Meine gelesenen Bücher im November 2021

+Nonna

Dieses Buch ist ein etwas verwirrend aufgebauter Blick auf die Familie in Süditalien, dieses Buch ist ein Blick auf eine vollkommen andere Welt. Man fühlt sich fast etwas in der Zeit rückversetzt. Von diesem Blickwinkel ist das Buch richtig interessant. Dennoch hätte dieser Blick chronologischer und ausführlicher sein müssen, denn dieses kurze episodenhafte Berichten ist mir nicht ausführlich genug und dieses recht wirre Hin- und Herspringen macht es der Leserschaft schwer. Chronologisch geordnet wäre diese Familiengeschichte vielleicht besser begreifbar und auch eindrücklicher gewesen. Auch hatte ich das Gefühl, dass es viel Ungesagtes und Lücken in der Familiengeschichte gibt. Lücken, die vom Autor ausgefüllt werden sollten.

+Luzies Erbe

Dies ist ein intensives Buch. Und ein wichtiges Buch. Hoffentlich findet es viele Leser! Denn thematisch arbeitet es etwas die deutsche Geschichte/das deutsche Denken auf. "Luzies Erbe" beinhaltet intensive und empathische Blicke auf die Vergangenheit, auf die Schuld und auf den Menschen und sein ausgrenzendes Verhalten. Diese Familiengeschichte handelt von starken Frauen, Frauen mit ihren Traumata. Traumata, die stumm werden lassen. Wo es doch das Reden wäre, welches die selbst errichteten Mauern einstürzen lassen könnte. Denn Traumata verschwinden nicht, aber die Sicht auf diese Wunden lassen sich verändern.

+1981

Eloísa Díaz ist hier ein packender und beklemmender Blick auf Argentinien gelungen, ein Blick auf die Diktatur, auf eine Schuld und auf die Hoffnung. Dieses Buch ist teilweise Krimi und teilweise Roman, eine Mischung, die ich oft gelungen finde. Vermittelt dieses Buch dadurch doch einen Kriminalfall und ebenso auch einen Blick auf die Geschichte des Landes Argentinien. Eine ergreifende und düstere Geschichte. Und damit auch ein treffender Blick auf uns Menschen und auf das Grauen, dass in manchen von uns lauert.

+Der Defekt

"Der Defekt" ist ein Blick auf das Anderssein, nicht auf ein augenfälliges Anderssein, aber auf ein Anderssein im Empfinden, Fühlen, im sexuellen Sinn gemeint. Ein Blick auf eine Frau, die den Schmerz erregend findet, die gedemütigt werden will, die sich selbst erkundet und findet. Was bedeutet dies für die Betroffenen? Alleinsein in einer Masse an Menschen, die eben nicht so empfinden. Gebrandmarkt oder stigmatisiert zu sein, wenn man sich öffnet. Oder ist dies gar nicht so, weil der Schmerz irgendwie zum Leben gehört und ihn jeder in seinem eigenen Maße forciert und/oder lenkt? Das Buch "Der Defekt" gibt sprachlich wunderschöne Antworten darauf. Dieses Buch ist vielleicht kein Buch zum Sinnieren. Aber interessant ist es allemal. Ein "Shades of Grey" in einer anderen Art, deutlich gehobener im Anspruch und in der Betrachtung.

+Der Schattenkönig

"Der Schattenkönig" ist kein mich anzündendes Buch kein mich intensiv berührendes Buch, aber es ist immens intensiv und fesselnd und im Aufbau her einfach einzigartig und kunstvoll und berauschend. Teilweise wirkt das Geschriebene recht klassisch, erinnert an dramatische Aufführungen im Theater, vorgetragen von einem Chor, wirkend wie ein interessanter Kunstgriff, dann wieder werden Fotos beschrieben, Fotos eines Fotografen, teilweise wirklich schwer zu ertragen. Dazwischen die Handlung in zwei Erzählsträngen, größtenteils ein Rückblick auf das Geschehen im Abessinienkrieg von 1935 bis 1941, Mussolini versucht Abessinien zu kolonisieren und scheitert letztendlich am Widerstand der Äthiopier, dazwischen Einblicke in das Denken und Wirken von Haile Selassie, dem äthiopischen Kaiser, dann wieder Blicke auf das Jahr 1974, dem Jahr der Abdankung des äthiopischen Kaisers. Geschildert in einem romanartigen Geschehen, dass ebenso öfters an Theatralik gewinnt, episch und prosaisch erscheint, dann wieder ruhiger und etwas geerdeter erzählt wird. Dies ist für mich eine bisher einzigartige Erzählart, die sich irgendwie einbrennt ins Hirn. Ebenso brennt sich das Geschehen ein, das Grauenhafte im Procedere des Abessinienkriegs, Giftgasangriffe, Bombardierungen und das Töten von Zivilisten, vielen Zivilisten. Ja, die Faschisten wüten in Abessinien. Dabei wird nicht einmal versucht den Vielvölkerstaat Äthiopien zu verstehen, sondern eher die ethnischen Konflikte noch benutzt. Im Buch kommen dann noch die inneritalienischen Konflikte zu Papier, das Thema Judenhass, die Vernichtung italienischer Juden. Und das Thema Frauen und Männer wird thematisiert von der äthiopisch-amerikanischen Autorin, denn in dem Krieg kämpften ebenso die Frauen. Warum auch nicht? Opfer waren die Frauen ja auch! Also gab es in dem patriarchalen Land auch Frauen an der Front. Vielleicht war auch das ein Zeichen der Veränderung, ein Beginn von etwas Neuem. Dieses Buch stand auf der Shortlist des Man Booker Prize 2020, für mich vollkommen nachvollziehbar! Vielleicht empfinde ich hier noch bessere Listungen.

