörten Moment ein paar Akeleiensamen in die Böschung streut. In einigen Städten kann man übrigens auch offiziell die Gestaltung einer Grünfläche übernehmen. Es lohnt sich, mal nachzuforschen.

IMG_20200604_082535 — Irgendjemand hat diese Baumscheibe lieb.

Self-care, aber für die Welt

Man könnte also annehmen, die Welt sei von vornherein ein künstliches Produkt, ihre Bewahrung so etwas wie ein ständiger Restaurierungsprozess. Aber können wir, wenn wir nur reparieren, über uns selbst hinausgelangen, oder beobachten wir letztlich einen Abbau der Substanz?

Das fragt Jan Kuhlbrodt in seinem Essay +Das Elster-Experiment . Für mich ist der Mensch als Caretaker eine hoffnungsvolle Figur. Eine, die sich mit dem Selbstverständnis vieler indigener Völker deckt. Die westliche Besessenheit, die Welt in all ihren menschlichen wie nicht-menschlichen Aspekten kontrollieren und am liebsten nach eigenem Gusto formen zu wollen, als bloße Ressourcenansammlung, die man nach Herzenslust ausschöpfen, neu arrangieren und derer man sich auch bei Bedarf entledigen kann, ist ein Auswuchs eines gewaltvollen Weltbildes, eines patriarchalen Ideals des Menschen als Jäger, Eroberer und Herrscher.

Dass das Streben nach immerwährendem Funktionieren und Leisten krank macht, haben viele an sich selbst bereits gemerkt: Depression und Burnout – was letztendlich eine Erschöpfungsdepression ist – sind laut Hartmut Rosa in +Unverfügbarkeit in der Moderne gesellschaftlich präsent wie noch nie. In einer Abwehrgeste sprechen wir von Self-Care: Sich Zeit für sich nehmen, sich etwas gönnen, einfach mal nichts tun und in regenerativen Praktiken schwelgen. Ich wünsche mir, dass jeder Mensch sich mit demselben Mindset liebevollen Verständnisses der Welt zuwendet. Seinen Mitmenschen und anderen Mitwesen.

Das kann das Anlegen eines naturnahen Gartens sein, im Sommer Abends den Straßenbäumen ein paar Liter Wasser zu geben, oder einfach keinen Müll im öffentlichen Raum liegen zu lassen. Alle wollen, dass wir achtsam durch die Welt gehen, ich würde dafür plädieren, es liebevoll zu tun. Denn aus dem Self-Care-Mindset heraus haben wir Verständnis für Bedürfnisse außerhalb der Leistungslogik. Und was für Tiere und Pflanzen gilt, gilt in gesteigertem Maße für die Menschen, mit denen wir unser Habitat teilen. Denn so wenig wie die Menschheit alleine ist auf dem Planeten, so ist auch der Mensch als Person niemals allein, sondern verwoben in ein soziales Ökosystem, das uns nicht nur in unseren materiellen sondern auch in unseren seelischen Bedürfnissen unterstützen sollte. Menschenschutz ist Naturschutz. Insbesondere jener Menschen, welche die Gewalt unseres derzeitigen Systems am heftigsten zu spüren bekommen.

Wo Spatzen Spaß haben

Einer der wichtigsten Denker der Klimakatastrophe ist für mich Timothy Morton. Der in Texas lebende Philosoph hat mit seinem Werk +Ökologie ohne Natur internationale Bekanntheit erlangt. In seinem Buch +Humankind plädiert er nicht nur für die Inklusion von Nichtmenschen in gängige Denkmodelle, er spricht sich auch für ein grundlegendes Umdenken aus, wie wir Ökonomie denken:

Menschlichkeit (Human-kindness) geht über Toleranz hinaus, die auf einer emotionalen Ökonomie des Brauchens basiert, zu einer Wertschätzung, einer grundlosen Wertschätzung, die auf einer emotionalen Ökonomie des Wollens fußt. Dies bringt nicht die Möglichkeit mit sich, sich Freude zu verweigern […], sondern anderen Wesen zu ermöglichen, Freude zu haben. Aus irgendwelchen Gründen haben an dieser Stelle deines Hauses Spatzen, nicht du, ihren Spaß. Aber dir macht es Spaß, den Spaß der Spatzen wertzuschätzen. Es ist faszinierend, nichtmenschliche Modi der Freude zu steigern und erweitern. (Meine Übersetzung)

Umweltschutz klingt viel zu häufig nach Verboten und Verzicht. Wir dürfen kein Fleisch mehr essen, nicht mehr fliegen, am besten kein Auto mehr fahren. Morton sagt hingegen: Wenn unser Strom aus regenerativen Energien kommt, können wir in jedem Zimmer unseres Hauses ohne schlechtes Gewissen eine Disko veranstalten. Wir denken zu wenig über die schönen, die utopischen Seiten einer umweltfreundlichen Zukunft nach. Es fehlen die Visionen, zum Teil aber auch schlicht und ergreifend die Vorstellungskraft, dass man ohne Fernreisen, dafür aber mit einem blühenden, summenden, zwitschernden Umfeld glücklicher sein könnte.

