Gelesen & Geliebt: März 2021

Der März hat es mir nicht leicht gemacht. Es gab viel zu viele Neuerscheinungen, die ich lesen wollte. Am Ende haben es acht Bücher unter meine Favoriten geschafft. Von einem Jugendbuch über Essays, Kurzgeschichten und einen Jetzt-Schon-Klassiker bis hin zum zeitgenössischen Roman, herausgekommen ist eine bunte Mischung und erst beim Durchsehen für diesen Beitrag ist mir aufgefallen, dass sieben Bücher von Autorinnen stammen. Nun bin ich gespannt, ob die schreibenden Männer im zweiten Quartal des Jahres aufholen können.

Asal Dardan: +Betrachtungen einer Barbarin, Hoffmann und Campe

Zum Inhalt: Als Kind iranischer Eltern ist Asal Dardan in Deutschland aufgewachsen, die Erfahrung des Exils hat sie geprägt. In einer Auseinandersetzung mit der deutschen Gesellschaft begibt sie sich auf die Suche nach der Überbrückung des ewigen Gegensatzes von „Wir" und den „Anderen". Da ist das geflüchtete Kind, das Trost in Spitzwegs heimeligen Bildern findet, die auch Hitler so gut gefielen. Da sind die bürokratischen Rentenbescheide der sardischen Nachbarin, deren Inhalte niemand entschlüsseln kann. Da werden die Goldfische vom persischen Neujahrsfest in die Freiheit entlassen und eigene, neue Traditionen gewählt.

Mein Fazit: Sprachlich schön und schnörkellos, mit einem feinen Gespür für menschliche Zwischentöne und einer beeindruckenden Beobachtungsgabe führt uns die Autorin an die Diskrepanz zwischen eigener Wahrnehmung und Fremdzuschreibungen heran, geht der Frage nach, wie wir uns selbst verorten, lässt Raum für Widersprüche und zeigt in ihren Essays in aller Schärfe den Rassismus und die Ausgrenzung in unserer Gesellschaft auf.

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Cho Nam-Joo: +Kim Jiyoung, geboren 1982, Kiepenheuer & Witsch

Zum Inhalt: In einer kleinen Wohnung am Rande der Metropole Seoul lebt Kim Jiyoung. Sie hat ihren Job aufgegeben, um sich um ihr Baby zu kümmern - wie es von ihr erwartet wird. Doch schon bald zeigt sie seltsame Symptome: Jiyoungs Persönlichkeit spaltet sich, sie schlüpft in die Rollen anderer Frauen. Ihr unglücklicher Ehemann schickt sie zu einem Psychiater. Nüchtern erzählt dieser Psychiater Jiyoungs Leben nach, ein Leben bestimmt von Frustration und Unterwerfung. Ihr Verhalten wird stets von männlichen Figuren überwacht - von Grundschullehrern, die strenge Uniformen durchsetzen; von Arbeitskollegen, die eine versteckte Kamera in der Toilette installieren und die Fotos ins Internet stellen.

Mein Fazit: Vollkommen zu Recht ist aus dem koreanischen Roman ein Weltbestseller geworden! Völlig gleich, wo auf der Welt wir aufwachsen, jede Frau kennt dieses Leben, die Zwänge, die Erwartungen. Nüchtern und dadurch manches Mal kaum zu ertragen hat Cho Nam-Joo ein Werk geschaffen, das die kollektive Erfahrung von Frauen manifestiert.

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Laura Creedle: +Die Liebesbriefe von Abelard und Lily, dtv

Zum Inhalt: Als die 16-jährige Lily heimlich ihre ADHS-Medikamente absetzt, geht so einiges zu Bruch - im wahrsten Sinne des Wortes. Das bringt ihr eine Stunde Nachsitzen ein, zusammen mit dem mit Asperger lebenden Abelard. Als er für sie einsteht, küsst sie ihn spontan und löst damit völlig verwirrende Gefühle aus. Was folgt, ist eine zunächst per SMS geführte intensive Liebesgeschichte, die sich in der Realität noch beweisen muss. Zwischen einem Mädchen, das durch unvorsichtiges Anfassen schon ganze Gläser-Batterien zerstört hat, und einem Jungen, der vor nichts mehr Angst hat, als angefasst zu werden, kann einiges schiefgehen.

