Meine gelesenen Bücher im Dezember 2021

+Aus der Dunkelheit strahlendes Licht

Nach der Lektüre von der "Wassermusik" von Boyle wollte ich literarisch noch etwas in Afrika bleiben und da kommt mir dieses Buch über das Ende von David Livingstone und dem anschließenden Transport der sterblichen Überreste des Forschers aus dem Inneren von Afrika an dessen Ostküste und die darin erfolgenden Rückblicke auf die Reisen des Forschers und sein Leben aus den Augen zweier Reisegefährten gerade recht. David Livingstone bereiste im 19. Jahrhundert das südliche, zentrale und östliche Afrika und erlebte die Brutalität der Sklavenjagden, prangerte diese Unmenschlichkeit auch an, war aber genauso mit den Sklavenjägern auch befreundet, waren sie doch mächtige und einflussreiche Menschen in diesem Gebiet.
Der Blick in dem Buch auf das Leben des Forschers wird einerseits von Halima, der Köchin Livingstones, einer ehemaligen Sklavin, die von Livingstone freigekauft wurde, geworfen. Eine scharfzüngige und auch lebenskluge Beobachterin des Treibens der Männer der Expedition, egal ob sie europäischen oder afrikanischen Ursprungs sind. Der andere Blick kommt vom tiefgläubigen Jacob Wainwright, einem zwischen den zwei Welten gefangenen Afrikaner, einem Yao, der früh die Gefährlichkeit afrikanischer politischer Umtriebe erfährt und von Europäern gerettet wird, daher einem Schwarz-Weiß-Denken aufsitzt, welches ihm und seinem Umfeld das Leben schwermacht. Zwei Blicke völlig unterschiedlicher Persönlichkeiten, die gerade deshalb ein stimmiges Bild zeichnen. Interessant!

+Wie schön wir waren

Ein intensives Buch! Ein aufrüttelndes Buch! Ein Buch, welches nahe an der Wirklichkeit ist! Erschreckend nahe!
Ein afrikanisches Dorf namens Kosawa, vom Volk des Leoparden bewohnt, ein kleines Volk, nur in ein paar weiteren Dörfern wird noch die gleiche Sprache gesprochen. Ein namentlich nicht genanntes Land in Afrika mit einem königgleichen Herrscher, eine Diktatur, ausgeübt von einem herrschenden Volk, ausgeübt an den anderen Völkern des Landes. Ein amerikanischer Großkonzern, hier Pexton genannt, der Gewinn machen möchte, mit Hilfe der Diktatur des Landes und zum Segen der Diktatur des Landes. Und Erdöl im Lande des Volkes des Leoparden.
Das sind die Zutaten zu diesem Buch von Imbolo Mbue, einer amerikanischen Autorin, die in Limbe in Kamerun aufwuchs, einem Zentrum der kamerunischen Erdölförderung.
Das Erdöl und die Förderung dieses Rohstoffs ist für die Bevölkerung Kosawas ein Todesurteil. Die Förderung verläuft unter einer permanenten Schädigung/Verunreinigung der Umwelt und die Bevölkerung von Kosawa wird krank/wird geschädigt. Durch eine mangelnde Bildung kann sich die Bevölkerung auch nicht wehren, wird weder von Pexton noch von der Elite des Landes gehört, der Profit ist halt wichtiger. Durch den immer weitergehenden Protest der Dorfbewohner erreichen sie erste Ziele und Verbesserungen. Eine Schule ermöglicht die Bildung der Dorfbewohner und die Bildung ermöglicht weitergehenden Protest, doch mit welchem Ziel?
Imbolo Mbue lässt in ihrem Roman nur die Einwohner von Kosawa zu Wort kommen und ihren Kampf, ihre Erlebnisse schildern. Gerade dadurch ist dieses Buch so aufrüttelnd und auch so emotional, auch wenn das Geschilderte eher kühl erzählt wird. Ein definitiv interessantes Buch!

