Trauer in schillernden Farben – Ein Bilderbuch über die besondere Trauer kleiner Kinder

Chris Silber stammt aus Berlin und ist nach großen Erfolgen in seinem Heimatland seit vielen Jahren auch in den USA als Drehbuchautor zu einer bekannten Größe im Filmgeschäft geworden. Er arbeitete an Filmen wie „Goodbye, Lenin!“ und „Ich bin dann mal weg“ mit, wurde mit einem internationalen Emmy und dem Adolf Grimme Preis ausgezeichnet.

Im Jahr 2013 starb Silbers Frau an Krebs und er blieb mit einem Sohn im Teenageralter und einer 4-jährigen Tochter zurück. Der außergewöhnliche Umgang seiner Jüngsten mit der Trauer inspirierte den Autor zu dem Kinderbuch "Die Wolke unterm Dach", das nun, illustriert von Annabelle von Sperber, im 360 Grad Verlag erschienen ist. Yvonne Franke hat mit Chris Silber über diese besondere Arbeit und die Zeit danach gesprochen.

Wie kam es dazu, dass Du als Filmemacher, die Erfahrungen um den Tod Deiner Frau ausgerechnet in Form eines Kinderbuchs verarbeiten wolltest?

Das war eine ganz organische Entscheidung. Von dem Moment an, in dem meine Frau schwer erkrankte, war, neben meiner eigenen ganz persönlichen Trauer, die größte Sorge und Herausforderung für mich immer: wie gebe ich das meinen Kindern weiter? Mein Sohn war schon ein Teenager, aber meine Tochter war noch ein kleines Kind. Wie macht man das am besten? Am Anfang hat das ein Gefühl von Panik in mir ausgelöst. Wie bringt man einem 4-jährigen Kind bei, dass die Mama gestorben ist? Durch die tiefe Beschäftigung damit und das Bedürfnis, dafür zu sorgen, dass das für sie so gut wie möglich passiert, habe ich mich besonders auf die Trauer meiner Tochter konzentriert. Irgendwann wurde mir klar, dass ich viel darüber wusste, dass ich ganz gut verstanden hatte, wie sie diese Zeit erlebt hat. Es hat mich fasziniert, wie sie damit umgegangen ist. Und ich habe gemerkt, es gibt kein Buch, das genau so darüber erzählt. Das kann Menschen vielleicht helfen, dachte ich, wenn es ein Buch gibt, das den kreativ imaginativen Umgang mit Sterben und Trauer aus Kindersicht beschreibt.

Was war das Besondere, Überraschende an dem Umgang Deiner Tochter mit dem Tod ihrer Mutter?

Sie wollte ganz simple Antworten haben und kreative Lösungen erfinden. Auch, wenn die Erwachsenen selbst keine Antworten hatten. Und sie hat in ihrer Suche danach nicht aufgegeben. Das fand ich so beeindruckend. Für sie war klar, es muss eine Antwort geben, es muss einen Weg geben.

Sie hat sich der Akzeptanz, die sich bei Erwachsenen irgendwann einstellt, entgegengesetzt.

Genau, diese Akzeptanz dem Tod gegenüber beruht auf Konstrukten und Denkmöglichkeiten, die für Kinder so nicht funktionieren, weil sie in einer ganz anderen Welt leben.

Hat sie konkreten Einfluss auf die Entstehung des Buchs genommen, Fragen gestellt, Änderungswünsche geäußert?

Sie war interessiert und ich habe ihr in Ruhe erzählt, was ich da mache. Es hat ja auch lange gedauert, die Erfahrung liegt jetzt neun Jahre zurück. Es war also ein behutsamer Weg und die intensive Beschäftigung damit fing erst vor wenigen Jahren an. Ich habe ihr dann die ersten Charakter-Skizzen gezeigt, die Annabelle von Sperber für das Buch gemacht hat. Sie fand es total faszinierend, sich selbst als kleines Kind wiederzusehen. Ich habe immer gespürt, dass es ihr wichtig war, dass dieses Buch gemacht wird. Aber sie hat gesagt: „Du weißt ja, wie das war, Papa. Mach mal.“

War dir von Anfang an klar, dass es ein Bilderbuch werden soll und keine Erzählung?