Mein Fazit: Poetisch, authentisch, berührend, es ist lange her, dass mich ein Jugendroman derart begeistert hat. Dazu kommt, dass die Autorin mit der gleichen Erkrankung wie ihre Protagonistin lebt, was ich beim Lesen in jeder Zeile gespürt habe. Wer die Bücher John Green und Rainbow Rowell liebt, sollte auch Abelard und Lily kennenlernen!

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Priya Basil: +Im Wir und Jetzt, Suhrkamp Nova

Zum Inhalt: Aufgewachsen zwischen zwei Frauen - Mutter und Großmutter -, die gegensätzlicher nicht sein könnten, sucht Priya Basil ihre eigene feministische Stimme. Getrieben von der Vergangenheit, der Vielfalt der Positionen und einer außerordentlichen Erfahrung, beschreibt sie ihren Weg zu mehr Gerechtigkeit und Gleichheit. Brilliant verbindet Priya Basil Selbstverortung mit Philosophie und mitreißender Gesellschaftsanalyse. Und liefert mit Hilfe vieler Verbündeter eine Antwort auf die Frage: Was tun gegen die tief verwurzelte Abwertung von Frauen in unserer Sprache, Geschichte und Gesellschaft?

Mein Fazit: Feministin werden, im Wir und Jetzt. Diese Antwort liefert Priya Basil mit prägnanten Analysen und beleuchtet mit scharfsinnigem Blick die Gesellschaft, schreibt dahin, wo es weh tut. Biografisch, politisch, kapitalismuskritisch und sprachschön - ein Buch, das wirklich jede*r lesen sollte!

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Hans Pleschinski: +Am Götterbaum, C. H. Beck

Zum Inhalt: An einem Abend im April 2019 macht sich die Münchner Stadträtin Antonia Silberstein auf den Weg zu einer Ortsbesichtigung der besonderen Art. In ihrer Begleitung: die Schriftstellerin Ortrud Vandervelt und die Bibliothekarin Therese Flößer. Das Ziel des launigen Spaziergangs der drei Frauen: die hinter einer Mauer versteckt liegende, einstige Villa eines großen Vergessenen, Paul Heyse. Antonia Silberstein hat verwegene Pläne für diese Villa, aber sie braucht den guten Rat eines Experten.

Mein Fazit: Auch nach zehn Jahren in München habe ich den Namen Paul Heyse in erster Linie mit einer stark befahrenden Unterführung verbunden anstatt mit dem Literaturnobelpreis. Und das als Germanistin! Ich habe es genossen, die drei Frauen auf ihrem Münchner Spaziergang begleiten zu dürfen und das in diesem ganz eigensinnigen Sprachstil von Hans Pleschinski. Höchstamüsant, vergnüglich und mit einem ebenso liebevollen wie bösen Blick auf München mit all seinen Facetten und Klischees.

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Joyce Carol Oates: +Blond

Zum Inhalt: Marilyn Monroe wird 1926 als Norma Jeane Baker in Los Angeles geboren. Ihre Kindheit ist von Einsamkeit und Sehnsucht geprägt. Als junge Frau hat sie bereits verinnerlicht, dass es für sie nur einen Weg gibt, sich ihres Selbstwertes zu versichern: über das Begehren der Männer. Ab da beginnt die Verwandlung zur Kunstfigur Marilyn Monroe. Einfühlsam und sprachgewaltig erzählt Joyce Carol Oates in ihrem Roman von der größten Hollywood-Legende des zwanzigsten Jahrhunderts, von ihrem Schmerz, ihrer Strahlkraft, ihren Träumen und ihrem tragischen Ende.

