Schnupperkurs: Vampire

Ich gebe es gern zu: Vampirliteratur ist mein Steckenpferd. Ich lese – fast – alles, was ich thematisch dazu in die Finger bekommen kann. Nur bei Paranormal Romance und Young Adult bin ich vorsichtig geworden. Ich bin kein Fan dieser Genres und selbst im Buch vorkommende Vampire können mich nur selten überzeugen, in diesen Genres zu stöbern; zu oft habe ich mir dabei die Finger verbrannt.

Ein Genre „Vampirroman“ gibt es nicht – beziehungsweise gibt es natürlich doch, wenn man als einzigen gemeinsamen Nenner akzeptieren kann, dass ein Vampir im Roman vorkommt. Darüber hinaus muss ein Roman mit Vampiren nicht zwingend ein Horrorroman sein. Man kann überall über den Vampir stolpern: Im Klassiker, im Horrorroman, der Gothic Novel, in der Science Fiction, dem historischen Roman, der Paranormal Romance, dem Young Adult Roman und der Literary Fiction. Einen kleinen Einblick in die Vielfalt des literarischen Vampirs möchte ich hier geben. Ich habe versucht, Gemeinsamkeiten zu finden, die für einen „neuen“ Leser vielleicht Anknüpfungspunkte bieten können. Dafür habe ich in Kauf genommen, dass Romane, die ich selbst sehr mag, die sich aber einer einfachen Kategorisierung versperren, es unter Umständen nicht in die folgende Empfehlungsliste schaffen. Für noch mehr Vampire kann man sich immer vertrauensvoll an meine entsprechende Buchliste wenden oder der Vampirgruppe beitreten. Oder beides. Ich würde mich freuen!

Titel, die ich mit * gekennzeichnet habe, sind der erste Teil einer Reihe. Oftmals kommt man von den Detailseiten der Bücher ja zur kompletten Reihe, das ist aber noch nicht durchgängig so. Wer bei der Recherche nach weiteren Bänden nicht weiterkommt, darf mich gern fragen. Ich habe ohnehin das meiste gleich neben mir im Regal stehen und muss es nur hervorziehen!

Die Klassiker

„Dracula!“, wird da jeder sofort rufen. Aber das ist ja viel zu einfach. Lasst uns – ein wenig – weiter vorn anfangen. Denn Vampire gab es schon immer – im volkstümlichen Glauben sowieso und auch in der Literatur tauchen Figuren mit vampirähnlichen Zügen zu allen Zeiten auf. Der Vampir, wie wir ihn heute kennen, ist jedoch eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Besonders Byrons „Ein Fragment“ (1819) und Polidoris „Der Vampyr“ (1819) können als Urtexte des modernen literarischen Vampirismus verstanden werden. Hier wird nämlich der alte Volksglauben an den Wiedergänger (jemand, der von den Toten wiederaufersteht und sich an den Lebenden vergreift) mit dem romantischen, dem Byron’schen Helden verquickt: Eine anziehende, geheimnisvolle Figur voller Erotik und Gefahr. Überhaupt war dieser frühe Vampir ein Experte im erotischen Grenzübertritt. Schon in „Carmilla“ (1872) lässt Autor Le Fanu seine titelgebende Vampirin am Busen ihrer Freundin saugen (man nenne es euphemistisch „Kuss“). Erst Stokers „Dracula“ (1897) ist dann – entgegen der Darstellungen in den unzähligen Filmen – ziemlich unsexy: Mit Mundgeruch und Haaren auf den Händen ist er wahrlich eine Schreckensfigur, die aus Osteuropa in die westliche Welt (London) eindringt, um die dortige Ordnung zu stören.

Wer eine gute Textsammlung sucht, dem sei der noch immer wegweisende Band „Von denen Vampiren und Menschensaugern“ (1968) von Dieter Sturm und Klaus Völker empfohlen, der zwar nur noch antiquarisch zu haben ist, aber einen perfekten Rundumschlag und sehr umfassenden Einstieg bietet. Der Reader versammelt sowohl literarische Texte (von Goethe über Gautier bis Gogol) als auch historische Quellen.

+Der Vampir – Die Texte von Byron und Polidori in einem Band

+Carmilla – Sheridan Le Fanu

+Das Porträt / Der Wij – Nikolai Gogol

+Dracula – Bram Stoker

Der sensible Vampir

Der sensible oder humanistische Vampir ist sicherlich die heute vorherrschende Form, über die jeder in der ein oder anderen Form schon einmal gestolpert sein dürfte. Den Weg geebnet hat Anne Rice mit „Interview mit einem Vampir“ (1976). Louis, ihre Hauptfigur, zerbricht fast an den moralischen Fragen des Vampirismus, mit denen sich Dracula ein Jahrhundert früher noch nicht auseinandersetzen musste. Als guter Katholik wirft es ihn in eine schwere Sinnkrise, dass er töten muss, um sein eigenes Überleben zu sichern. Ein schwaches Echo dieser tiefgehenden philosophischen und religiösen Fragen findet sich selbst heute noch in Publikationen wie Stephenie Meyers „Biss zum Morgengrauen“ (2005), in dem die Vampire sich „vegetarisch“ ernähren oder Charlaine Harris’ „Vorübergehend tot“ (2004), in dem Vampire sich von in Flaschen abgepacktem, synthetischem Blut ernähren (müssen).