+Wenn ich wiederkomme

Marco Balzano hat sich hier an ein schwieriges Thema gewagt. Die weibliche Migration aus wirtschaftlich schwächeren Staaten in die westliche Welt. Gerade soziale Berufe/soziale Berufszweige haben viele unbesetzte Stellen. Unterbezahlte Stellen, die der eigenen Bevölkerung nicht zur Lebenssicherung reichen, aber für Frauen und Mädchen aus wirtschaftlich schwächeren Staaten durchaus interessant erscheinen. Hier in dem Buch sind es Rumänen in Italien, aber diese stehen nur exemplarisch für diese moderne Sklaverei.
Daniela verlässt wegen der chronischen Geldnot ihre rumänische Familie, bestehend aus ihrem Mann Filip und ihrer Tochter Angelica und ihrem Sohn Manuel und geht nach Italien, um dort zu pflegen und zu behüten. Doch dieses Ausreisen hat psychische und soziale Folgen für alle Familienangehörige, denn alle verändern sich, finden andere Wege. Marco Balzano schildert diese Folgen empathisch und treffend in diesem Buch in drei Teilen, drei Mitglieder der Familie kommen zu Wort, leider manchmal auch etwas überzeichnet. Dabei erschafft er Figuren, die keine Schwarz-Weiß-Zeichnung aufweisen, sie sind nicht Gut oder Böse, sie sind beides. Man versteht sie, man versteht sie nicht, man hat sie gern und man verachtet sie. Ein richtig gelungener Blick! Ein Blick, der nicht immer gefällt, der aber recht real rüberkommt.

+Wolkenkuckucksland

Anthony Doerr's "Wolkenkuckucksland" ist eine schöne Geschichte über die Liebe zur Literatur, aber auch über die Liebe zu unserer Erde und ihren Bewohnern und eine Kritik an unserer Geldgier und an unserem Umgang mit unseren Ressourcen. Dabei ist das Buch in vier verschiedene Lesestränge gegliedert, die in verschiedenen Zeiten spielen, einmal sind die Lesenden bei Antonios Diogenes im alten Griechenland bei den Tafeln des alten Wolkenkuckuckslandes, dann sind die Leser bei Anna und Omeir im 15. Jahrhundert in Konstantinopel, dann sind sie bei Zeno und Seymour im 20./21. Jahrhundert in den USA und zuletzt ist die Leserschaft bei Konstanze in der Zukunft auf einem Raumschiff. Alle vier Lesestränge sind unterschiedlich, ihrer Zeit angepasst erzählt. Allerdings sind sie auch unterschiedlich mitreißend erzählt, mich faszinierte am meisten und auch durchgehend die Geschichte um Omeir und Anna. Der geschichtliche Hintergrund und die Geschichte der beiden Hauptcharaktere berührten mich. Die anderen drei Sequenzen gewinnen im Laufe der Erzählung einen Charme, anfänglich fand ich sie leider etwas hölzern. Die Gliederung des Buches in die unterschiedlichen Zeitabschnitte der verschiedenen Kapitel ist etwas verwirrend und zerreißt den Lesefluss etwas. Wenn man sich im Laufe der Lektüre damit angefreundet hat. kann man die Geschichte allerdings auch recht flüssig lesen. Und nach und nach, besonders über das titelgebende "Wolkenkuckucksland", finden die unterschiedlichen Lesestränge auch zueinander und trudeln auf das etwas überraschende Ende zu. Wobei ich das Ende auch etwas wenig ausgezeichnet fand und hier in den letzten Seiten auch etwas fehlt, was die Geschichte noch etwas abgerundet hätte.
Dabei zeichnet dieser Lesestrang in der Zukunft auch ein recht erschreckendes Bild und passt damit perfekt in die heutige Zeit, denn heute können die Stellschrauben für das Kommende vielleicht noch gedreht werden, aber das ist ein anderes Thema.

+Wassermusik

Ein Highlight! Definitiv! Ich hatte dieses Buch von Boyle schon einmal angefangen und habe dann zugunsten einer Leserunde wieder aufgehört mit der Lektüre. Warum ich dann nicht wieder angefangen habe, keine Ahnung. Wahrscheinlich aus den Augen, aus dem Sinn oder andere Bücher waren wichtiger. Ich kann dies nur nicht mehr verstehen nach der Lektüre dieses Buches. Denn dieses Buch ist kolossal!
Ein Buch über den Entdecker Mungo Park, einem schottischen Forscher des 18. Jahrhunderts in Afrika. Und gleichzeitig noch so viel mehr. Was für ein perfekter Abenteuerroman und gleichzeitig eine Anklage an dem europäischen Kolonialismus und eine Kritik an dem verklärenden europäischen Entdeckertum! Eine Kritik an dieser europäischen Überheblichkeit, die mir immer wieder in den Geschichtsbüchern begegnete und die mich zum Überlegen brachte. Wieso haben es die Europäer nur geschafft, sich die ganze Welt zu erobern? Und dazu Boyles perfekter und etwas bösartiger Humor, der der Situation vollkommen angepasst ist und ihn mir nahebringt! Das ist eine bereichernde Leseerfahrung!
Und ebenso ist dieses Buch ein Blick ins westliche Afrika, eine Beschreibung einer vollkommen anderen Welt! Interessant, bunt, schillernd, aber auch gefährlich und bevölkert mit ähnlich schrägen Menschen, die in Europa auch zu finden sind.
Über den Nebenstrang von Ned Rise wird ein Blick auf die unteren Klassen in England geworfen und auch dieser Blick ist voller Kritik an einem ausbeutenden und unterdrückenden System.
Ein wunderbares Buch! Bitte unbedingt lesen!