+Jetzt ergebe ich mich, und das ist alles

Wieder ein Highlight! Ein mexikanischer Autor blickt hier auf die Geschichte des Volkes der Apachen. Aufrüttelnd und emotionsgeladen und absolut interessant und ungewöhnlich erzählt.
Einerseits gibt es 1836 die Geschichte von Camila Ezguerra, ihrer Entführung durch Mangas Coloradas, einem bedeutenden Führer der Apachen und der Suche nach der Mexikanerin durch Leutnant José Maria Zuloaga mit recht illustrem Personal, welches teilweise später wieder auftaucht.
Andererseits gibt es die Geschichte des mexikanischen Autors selbst, dessen ungeklärter Aufenthaltsstatus ihn mit seiner Familie Urlaub machen lässt in den USA und nicht wie geplant in Mexiko. Er reist mit seiner Familie an die geschichtsträchtigen Orte des Südwestens und sinniert dort über die Geschehnisse. Durch diesen Aspekt sinniert der Autor nicht nur über den Überlebenskampf der Apachen in der Apacheria, sondern auch über das Miteinander der Amerikaner, Mexikaner und Indianer in früherer Zeit und die Folgen aus diesem Umgang in den früheren Jahren im Heute/im Jetzt. Dieses Buch ist absolut interessant geschrieben, ist in drei Teile gegliedert, im ersten und dritten Teil überwiegt die Geschichte von Camila und Zuloaga, dennoch ist diese Geschichte auch hier immer wieder durch Betrachtungen des Autors, oder auch durch artikelhafte Ergänzungen zum historischen Kontext unterbrochen.
Im mittleren zweiten Teil wird nur noch auf verschiedene historische Persönlichkeiten in artikelhaften und auch länger gehaltenen Absätzen geblickt und die Reise des Autors durch die USA verfolgt.
Dennoch wird in diesem Buch ein ganzheitlicher Blick auf die Geschehnisse im Südwesten geworfen und dies in einer absolut einzigartigen Form, die manchmal etwas schwer zu lesen ist, aber dennoch absolut bereichert.
Und nebenbei finde ich noch heraus, dass die mitreisende Frau des mexikanischen Autors ebenfalls Autorin ist, nämlich Valeria Luiselli. Es wird ein Buch erwähnt, an dem sie arbeitet, welches sich ebenso um dieses Thema hier dreht. Wahrscheinlich ist von "Archiv der verlorenen Kinder" die Rede. Auch ein Buch, welches bei mir noch auf seine Zeit wartet.

+Vater und ich

Dilek Güngör blickt hier auf eine Vater-Tochter-Beziehung, in der eine Entfremdung Einzug gehalten hat. Eine Entfremdung durch eine Veränderung der Tochter, eine Entfremdung durch ein Leben in der Fremde, eine Entfremdung durch die unterschiedlichen Geschlechter, eine Entfremdung durch unterschiedliche Kulturen. Man kann hier viel hineininterpretieren. Es kann allerdings auch nur eine Entfremdung durch eine Veränderung sein, die Veränderung des Erwachsenwerdens der Tochter, also auch ein gewisser Verlust des Vaters. Und ein Blick auf das Älterwerden des Vaters. Interessant. Aber die Nominierung des Buches für die Longlist des Deutschen Buchpreises verstehe ich hier leider nicht. Dieses Buch ist gut, ja, aber nicht außergewöhnlich gut in meinen Augen. Und etwas mehr Herausstechen aus der Masse wünsche ich mir beim Deutschen Buchpreis schon.

+Der Tod und das dunkle Meer

Wieder ein Highlight! Ich habe von Stuart Turton dieses Jahr schon "Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle" gelesen und war von der erzeugten Spannung des Buches absolut angetan.
Auch bei seinem neuen Buch "Der Tod und das dunkle Meer" erschafft Stuart Turton wieder diese immense Spannung. Man kann das Buch ganz schlecht wieder weglegen und die Seiten fliegen an mir vorbei. Anders ist diesmal, dass das Buch 1634 handelt, also auch geschichtliche Fakten vermittelt werden. Auch das Mystische und Phantastische ist mit dabei, anders als beim letzten Buch, aber genauso dominant. Das Buch ist dunkel und düster, erinnert aber mehr an einen Krimi. Der Vorgänger war in meinen Augen eher phantastisch gehalten. Aber wie der Autor schon im Nachwort verrät, es ist ihm wahrscheinlich wichtig Bücher zu schreiben, die man schwer zuordnen kann, weil sich in der Handlung vieles vereint. Ich finde gerade diese Mischung interessant und die immense Spannung beider Bücher sensationell!
Das Buch ist eine wunderbare und spannende Unterhaltung, ist dank der historischen Note auch noch auf einem weiteren Gebiet interessant und dieses Buch ist ein Geschenk in diesen Zeiten. Denn der Kopf darf mal kurz entfliehen, sich auf eine spannende Reise begeben. Bitte mehr davon!

