Warum lese ich?

(Der Versuch einer kleinen Typologie)

In den letzten zwei Wochen dreht sich bei mir ziemlich viel um Bücher, um Lesen, um mojoreads. Dabei sind mir ein paar Gedanken gekommen, die euch vielleicht auch interessieren.

Mir ist vor allem klar geworden, wie unterschiedlich die Zugänge zur Literatur sind und welch unterschiedliche Bedürfnisse und Ziele mit dem Lesen verfolgt werden. Da ich gerne systematisiere, ist daraus eine kleine Typologie entstanden, in die ich mich selbst, aber auch die mojoreads-Profile einordne, die mir so begegnen. Mir ist klar, dass es keine klaren Grenzen zwischen den Kategorien gibt und dass die meisten von uns sicher Mischleser aus mehreren Bereichen sind.

Auf einer obersten Ebene würde ich Leser (Leserinnen sind immer auch gemeint) danach einteilen, ob das Lesen ein Selbstzweck ist oder eher einem anderen Ziel dient.

I. Lesen als Selbstzweck
Hier würde ich folgende Untergruppen sehen:
1) Einmal Leser, die ein ausgeprägtes kulturelles Interesse an Literatur als Kunstform haben (die sich z.B. über aktuelle literarische Trends informieren, Rezensionen in großen Zeitungen verfolgen, in Lesungen gehen, Büchersendungen im TV verfolgen). Hier wird auch am ehesten noch die „klassische“ Literatur des Bildungsbürgertums gelesen.

2) Dann gibt es Leser, die ganz persönliche Vorlieben für bestimmte Schreib-Stile haben und verfolgen. Sie lieben z.B. Autoren, die eine sehr bildhafte Sprache mit vielen Metaphern haben, oder sich vielleicht besonders detailliert, experimentell oder assoziativ ausdrücken. Jedenfalls ist ein bestimmter Umgang mit Sprache der entscheidende Anknüpfungspunkt.

3) Und es gibt die leidenschaftlichen „Leseratten“, für die das Lesen generell der bedeutsamste Zeitvertreib und die wichtigste Quelle für Unterhaltung ist. Bzgl. der Inhalte und Stilformen ist man eher offen und breit aufgestellt. Gelesen wird, was Spaß macht.

4) Nicht zuletzt gibt es natürlich die große Gruppe der Genre-Spezialisten (Krimis, Thriller, Fantasy, Horror, Liebesromane, Science-Fiktion, History,…). Darunter finden sich oft echte Kenner, die sich in ihrem Gebiet gut auskennen und sich auch gerne mit Gleichgesinnten austauschen. Mir scheint der Anteil hier bei mojoreads recht hoch zu sein.

II. Lesen als Mittel zum Zweck
Hier würde ich unterscheiden:

5) Leser, die sich - oft leidenschaftlich - einem Hobby verschrieben haben und dieses Spezialinteresse mit Hilfe einschlägiger Literatur weiter vertiefen. Solche Hobbys können natürlich geradezu unendlich gestreut sein; relativ häufig tauchen sicher solche Dinge auf wie Kochen, Reisen, Umgang mit Tieren, Sammelleidenschaften , …

6) Benachbart davon wären die Leser einzuordnen, deren Interesse bestimmten inhaltlichen Themen gilt und die ihr Wissen über diese Themen verbreitern und vertiefen wollen. Dabei kann es um sehr konkretes Faktenwissen gehen (IT, Naturwissenschaften, Medizin…) oder um eher größere Bereiche (Gesellschaft, Politik, Philosophie).

7) Die Aufmerksamkeit der nächsten Gruppe gilt keiner spezifische Thematik oder Fragestellung, wohl aber dem Ziel einer allgemeinen Horizonterweiterung. Hier ist die Neugier eher breit aufgestellt; Perspektiverweiterung wird bei ganz unterschiedlichen Quellen und Stilrichtungen gesucht. Man will irgendwie intellektuell auf der Höhe der Zeit bleiben.

8) Ein eigener großer Bereich ist inzwischen das Feld der Persönlichkeitsentwicklung, Selbstfindung und Lebenshilfe geworden. Viele Menschen setzen sich mit Hilfe von Büchern mit der eigenen Person auseinander, suchen neue Erfahrungen oder konkrete Hilfestellungen (z.B. bei emotionalen oder psychologischen Problemen oder Fragen). Das reicht von Achtsamkeit, Meditation und Yoga bis zur Eigentherapie bei Ängsten oder Depressionen.

(Meine Selbsteinschätzung ist übrigens: 6,2,7)

Mich würde interessieren, ob ihr mit meiner Einteilung etwas anfangen könnt. Vermutlich habe ich wichtige Aspekte übersehen oder vergessen. Bin gespannt…

(Ergänzung: Ich habe diesen Text zunächst in die "mojo feedback group" gepostet. Dort hat es erfreulich viele - und auch kontroverse - Reaktionen gegeben. Volker Oppmann hat mich ermutigt, ihn hier als Artikel einzustellen. Ihr seid eine tolle Community, in der man soviel Resonanz erfahren kann, danke!)