Unite and care statt divide and conquer

Unser gesamtes Wertesystem in den westlichen Industrienationen baut darauf auf, sich möglichst viel Welt-als-Ressource anzueignen und möglichst viel Kontrolle auszuüben. Wenn nötig auch mit Gewalt. Über unsere Mitmenschen, unsere Umwelt und über uns selbst. In diesem System existiert nur egoistischer Wohlstand, einer, der sich über andere erhebt, den eigenen Status zementiert und die Welt-als-Ressource hortet wie ein eifersüchtiger Drache. Er gehorcht der Logik der Aneignung und Ausbeutung – der Domestizierung von Land, Tieren und Menschen.

Der Emscher-Umbau kostet laut Wikipedia rund 5,38 Mrd. Euro. Das ist ein Haufen Geld für einen zum Abwasserkanal degenerierten Fluss, den außerhalb von NRW niemand kennt. Die Emscher ist stellenweise noch immer eingedeicht und muss es wegen der Absenkung des Umlandes wohl auch für alle Ewigkeit bleiben. Ist es das also wirklich wert? Wir werden ja eh nie den malerisch mäandernden Fluss mit vortrefflich klarem Wasser zurückbekommen, genauso wenig, wie wir den Auerochsen zurück bekommen.

Im Westen haben Menschen den Anspruch, dass Natur ewig zu sein habe. Das Meer, die Berge, der Wald – die landschaftlichen Konstanten unserer Umwelt, verlässlich und immerwährend. Aber der Anstieg des Meeresspiegels nimmt uns das Watt, die Berge verlieren ihre Gletscher und der Wald verdorrt uns unter den Subventionen weg. Die nichtmenschliche Welt ist kein starres Objekt, das darauf wartet, die Ressource der Menschen zu werden, sondern ein lebendiges System, das sich wandelt und anpasst. Menschen können nicht alle wieder anfangen, zu jagen und sammeln – dieser Naturzustand ist für uns so unerreichbar wie ihr ursprüngliches Flussbett für die Emscher. Aber die Emscher ist wieder ein Ökosystem und wir in den westlichen Industrienationen können es auch schaffen, uns aus unserer verbohrten Wirtschaftslogik zu lösen und ökologisch wertvolle Wesen zu werden, ganz ohne einem herbeifantasierten Urzustand nachzueifern. Aber das werden wir nicht mit neuen Rekorden für die schwersten und größten SUV. Das erfordert das Aufgeben von Herrschaft, das Vertrauen in andere – Menschen sowie Nichtmenschen – und einer Neudefinition von Wohlstand.

Menschen müssen Wohlstand woanders finden als in der materiellen Selbstbeweihräucherung: In der Rückkehr der Fische in die Emscher, im Anblick blühender ungemähter Wiesen, in der Fürsorge für einander und in schwimmenden Mooren, auch wenn sie selbst davon nur in Form von Freude profitieren. Mensch und Natur, Gesellschaft und Umwelt – diese Felder getrennt voneinander zu betrachten lenkt von dem Gesamtbild ab. Soziale Gerechtigkeit ist Umweltgerechtigkeit ist Klimagerechtigkeit. Das Anspruchsdenken, dass die Welt und alle Menschen einem zur Verfügung zu stehen haben – als Urlaubsziel, als Parkplatz, als Dienstleister_innen und Leistungsträger_innen – muss aufhören. Menschen sind kein Nutzvieh. Und die Erde auch nicht.

Der Einsatz für die Umwelt kann nicht das Bestreben sein, gütigere Tyrannen zu werden. Was Entdomestizierung letztendlich bedeutet, ist Freiheit. Und das ist der Aspekt, den ich in all meinem Handeln in Richtung Umweltschutz in der Vordergrund stellen will. Freiheit für alle Menschen, für Nichtmenschen – und auch für mich selber. Freiheit vor Ausbeutung, Freiheit, sich zu bewegen wie und wohin man möchte, und Freiheit, sich um das zu kümmern, was wirklich zählt. Und das ist nicht die Wirtschaft.

Man muss es nur wollen.

#AlleDörferBleiben #SeenotrettungIstKeinVerbrechen #SystemChangeNotClimateChange