+Borgo Sud

Schon mit "Arminuta" konnte mich die Autorin Donatella di Pietrantonio vollkommen begeistern. Und auch in "Borgo Sud" geht es wieder um die beiden Schwestern, es sind Jahre vergangen, die Frauen sind erwachsen und autonom. Adriana ist in ihrem Heimatort verblieben, lebt in prekären Verhältnissen, ist aber mit ihrem Lebensentwurf zufrieden. Ihre Schwester, die ehemalige Arminuta, hat es allerdings nach Grenoble verschlagen, sie lehrt an der dortigen Universität.
Ein Anruf aus Borgo Sud bringt der ehemaligen Arminuta Erinnerungen, lässt sie zurückkehren, denn ihre Schwester Adriana hatte einen Unfall. Doch was hat Adriana stürzen lassen? Die Einwohner von Borgo Sud wissen anscheinend mehr, rücken aber nicht so recht mit der Sprache heraus, denn die dortigen Menschen halten zusammen und sie halten dicht. Doch auch die ehemalige Arminuta und die jetzt entschwundene Arminuta beginnt schnell zu begreifen.
Die Rückkehr in die Heimat lässt die ehemalige Arminuta zurückdenken, Erinnerungen hochkommen, Familienbande erstarken und die Leserschaft an den Geschichten der Familie teilhaben, die Lücken von "Arminuta" zu "Borgo Sud" schließen. Wenn mir schon die "Arminuta" sehr gefallen hat, so erschafft sich "Borgo Sud" ein Weg in mein Herz und das ist mir natürlich die volle Punktzahl wert. Ein tolles Buch!

+Cowboygräber

Mit diesem Buch erschließt sich mir eine interessante und verwirrende Welt, hier eröffnet mir ein neuer Autor seine Sichten. Es sind Blicke ins Jetzt und ins nicht Reale, es sind verschwimmende Blicke, es sind künstlerische Blicke und surreale Blicke, es sind männliche Blicke. Blicke und Sichten mit einem ganz speziellen Reiz, nichts einfaches, nichts leichtes, eher eine schwere und auch etwas verwirrende Kost. Aber dieses Buch macht mich auch neugierig auf weiteres aus der Feder von Roberto Bolaño. Denn "Cowboygräber" sind drei Kurzgeschichten, aus denen noch etwas anderes hätte werden können, hätte werden sollen. Vielleicht?!?! Sie sind nicht zusammenhängend, künden aber von einer ungeheuren Schaffenskraft des Autors Roberto Bolaño. Und sie stammen aus dem Nachlass des Autors. Wie auch einige Bücher. Das Nachwort des Buches "Cowboygräber" ist dazu wirklich erhellend.
Und was auch erwähnenswert ist, der chilenische Autor erlebte den Putsch in Chile, entkam diesem gerade so. Ist politisch eher links verortet. Lebte in Mexiko und El Salvador. Hat politische Unruhen in Lateinamerika erlebt und betrachtet diese nicht aus der Ferne, sondern ist mittendrin. Das macht sicher etwas mit ihm. Denn seine Texte klingen danach. Auch daher sind sie interessant, machen mich neugierig. Es wird sicher bald weiteres von diesem Autor vor meine Augen kommen.