Fürs romantische Genre eignet sich dieser sensible Vampir besonders gut, da er entweder seiner sprichwörtlichen Zähne beraubt ist oder aber so sehr an seiner Natur leidet, dass nur eine Frau ihn aus seiner Depression „retten“ kann (seufz). Auch kann erst dieser sensible Vampir überhaupt ein Interesse an den Menschen entwickeln, das über die reine Futterbeschaffung hinaus geht. Die Möglichkeiten, die sich einem humanistischen Untoten ergeben, der die Jahrhunderte überdauert und verschiedenste Gesellschaften intim kennt, lotet zum Beispiel Chelsea Quinn Yarbro in ihrer Serie über den Grafen Saint Germain aus (ab 1978). Auch Anne Rice schlägt mit der Fortsetzung der Vampirchroniken in die gleiche Kerbe. So wendet sie sich von ihrem übersensiblen Protagonisten Louis ab und seinem vermeinlichen Gegenspieler Lestat zu, um dessen Abenteuer in den vergangenen Jahrhunderten zu beleuchten.

+Interview mit einem Vampir – Anne Rice*

+Hotel Transylvania – Chelsea Quinn Yarbro*

+Vorübergehend tot – Charlaine Harris*

+Biss zum Morgengrauen – Stephenie Meyer*

Der Ermittler

Aus irgendeinem Grund scheint sich der Vampir an und für sich auch für die Ermittlertätigkeit zu eignen. Vielleicht liegt es daran, dass er als Wesen der Nacht selbst irgendwie dem Halbseidenen und Kriminellen zuzurechnen ist. Vielleicht liegt es daran, dass er ich mit Blut auskennt. Oder vielleicht liegt es auch daran, dass er – wie in der alten Serie „Nick Knight – der Vampircop“ (1992) – sich so gut für Nachtschichten eignet. Auf jeden Fall kann man aus einer großen Anzahl Romane auswählen, in denen Vampire entweder selbst ermitteln oder der (in der Regel) ermittelnden Heldin zur Hand gehen. Romantische Anbandelungen nicht ausgeschlossen. Wer auf ein bisschen Noir aus ist, kann sich vertrauensvoll an P.N. Elrods "Vampirdetektiv Jack Fleming“ wenden (1990). Für ein Crossover mit dem sensiblen Vampir sei Tanya Huffs „Blutzoll“ (1991) empfohlen. Wer die kurzlebige Serie „Moonlight“ (2007) mochte, kann bei Trevor Munsons „Blutige Nacht“ (2011) weiterlesen.

+Vampirdetektiv Jack Fleming – P.N. Elrod*

+Blutige Nacht – Trevor O. Munson

+Blutzoll – Tanya Huff*

Der hässliche Vampir

„Hässlich“ ist hier als Kontrapunkt zum sensiblen bzw humanistischen Vampir zu verstehen, der ja heutzutage mindestens als erotische Projektionsfläche, meistens sogar ganz offen als Liebhaber auftritt. Der hässliche Vampir hingegen ist auch heute noch der Gegenspieler, der Weltenzerstörer, das Monster. Gerade klassische Horrorautoren nehmen sich auch mal dieses Vampirs an und imaginieren Wesen mit zusätzlichen körperlichen Merkmalen (zB Rüssel oder andere Kauwerkzeuge) oder einer komplett vom Menschlichen abgekoppelten Physis. Mal sind diese Vampire Aliens, mal verhunzte, medizinische Experimente, aber immer bedrohen sie die Menschheit. Hier ist der Vampir noch sozusagen ursprünglich. Er knüpft an den alten Volksglauben an, der den Vampir als das ultimative Other sieht, das es zu zerstören gilt. Diese Queste ist dann meistens auch der Zentrum des Plots dieser Romane. Wer den Vampir als Bösewicht sehen will, der sollte hier zugreifen.

+Der Übergang – Justin Cronin*

+Die Saat – Chuck Hogan und Guillermo del Toro*

+Der letzte Vampir – David Wellington*

+I Am Legend. Movie Tie-In – Richard Matheson

Dracula Forever

Warum sich einen neuen Untoten ausdenken, wenn man auch vom Namen des transsilvanischen Grafen profitieren kann? Das denken sich auch zahlreiche Autoren, die auf den Dracula-Zug aufspringen und Fortsetzungen, Neuinterpretationen oder generell Romane schreiben, die sich am Dracula-Mythos abarbeiten. Wer also von Bram Stoker nicht genug bekommen kann oder wer gerade meint, der alte Klassiker gehöre abgestaubt und neu angepackt, der kann noch viel, viel mehr Dracula für sein Geld bekommen.

+Dracula - Die Wiederkehr – Dacre Stoker

+Dracula – Freda Warrington

+Der Historiker – Elizabeth Kostova

+Die Vampire – Kim Newman

Und wenn doch Romance oder YA ...

Wie ich oben bereits erwähnte, wildere ich recht selten in diesen Genres. Paranormal Romance ist mir meistens zu formelhaft, zu generisch und nicht überraschend genug. YA spricht mich generell nicht an, hat aber als Vampirliteratur zusätzlich das Problem, ein bluttrinkendes Monster irgendwie kinderzimmertauglich machen zu müssen. Wer trotzdem mal reinschnuppern möchte, dem kann ich die folgenden Reihen empfehlen. Sie stechen meiner Meinung nach positiv aus dem Einheitsbrei heraus.

+Magyria - Das Herz des Schattens – Lena Klassen*

+Bleicher Morgen – Colleen Gleason*

+Verliebt in einen Vampir – Lynsay Sands*

Ich hoffe, für euch ist das ein oder andere dabei und ihr konntet ein paar Empfehlungen mitnehmen. Abschließend bleibt mir nur, euch viel Spaß beim Lesen zu wünschen. Carpe noctem!