Es war für mich zwingend, dass wir das Buch für ein Publikum machen, das in dem Alter ist, in dem meine Tochter damals war. Weil dieses Herangehen eben sehr spezifisch für diese Altersgruppe ist und Kinder keine Konzepte für abstrakte Emotionsverarbeitung haben.

Ich stelle mir vor, dass Du großes Vertrauen zu Annabelle von Sperber, der Illustratorin, brauchtest. Wie war das? Hattest Du schon bestimmte Bilder im Kopf?

Hast Du konkrete Anweisungen gegeben? Das war ein ganz fließender und harmonischer künstlerischer Kollaborationsprozess. Annabelle war von Anfang an meine Lehrerin was die Arbeit an einem Kinderbuch angeht. Sie ist die Expertin und hat sogar ein Buch übers Kinderbuchschreiben veröffentlicht. Ich brauchte eine erfahrene Illustratorin, weil ich mich in dem Genre nicht auskannte und dann konnte ich meinem Gefühl folgen. Annabelle hat die Leidenschaft für die Geschichte sofort ganz authentisch geteilt, das war wichtig für mich. Und dass sie eine großartige Künstlerin ist, war eh klar. Dementsprechend hatte ich großes Vertrauen in sie. Der große erzählerische Bogen ist so geblieben, wie ich ihn mir von Anfang an gedacht habe. Und ein erzählerisches Kinderbuch, ist ein bisschen wie ein kleiner Film. Das kam mir natürlich entgegen. Wir haben Storyboards erstellt, also wie bei einer Regiearbeit erstmal Bilder nebeneinandergestellt und überlegt, wie sie die Geschichte am besten transportieren. Und da hat Annabelle Lösungen gefunden, die oft bewirkten, dass ich gesagt habe: Schön, dann kann man ja noch ein paar Worte weglassen. Also, der Text ist kürzer geworden, weil Annabelle von Sperbers Illustrationen so schön und so ausdrucksstark sind.

Jetzt ist das "Die Wolke unterm Dach" ja schon seit ein paar Monate erhältlich. Gab es bereits erste Reaktionen? Hat es Menschen wirklich geholfen?

Ja, ganz am Anfang, als das Buch gerade erschienen war, bekam ich einen Leserbrief von einem Kind, das das Buch gelesen hatte, nachdem seine Oma gestorben war und sich jetzt vorstellen konnte, wo sie ist. Auch der Vater und der Großvater haben ihren Dank dafür ausgedrückt, dass sie in dieser Zeit gemeinsam unser Buch lesen konnten. Ich habe inzwischen einige solcher Reaktionen bekommen und denke, das Buch wird seinen Weg finden. Was mir auch auffällt ist, dass Erwachsene, die das Buch lesen, Rezensentinnen zum Beispiel, oft sehr private emotionale Reaktionen darauf haben. Es scheint unmöglich, das Buch einfach nur sachlich zu besprechen. Es findet eine Kontaktaufnahme mit dem eigenen inneren Kind statt.

Also ist es vielleicht doch auch ein Buch für Erwachsene?

Ja, ich denke, wenn es um das Sterben geht, ist es eine Wohltat, wenn man eine Geschichte entdeckt, die das Thema sehr ernst nimmt, mit der man aber trotzdem auf eine Reise gehen kann, wie ein Kind es tun würde. Was macht das mit Dir, dass Du jetzt nochmal so viel über den Tod Deiner Frau sprechen musst? Ich merke, dass es inzwischen nicht mehr so viel bei mir aufwühlt, ich es also ganz gut verarbeitet habe. Und dieses ist ein besonderes Jahr für mich, das konnte ich nicht ahnen, als ich das Buch schrieb. Seit Anfang des Jahres bin ich wieder verheiratet. Eine neue Etappe ist ganz offiziell eingeläutet.Es ist ein besonderes Gefühl, wenn man den Buchdeckel zuklappen und sagen kann: So, das habe ich jetzt hier gelassen.