+Siegerin

Ein heftiges Buch! Ein intensives Buch! Ein düsteres Buch! Und definitiv ein Highlight!
Der israelische Autor Yishai Sarid hatte mich schon mit seinem "Monster" begeistern können. Auch dieses Buch war alles andere als einfach. Aber "Siegerin" übertrifft das Düstere in "Monster" noch um Längen. Und das muss man erst einmal schaffen. Denn die Thematik in "Monster" ist schon heftig!
Wer wissen will, wie es ist in einem kriegführenden Land zu leben, patriotisch zu sein, ist hier richtig. Wer wissen will, was dieses in einem bedrohten Gebiet leben mit den Menschen macht, mit den Menschen machen kann, ist hier richtig. Ich hab mal vor längerer Zeit mit Israelis reden können, die von diesem Empfinden sprachen, wie es ist von Bombenattentaten zu hören und erst einmal in dem eigenen Umfeld nachzuforschen, ob alle in der eigenen Umgebung gesund und munter sind. Personen der eigenen Familie sprachen von den Bombennächten im Krieg und der daraus resultierenden Ungewissheit. Das sind Dinge, die wir uns heute kaum mehr vorstellen können. Lektüre kann da aber einen anderen Blickwinkel erschaffen. Und das macht Yishai Sarid. Denn dieser Druck macht etwas mit der Bevölkerung. Oder mit bestimmten Teilen der Bevölkerung.
Die Psychologin Abigail berät das israelische Militär seit Jahren erfolgreich, wie die eigene Streitmacht erfolgreicher wird, wie Menschen erfolgreich manipuliert werden können. Wie lernt man zu töten ohne daran zu zerbrechen? Schon diese Gedanken sind Gedanken, die mir schwer im Magen liegen. Dennoch aber nachvollziehbar sind. Leider! Dann aber wird der einzige Sohn von Abigail in die Armee einberufen und Abigail steht vor ganz neuen Fragen. Was ist wichtiger, ihr Heimatland und ihr Patriotismus oder ihr Sohn Schauli? Denn Abigail ist nicht nur patriotische Jüdin, sondern auch Mutter. Ein Gewissenskonflikt! Und ein schwer verdauliches Buch!

+Die Mission des Kreuzritters

Eine interessante und auch spannende Zeitreise in den Nahen Osten des 12. Jahrhunderts. Von Ulf Schiewe hatte ich schon "Die Kinder von Nebra" gelesen und wusste daher, dass der Autor sehr gut recherchiert und spannende Geschichten zu Papier bringt. Eigentlich hatte ich auf eine Fortsetzung zu den Kindern von Nebra gewartet, war aber auch am 12. Jahrhundert im Nahen Osten interessiert. Ich habe mich nicht weiter um das Buch gekümmert und nachgeforscht, denn hätte ich das getan, hätte ich nicht an der Leserunde teilgenommen. Warum? Nun, dieses Buch ist der 2. Teil einer Vierer-Serie. Und da mein SuB schon riesig ist. ... Aber gut, ist halt auch ein interessantes Gebiet in einer bemerkenswerten Zeit und der Autor schreibt außergewöhnlich gut und spannend. So kam dann dieses Buch zu mir und ich wurde natürlich nicht enttäuscht. Denn der Autor hat wieder einmal gut recherchiert und sich eine reale Person der Weltgeschichte herausgepickt und um ihr Leben eine fiktionale Geschichte geschrieben. Es geht um Melisende von Jerusalem, eine reale Frau, die um ihre Position am Hof zu streiten wusste. Und das Buch ist eine Geschichte um die Liebe und die Gier, aber auch eine Geschichte um den Fremdenhass und eine Geschichte um die Frauenrechte. Und mit dieser eindrucksvollen und auch reizvollen Thematik hat mich der Autor natürlich voll erreicht. Und mein SuB wächst um die weiteren Bücher des Vierteilers, denn ich war zufrieden mit "Die Mission des Kreuzritters" und möchte nun mehr über die Montalbans erfahren.

+Die Verlassenen

Eine absolut interessante Thematik hat sich Mathias Jügler hier ausgewählt. Es geht um die DDR, es geht um den Verlust, es geht um die Zerstörung einer Familie. Das Ganze wird aus den Kinderaugen erzählt und je älter der Junge wird, desto mehr erweitert sich der Blickwinkel auf die Geschehnisse. Einige Informationen bringen den jungen Mann Johannes dann dazu Nachforschungen anzustellen und heraus kommt eine makabre und erschreckende Geschichte über die Stasi und ihre furchtbaren Machenschaften. Die Geschichte, die der Autor Mathias Jügler hier aufs Papier zaubert ist fesselnd und ebenso erstaunlich, denn der Autor ist 1984 in Halle geboren und hat von daher die Stasi nicht erlebt, aber von ihren Taten durchs Hörensagen erfahren. Dies muss nachhallend gewesen sein. Denn dieser Roman in seiner Kürze und der trotz dieser Kürze erreichten Intensität ist schon außergewöhnlich. Außergewöhnlich gut. Und absolut real rüberkommend. Ein vier Sterne Buch!
Als ich aber auf MDR Kultur einen Bericht über das Buch und dessen Entstehung las, änderte ich meine Bewertung. Soviel Schaffenskraft gehört einfach gewürdigt. Und den Lesern dieser Zeilen kann ich nur raten lest den Artikel auf MDR Kultur. (Matthias Jüglers Roman "Die Verlassenen": Ein Meisterwerk der Täuschung von Rebekka Adler

+Gestapelte Frauen

Dieses Buch ist erschreckend, dunkel, düster und dieses Buch ist real und damit auch so eindringlich. Frauenmorde, Gewalt gegen Frauen, Diskriminierung von Frauen. Dies ist nichts unwirkliches. Das gibt es und ich verstehe nicht, wie es so etwas geben kann, wieso so etwas geschieht. Frauenhass. Was für ein eigenartiges Wort! Was soll mir das sagen? Ich verstehe es nicht! Jeder hat Frauen in der Familie, es gibt persönliche Bezüge. Jeder wird mit Achtung vor anderem Leben großgezogen. Aber ist das wirklich so. Oder ist dies nur in meiner persönlichen Blase so? Oder ist dies nur meine Wunschvorstellung? Schon in unseren westlichen Welten gibt es diese Ungleichbehandlung. Es ist vieles im Wandel, ja, vieles ändert sich, wird besser. Diese Männerwelt wird weiblicher, diverser. Das geht langsam, aber es passiert. Zumindest in unserer westlichen Welt. Doch wie sieht es im Rest der Welt aus. In den anderen Männerwelten? Dunkel!
Dieses Buch hier erzählt uns eine Geschichte aus Brasilien, genauer gesagt aus dem Bundesstaat Acre. Denn Unterschiede gibt es auch in Brasilien. Im moderneren Osten des Landes scheint es für Frauen besser zu sein. Nicht ungefährlich, wie die Protagonistin des Buches am eigenen Leib erfährt. Aber im rückschrittlicheren Westen des Landes scheint es noch schlechter für Frauen bestellt zu sein. Und die Autorin Patrícia Melo beleuchtet auch die Ursachen, die in der Kolonisation des Landes begründet liegen. Männliche Kolonisatoren nahmen sich einheimische Frauen aus den indigenen Gemeinschaften zur Frau. Die Indigenen, die schon immer als Menschen der untersten Stufe betrachtet werden, wenn sie denn das Glück haben überhaupt als Menschen wahrgenommen zu werden, gaben den Kolonisatoren ihre Frauen, gebaren ihnen Kinder, die wieder negativ auf die Indigenen blicken, weil sie sich zu den Kolonisatoren zählen, obwohl sie längst indigene Wurzeln haben. Was für ein Irrsinn!
Und damit wird neben dem Machismo in den lateinamerikanischen Ländern und der allgegenwärtigen Korruption auch die Stellung der Indigenen im Land thematisiert. Was der Autorin wunderbar gelingt. Dieses Buch beschäftigt sich mit der Misogynie und den Femiziden, aber auch mit den Ureinwohnern des Landes. Die Autorin hat wunderbar recherchiert, wie das Nachwort bestätigt.
In den Kapiteln, wo die Protagonistin in die Welten der Indigenen eintaucht, wird eine Liebe und eine Verbundenheit zu deren Kultur verdeutlicht. Interessant gemacht. Ich bin neugierig, wie dieses Buch wohl in Brasilien und anderen Ländern Lateinamerikas wahrgenommen wird, wie der lateinamerikanische Macho dieses Buch wahrnimmt, sofern er denn lesen kann!

+Die Harpyie

Eigentlich beinhaltet "Die Harpyie" ein interessantes Thema, ich verbleibe aber nach der Lektüre etwas enttäuscht und zwiegespalten zurück. Eine Frau wird hintergangen und betrogen, reagiert verletzt und will sich rächen. Gut, so sei es also. Doch auch dazu hab ich schon einen ketzerischen Gedanken. Warum sich rächen? Was hat die Frau davon? Genugtuung? Wie das? Die Verletzung wird doch bleiben, wird bestehen. Warum also eine Rache?
Die Rache besteht im Verletzen des Mannes. Drastisch. Ja. Aber auch nachvollziehbar. Dennoch bleibt die Frage was soll das bringen. Die Frau wird vom Opfer zum Täter. Zur Harpyie. Das wäre eine Veränderung. Aber eine glückliche?
Dann der Gedanke der Harpyie, die Frau wurde schon verletzt, hat also schon eine Leidensgeschichte durch den Vater, ist traumatisch gezeichnet. Hat den Wunsch zur Harpyie zu werden, sich zu rächen, sich zu befreien, zu verschwinden aus ihrem grauenerregenden Albtraum. Nachvollziehbar, wie ich finde.
Irgendwie ist sie ja auch entkommen, hat ihre eigene Familie. Aber kann man der Vergangenheit entkommen? Ja, kann man. In dem man den eigenen Blick auf die Vergangenheit verändert. Aus der Opferspirale entkommt. Dennoch ist das verdammt schwer, braucht gute Psychologen und auch die Bereitschaft der Traumatisierten. Doch sieht man diese hier? In meinen Augen mitnichten.
Die Flucht, was soll sie symbolisieren, die Verwandlung? Einen Wunsch? Einen Suizid? Für eine Verwandlung erschien mir die Protagonistin zu zerrissen. Doch sollte man sie ihr deswegen verwehren? Oder sollte man ihr nicht eher wünschen aus ihrer Hölle zu entkommen! Das Ende kann sich jeder zurechtreimen, wie er möchte, das Traumhafte/Albtraumhafte ermöglicht das.
Dennoch ist "Die Harpyie" ein eigenartiges und auch verstörendes Buch, von dem ich mir definitiv mehr erhofft habe!

+Was rot war

Ein Buch über zwei Frauen, eine innige Freundschaft, eine Liebe, ein Buch über die Geschichte der Kommunistischen Parteien Italiens, ein Buch über ein queeres Leben. Ein interessantes Buch. Aber auch ein etwas nüchternes Buch, in dem man immer wieder in kleinen Abschnitten einen richtigen Sog wahrnehmen kann, der sich aber leider nicht lange hält.
Cruci ereilt in Köln die Nachricht vom Tod ihrer Freundin Lucia, was sie schwer trifft, sie möchte zur Beerdigung nach Italien reisen. Ihr Sohn Rocco wird sie begleiten, reist dazu aus Berlin an, bringt einen Generationenkonflikt gleich mit, der sich auch aus einer fehlenden Kommunikation heraus ausgebildet hat. Aber nicht nur Rocca hat seiner Mutter wenig von seinem Leben erzählt. Auch Rocco weiß wenig von dem früheren Leben seiner Mutter Cruci, weiß wenig von ihrem früheren politischen Leben, dem Kennenlernen der drei Hauptprotagonisten Cruci, Antonio und Lucia in der Funktionärsschule Frattocchie, ihrem späteren politischen Werdegang, den feministischen Zielen Cruzis und Lucias und dem kläglichen Scheitern der weiblichen Ideale am Machismo Italiens, weiß wenig von dem Dreiergespann Cruci, Antonio und Lucia, weiß nichts über den Verrat und dessen Ursachen, lernt seine Mutter neu kennen.
Dieser Roman erzählt von dem Leben der drei früheren Kommunisten und ihren Lebensentscheidungen und den daraus resultierenden Folgen für das Leben der drei Protagonisten und Rocco fängt an seine Eltern aus anderen Augen zu sehen. Enrico Ippolito schreibt dabei interessant und auch fesselnd, nur ein kleines Fitzelchen fehlt für mich hier zu einem 5-Sterne-Roman.

+Die jüngste Tochter

Fatima, die jüngste Tochter einer Familie algerischer Einwanderer in Frankreich blickt hier in diesem Buch auf ihr Leben, auf ihre Familie, auf ihre Stellung in der Familie, auf ihr Selbstbild. Ist gefangen in dem Bild, dass ihre Familie von ihr hat, dem sie aber nicht entspricht. Ist gefangen in dem Bild, dass das islamische Weltbild ihrer Familie ihr aufzwingt. Denn auch diesem Bild und diesen Wertvorstellungen entspricht Fatima nicht.
Fatima liebt Frauen und hat ein anderes Selbstbild und ein anderes Auftreten nach außen, als ihre Familie, ihre Kultur und ihr Glauben von ihr fordern. Fatima verzweifelt über den Wertvorstellungen ihrer Außenwelt, lebt sie doch in Frankreich, wo ein anderes Leben, ein queeres Leben möglich wäre. Aber auch in Frankreich gibt es ewig Gestrige, gegen die queere Menschen ankämpfen müssen.
Geschrieben ist das Buch in einer eigenwilligen Form, gebetsartig oder songtextartig wird hier das Empfinden des Hauptcharakters beschrieben. Wiederholungen sind immer wieder zu finden, die fast wie ein Refrain klingen. Dennoch ist das Geschriebene recht nüchtern, zündet mich nicht an. Obwohl das Thema dies tut.
Denn ein selbstbestimmtes Leben einer Frau, einer queeren Frau mit arabischen Wurzeln ist thematisch vollkommen meins. Ihr Hadern mit sich ist nachvollziehbar, obwohl natürlich vollkommen unbegründet. Denn wo steht geschrieben, dass queere Menschen ein schlechteres Leben führen? Das Geschenk der Liebe ist das höchste Gut, was ein Mensch dem anderen Menschen schenken kann, die Liebe ist heilig, wer wagt es an diesem Gebot, an der heiligen Liebe zu rütteln!

+Eine Seuche in der Stadt

In einem romanhaften Geschehen wird ein Blick auf das Wirken der Bakterien geworfen. Ich hatte mich anfangs erst einmal etwas gesträubt, dieses Buch zu lesen, bin ich doch selbst im Krankenhaus tätig und habe von daher schon den Platz in der ersten Reihe zum Betrachten des Geschehens. Und bin von daher eigentlich mit diesem Thema schon vollkommen bedient. Aber gut. Irgendwann gewöhnt man sich an alles, auch ans Grauen. Und von daher dachte ich mal schauen was Ljudmila Ulitzkaja hier so schreibt. Ich wurde nicht enttäuscht.
Dieses Buch ist hart, aber war. Dieses Buch wäre für diese ganzen Leugner und Gegner des momentanen Geschehens eine Pflichtlektüre, könnten sie doch darin sehen, was ein diktatorischer Staatsapparat zur Eindämmung einer Pandemie zu tun bereit ist. Bemängeln sie doch das Handeln unseres Landes aufs Schärfste. Sind sich aber anscheinend nicht im Klaren, dass dieses Handeln noch deutlich drastischer ginge. Wie dieses Buch zeigt. Aber man könnte natürlich auch nach China blicken, auch dort ist das Handeln deutlich restriktiver. Aber wenn man bedenkt wer politisch hinter diesen ganzen Leugnern steht. Nun gut. Da stehen wohl ganz andere Ziele auf der Agenda.
Dieses Buch ist ein Blick auf die vielleicht einzigste gute Tat des NKWD, den verhinderten Pestausbruch des Jahres 1939 in Moskau, von dem ich bis jetzt gar nichts wusste. Beruht doch das romanhafte Geschehen auf wahren Begebenheiten, wie das Nachwort verrät. Das NKWD oder das Ministerium des Innern ist bekannt für seine Säuberungsaktionen unter Stalin, der auch hier in diesem Buch auftritt, das NKWD ist bekannt für das Ermorden von Millionen Menschen. Hier aber in diesem Buch verhindert das schnelle Durchgreifen des NKWD das Entstehen einer Pestepidemie. Noch dazu von einem besonders ansteckenden Stamm, welcher aus einem staatseigenen Laboratorium entweichen konnte. Auch dieser Punkt regt natürlich zum Nachdenken an und zeigt die dunkle Seite des Menschen. Denn warum oder wozu wurde denn an den Pesterregern gearbeitet in diesem staatseigenen Labor?!?!

+Großer Bruder, kleine Schwester

Ein intensives Buch! Ein berührendes Buch! Ein Highlight!

Kim Thúy, eine kanadische Autorin vietnamesischer Abstammung, die ihre ersten zehn Lebensjahre in Vietnam verbrachte, bevor ihre Eltern mit den Kindern als boat people flohen und sich schließlich in Montreal in der kanadischen Provinz Quebec neu ansiedelten.