Mein Fazit: Ich konnte mit der anhaltenden Faszination von Marylin Monroe nie wirklich etwas anfangen. Doch einmal angefangen, konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen. Joyce Carol Oates schreibt auf eindrucksvolle Weise über die Untiefen einer zerrissenen Seele, Sucht, Ängste und die stetige rastlose Suche nach Anerkennung und der Flucht aus der Einsamkeit. Bedrückend, komplex und dennoch klar schildert die Autorin das Dasein einer berühmten und dennoch unsichtbaren Frau, die als Projektionsfläche von Fantasien diente. Aus mir wird kein Fan der schillernden Monroe aber eine große Empathin dieser haltlosen Frau. Jetzt schon ein Klassiker!

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Danielle McLaughlin: +Dinosaurier auf anderen Planeten, Luchterhand

Zum Inhalt: Eine junge Frau lernt ihren Mann ganz neu kennen, als sie zum ersten Mal seine Heimat an der nordirischen Küste besuchen; eine Mutter will verstehen, warum ihr kleiner Sohn so besessen ist von Tierknochen und der Apokalypse ... In diesen Geschichten ist die Welt ebenso schön wie fremd. Männer und Frauen, Alt und Jung bewegen sich durchs Leben, wie ein Tourist ein fernes Land erkundet: aufmerksam, mit einer Mischung aus Staunen und Misstrauen. Sie leben in ständiger Gefahr, missverstanden, verletzt oder abgelehnt zu werden, und wollen doch nur begreifen, wer sie sind, in welcher Welt sie leben.

Mein Fazit: Zugegeben, ich wollte das Buch zunächst wegen des Titels lesen. Am Ende schenkten mir die Dinosaurier und fremden Planeten einen wunderbaren Kurzgeschichtenband, der den Fokus auf die weltlichen alltäglichen Geschichten und Menschen legt und die Abgründe aufdeckt, die sich hinter den unscheinbarsten Türen verstecken. Sprachlich und erzählerisch so stark, dass ich es kaum erwarten kann, Danielle McLaughlins ersten Roman zu lesen, der in Arbeit ist.

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Mirna Funk: +Zwischen Du und Ich, dtv

Zum Inhalt: Wenn Nike ihre Wohnung in Berlin-Mitte verlässt, muss sie am Stolperstein ihrer Urgroßmutter vorbei. Nike ist als Jüdin in Ostberlin aufgewachsen, jede Straße trägt Erinnerung, auch schmerzhafte. Als sie ein Jobangebot in Tel Aviv bekommt, nimmt sie an. Dort trifft sie Noam, er ist Journalist, seine Geschichte ist tief und komplex. Nike lässt ihn in ihr Leben, als ersten Mann seit Jahren. Doch zwischen ihr und Noam steht Noams Onkel Asher. Der ist vereinnahmend und brutal. Furchtlos und berührend erzählt Mirna Funk von der Gewalt, die in Nikes und Noams Familiengeschichten steckt. Wie leben sie mit ihren individuellen Bruchstellen? Und wie können sie einander lieben?

Mein Fazit: Mirna Funk ist eine Wortakrobatin, eine Künstlerin, so dass es für mich nahezu unmöglich war, ein angemessenes Folgebuch zu finden. Eine temporeiche Geschichte über zwei verwundete Menschen, die aufgrund eigener Erlebnisse und der schwer auf ihnen lastenden Familientraumata vor ihrer Vergangenheit fliehen und ineinander einen Menschen finden, der keine Fragen stellt. Doch irgendwann wirft die Vergangenheit zu große Schatten auf das Hier und Jetzt, als dass man sie einfach beiseite schieben könnte. Ein ehrliches und wichtiges Buch!

Noch mehr Lieblingsbücher aus dem Frühjahr findest Du in meinem Artikel mit meinen Indie-Highlights des Frühjahrs: