Interview mit einem Vampir

+Interview mit einem Vampir (auf deutsch in der alten Übersetzung auch „Schule der Vampire“) kann heute sicherlich als moderner Klassiker der Horrorliteratur bezeichnet werden. Anne Rice (1941-2021) hatte den Roman aus einer Kurzgeschichte heraus entwickelt, die sie Ende der 1960er Jahre geschrieben hatte. Damals nahm der Text noch die Perspektive des Interviewers ein, im Roman sollte dann der Vampir Louis die Geschichte erzählen und das titelgebende Interview bildete den Rahmen der Erzählung.

Es wird gemeinhin angenommen, dass der Tod ihrer sechsjährigen Tochter Michelle an Leukämie die Initialzündung für den Roman war, den sie letztlich in nur fünf Wochen schrieb. Man nimmt an, dass die Figur der Claudia – des Vampirkinds, das nie altern und erwachsen werden wird – Michelles Alter Ego ist; Rices literarischer Versuch, den Verlust der Tochter zu verarbeiten. Auch darum ist der Roman durchzogen von religiösen Themen. Anne Rice – selbst Katholikin, mit einer sehr stürmischen Beziehung zum katholischen Glauben – diskutiert hier religiöse und philosophische Fragen im Mantel einer gothic novel.

Es geht um den jungen Louis de Pointe du Lac, der nach dem Tod seines sehr gläubigen Bruders in eine Sinn- und Lebenskrise verfällt. Seine latente Selbstmordgefährdung wird vom Vampir Lestat ausgenutzt, der Louis ebenfalls zum Vampir macht und mit seinem noch lebenden (aber blinden) Vater auf Louis’ Plantage einzieht. Die Beziehung von Louis und Lestat ist von Anfang an angespannt. Louis ist fasziniert und abgestoßen von seinem neuen Bewusstseinszustand und erhofft sich von Lestat tiefgehende Einblicke in ihre vampirische Existenz. Lestat ist aber eher damit beschäftigt, zu überleben und das (Un)Leben zu genießen. Transzendentale Weisheiten zum Sinn des Lebens und Sterbens hat er nicht zu bieten.

Nachdem die Plantage niederbrennt, ziehen die beiden Vampire nach New Orleans und Lestat versucht, Louis an sich zu binden, indem er die Waise Claudia ebenfalls zum Vampir macht. Die drei leben als Familie zusammen, doch das Glück währt nicht lange.

Immer wieder fragt sich Louis: Was macht einen Menschen aus, was ein Gewissen? Wer oder was erlaubt ihm, Leben auszulöschen? Welches Recht dazu hat er überhaupt? Wer wird ihn schließlich richten oder gibt es keinen übergeordneten Richter (=Gott)? Während Lestat das Vampirsein als ein einziges großes Abenteuer zu erleben scheint, leidet Louis an seiner Existenz. Dieser Gegensatz ist der philosophische Kern der Erzählung, die in großen Teilen düster und bedrückend daherkommt. Neil Jordan, der Regisseur der Verfilmung von 1994, spricht von „the saddest vampires you will ever meet“ und das bringt es ziemlich gut auf den Punkt.

Die Filmrechte an dem Stoff wurden kurz vor Veröffentlichung des Romans 1976 verkauft, gingen dann jedoch lange Zeit von einem Studio zum anderen, ohne dass tatsächlich ein Filmprojekt daraus geworden wäre. Erst Anfang der 1990er Jahre kristallisierte sich dann eine Verfilmung heraus, unter der Regie des Iren Neil Jordan, der gerade mit „The Crying Game“ einen Riesenerfolg gelandet hatte.

Man verpflichtete Brad Pitt als Louis und Tom Cruise als Lestat – eine damals sehr umstrittene Entscheidung, vor allem auch, weil Rice sehr deutlich gegen Cruise anschrieb und sich sicher war, dass er der Rolle nicht gerecht werden könne. Umstimmen ließ sie sich erst, als sie den fertigen Film sah und tatsächlich ist es so, dass „Interview mit einem Vampir“ einer der wenigen Filme in Cruises Filmographie ist, die aus dem Einheitsbrei à la breites, amerikanisches Sunnyboy-Lächeln heraussticht. Er hatte für die Rolle abgenommen und sich eine blonde Perücke aufgesetzt, um der Rolle seinen Stempel aufzudrücken. Und man muss der bekehrten Anne Rice recht geben: In diesem Film ist er Lestat. Brad Pitt als Louis – eigentlich die Hauptfigur – erreicht im Film nie die Präsenz eines Tom Cruise.

Die homoerotische Spannung zwischen Lestat und Louis und die unorthodoxe Familie, die sie mit Claudia bilden, bleiben im Film erhalten. Was jedoch nie thematisiert wird, ist die religiöse Komponente des Romans. Gut, Gott wird von Lestat durchaus mal erwähnt. Doch Louis leidet hier eher an seiner humanistischen Grundeinstellung und seiner melancholischen Disposition als an dem Spannungsfeld, dass sich durch das Thema Religion aufmacht. Der ganze Auftakt des Romans, in dem es um Louis’ mönchischen Bruder geht, der in seiner kleinen privaten Kapelle schließlich von Heiligen und Engeln besucht wird und dessen Tod Louis in eine tiefe Sinnkrise stürzt, wird im Film ausgetauscht gegen eine banale Lösung: seine Frau und sein Kind sind gestorben. Das ist einfach, jeder versteht das Problem und man kann sofort in den „Vampirplot“ starten. Allerdings nimmt das der Figur eben auch einiges von ihrer Mehrdimensionalität.

Trotzdem ist „Interview mit einem Vampir“, das schließlich 1994 in die Kinos kam, ein Film, der gut gealtert ist. Auch heute noch schafft er es, die melancholische Grundstimmung des Romans auf die Leinwand zu transportieren und gibt einen Einblick in das literarische Schaffen von Anne Rice. Man darf hier einen Tom Cruise bestaunen, der mit jeder Faser seines Seins gegen das Typecasting anspielt, mit dem er sonst seine Miete verdient. Und man darf fasziniert sein von der Präsenz einer 12jährigen Kirsten Dunst, die mit altersweisen Augen eine erwachsene Frau im Körper eines Kindes spielt. Ach so, und Brad Pitt sieht gut aus.

"Interview mit einem Vampir" (Original "Interview with the Vampire"). USA 1994, Regie Neil Jordan. Mit Tom Cruise, Brad Pitt, Kirsten Dunst, Antonio Banderas.

https://www.youtube.com/watch?v=uYdcgbED_yY