Natürlich ist das Thema Vietnam ein immer noch wichtiges Thema, auch andere Romane der Autorin künden davon. Aber die Art, in der diese Autorin schreibt ist wunderbar, es klingt etwas blumig etwas künstlerisch, etwas verspielt, allerdings ist die Handlung fast durchweg furchtbar zu nennen, dennoch blitzt auch immer weder ein gewisser Humor der Autorin durch. Aber anders kann man wahrscheinlich nicht auf dieses Grauen schauen. ein interessanter Schreibstil und eine Autorin, die ich beobachten werde. Schon der Kunstmann Verlag kündet ja von einer hohen Qualität der Schaffenskraft der Autorin! Insgesamt ist dieses kleine dünne Buch "Grosser Bruder, kleine Schwester" ein packender und intensiver Blick nach Vietnam, ein berührender und schmerzender Blick auf das Grauen, dem das Land und seine Bewohner ausgesetzt waren, erst als Kolonie Indochina und dann als Spielball der Weltmächte in einem blutigen Stellvertreterkrieg. Ein intensiver Blick auf das Wirken der Bestie Mensch!

+Der falsche Gruß

Wieder ein Buch von Maxim Biller. Und wieder ein kontroverses Buch! Kann wahrscheinlich gar nicht anders sein. Der Autor zieht ja so ein Erleben magisch an. So ein Empfinden seiner Bücher scheint ja vielleicht auch gewollt zu sein.

"Der falsche Gruß" ist ein etwas verworren geschriebenes Buch, durch eine nicht chronologische Handlung springt das Buch in die verschiedenen Zeiten des Geschehens. Schon das allein verwirrt gewaltig.

Dann nimmt sich der Autor hier unsere, die deutsche Eigensicht vor. "Der falsche Gruß" ist ein Buch über den schönen Schein und das wirkliche Sein, ist ein Buch über Political Correctness, ein Buch über Widersprüche, ein Buch über Gegensätze, ein Buch über eine nicht vorhandene Ehrlichkeit, ein Buch über die Scheinheiligkeit. Ein interessantes Buch. Und eine interessante Sichtweise!

Erck Dessauer, der Titelheld des Buches, ist ein ehemaliger Leipziger, der aus seiner Stadt nach Berlin flieht. Warum tut er das? Leipzig ist doch ein schönes Pflaster. Für Erck Dessauer aber weniger, zerbricht doch an diesem Ort die Familienidylle. Obwohl ich mir Idylle im Bezug zu Maxim Billers Werken gar nicht vorstellen mag. Der Vater, ein Wendeopfer, erst 1968 in die Partei(SED) eingetreten, von der Wende böse überrascht, bringt sich schließlich um. Für Erck bezeichnend verbleibt ein Gespräch mit dem Vater über einen Artikel in einer politischen Zeitschrift über die DDR und ihre Bewohner, von Hans Ulrich Barsilay verfasst. In diesem Artikel blickt der Autor Barsilay etwas reißerisch auf das Geschehen, vermarktet eher sich selbst als die Wahrheit, dies kränkt natürlich und verfestigt ein Die und Wir denken, eine Spaltung in Ostler und Westler, die auch heute noch besteht. Für Erck war auch dieser Artikel und das darin begründete Denken ursächlich für den Freitod des Vaters. Die Mutter mit Nazis in der eigenen Familie verlässt Erck und seinen Vater und geht in eine Jerusalemer Einrichtung um sich rein zu waschen. Und Erck verschwindet schließlich aus Leipzig, weil er dort erstickt. In Berlin in der Literaturwelt bietet sich ihm schließlich eine Möglichkeit zur Rache an Barsilay, die er erfolgreich nutzt, aber die Welt ist klein und man läuft sich wieder über den Weg. Und die Möglichkeit der Rache von Barsilay/die Scheinheiligkeit der Gesellschaft/der eigene Untergang verleiten Erck schließlich zu einer unüberlegten/überlegten Tat, denn opportun ist er hier nicht, aber national ist er in meinen Augen auch nicht, er will schockieren/abschrecken/bloßstellen und verzweifelt schließlich an seinem Übermut/an der Situation. Ob die neuen Rechten auch bloß schockieren wollen, bezweifele ich, ob dieses Gleichnis passt, bezweifele ich ebenso. Aber wie der bisherige Umgang mit dieser politischen Rechten seitens des Staates war, könnte man meinen der Staat dachte bisher, die wollen nur spielen. Doch dies wollen sie mitnichten. Womit wieder diese Scheinheiligkeit ins Spiel kommt.