In der Todeszone

Hochalpines Bergsteigen.

Davon hatte ich bisher so gar keine Ahnung und um ehrlich zu sein, hat es mich auch nicht interessiert. Klar, so ein Name wie Reinhold Messner war mir ein Begriff, selbst Gerlinde Kaltenbrunner sagt mir etwas. Und auch von Tenzing Norgay und Edmund Hillary, die als Erstbesteiger des Mount Everest gelten, kennt man.

Da war bei mir dann aber auch Schluss. Und ich habe auch keinen Gedanken mehr daran verschwendet, bis ... ja, bis zur der Lesereise 2022 und meinem Vorhaben, mich mit Büchern über Asien zu beschäftigen. Und da fiel mir +Der Aufstieg - In eisiger Höhe wartet der Tod in die Hände. Es handelt sich um einen Thriller, bei dem ähnlich wie den zehn Jägerlein immer mehr Leute eines hochalpinen Teams am Manaslu dezimiert werden.

Und dieses Buch hatte mich plötzlich fest in seinem Griff. Weniger eigentlich um des Thrill-Anteils, obwohl der nicht zu verachten ist. Eher wurde mir die Luft ähnlich dünn wie den Charakteren, denn die Autorin schaffte es, mir die Verhältnisse am Berg so bildhaft zu verdeutlichen, dass ich wirklich mittendrin statt nur dabei war. Und ich hatte so richtig Lust auf so ein Abenteuer! Da ich jedoch weder die finanziellen Möglichkeiten noch ein Sponsorenteam zur Verfügung habe, musste ich mich anderweitig behelfen, um noch ein wenig Bergfeeling zu erhalten. Also habe ich mich mit den 8000ern - also den Bergen mit Gipfeln über 8000 Metern - beschäftigt.

Davon gibt es gerade mal 14 Stück und diese befinden sich allesamt in ...? Genau. Dem geheimnisvollen Asien. Noch genauer: im Himalaya und Karakorum.

Ein paar davon kennt jeder: Mount Everest, K2, vielleicht auch noch Nanga Parbat und Annapurna. Doch wer hat schon mal vom Kangzendchonga gehört? Oder dem Manaslu? Shishapangma? Genau. Eigentlich keiner.

Wer diese Berge besteigen will, braucht nicht nur eine ziemliche Menge an finanziellen Mitteln für die Ausrüstung und sämtliche Permits, die man in den entsprechenden Ländern benötigt. Man braucht Erfahrung im Alpinismus, unglaubliche Fitness und ein Mindset, das auf absoluten Erfolg ausgerichtet ist. Ansonsten tötet dich der Berg. Es sind nicht nur die Lawinen, die eine stetige Gefahr verbreiten. Unter dem Schnee befinden sich Spalten, in die man rutschen kann, es gibt Steilhänge, die überquert werden müssen und dann die sogenannte Todeszone: alles über 7000 Meter. Die Luft ist hier so dünn, dass man vielleicht ein Drittel des normal gewohnten Sauerstoffs atmet. Die Höhenkrankheit, bei der es zu Schwindel, Halluzinationen, Schwächeanfällen kommt, führt normalerweise nach mehr als 48 Stunden zum Tod.

Um diese Gefahr so weit wie möglich zu verringern ist eine Akklimatisierung notwendig. Das bedeutet, man muss ab etwa 3000 Metern anfangen, erst einmal ohne Anstrengung Zeit auf dieser Höhe zu verbringen. Sobald das erfolgt ist, beginnt der zweite Schritt, meistens in den Basislagern zwischen 4000 und 5500 Metern. Mehr als 300 Metern sollte man da pro Tag nicht aufsteigen und es kommt vor, dass mehrmals zwischen den Lagern auf- und abgestiegen wird, um die Fitness und das Lungenvolumen zu trainieren. Oftmals beträgt die Akklimatisierungszeit mehrere Wochen bis zu Monaten.

Und natürlich ist es nicht nur das. Die Wetterverhältnisse stellen eine Herausforderung dar, die wir uns in unseren gemäßigten Zonen nicht einmal ansatzweise vorstellen können. Es müssen Zeitfenster abgewartet werden und manchmal ist das Wetter so schlecht, dass man am höchsten Basislager, selbst nach mehreren Wochen Warten, nicht zum Gipfel vordringen kann, sondern absteigen muss. Die Kälte, der Schnee, Windböen, Sturm, ja sogar Regen, zermürben nicht nur die Kondition, sondern auch die Psyche. Ohne regelmäßige Zufuhr hochkalorischer Nahrung ist man verloren. Nicht selten nehmen die Teilnehmer dieser Expeditionen 15, 20, sogar 30 Kilo ab.

Es ist klar, dass kaum jemand so etwas allein schafft. Daher werden so gut wie alle Besteigungen von Sherpas begleitet: Angehörigen eines nepalesischen Volkes, das in extremen Höhen lebt und sich dort auskennt. Ohne diese Menschen, die die Ausrüstung tragen, die Basislager errichten, für Proviant sorgen und die Rettungsleinen befestigen, würde kaum jemand jemals auf diesen Gipfeln stehen. Dass sie dafür bisher kaum Anerkennung erhalten haben, ist bitter, denn auch unter ihnen gibt es viele Todesfälle, was nicht nur menschlich tragisch ist, sondern ihren Familien auch den Ernährer nimmt.

Mittlerweile gibt es Extrem-Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, Bergsteiger auf die hohen Berge zu bringen. Manchmal sind zur selben Zeit so viele Gruppen unterwegs, dass es an gefährlichen Stellen zu regelrechten Staus kommen kann. Dennoch ist selbst so eine gut organisierte Angelegenheit keine Garantie dafür, den Gipfel zu erreichen. Manchmal ist es nicht einmal eine Garantie dafür, lebend vom Berg zu kommen.

Und dennoch: Die Faszination bleibt. Was für ein gewaltiges Abenteuer!