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Fina

Posted on 16.1.2023

Gestaltung: Ich mag die Thriller von Anne Freytag optisch sehr gerne. Obwohl Thriller meist eher schlicht-dunkel und unauffällig aussehen, schafft der dtv Verlag es doch immer wieder, diesen Büchern etwas besonderes zu verleihen. Hierbei gefallen mir die gelungenen Spotlack-Veredelungen, die ich auch bei "Aus schwarzem Wasser" schon so mochte. Das Motiv ist treffend gewählt, ohne zu aufdringlich zu sein oder zu viel vorwegzunehmen. Hervorheben möchte ich noch die besondere Gestaltung der Innenklappe, die mir sehr geholfen hat, thematisch ins Buch reinzukommen und ein Gefühl für die futuristische Atmosphäre zu kriegen. Das Buch kann sich nun wunderbar in meine Anne Freytag-Sammlung einreihen. Darum geht's: Während Silvie Mankowitz einen Anruf von ihrem beerdigten Bruder Samuel bekommt, ist Mayari Morales als Content-Moderatorin dabei, Informationen im Internet zu löschen oder aber hochzuladen. Dr. Irene Kallmann bereitet sich auf die Wahlergebnisse zur Bundeskanzlerin vor und schmiedet Pläne für die Zukunft Deutschlands und ganz Europas. Der gemeinsame Nenner der ganz unterschiedlichen Leben ist Erik Fallberg und seine Erfindung des NINK, denn seit es diese Technologie gibt, stehen der Welt vollkommen neue Möglichkeiten der neuro-technischen Vernetzung und medizinischen Versorgung offen. Doch was ist die Kehrseite dieser herausragenden Technologie? Idee/ Umsetzung: Anne Freytag ist, egal in welchem Genre oder für welche Zielgruppe, bekannt für ihre frischen Ideen und außerordentlich tiefgründigen Bücher. Besonders in ihren Thrillern hat sie sich spannenden politischen Gedankenspielen und Zukunftsperspektiven verschrieben. "Mind Gap" reiht sich dabei hinter "Aus schwarzem Wasser" und "Reality Show" ein, und ist von der Grundidee her nicht minder faszinierend. Wir haben es mit einer nicht allzu fernen Zukunftsvision zu tun, in der die Erfindung des NINK einiges verändert hat. In erster Linie konzipiert für das Militär wird der salzkorngroße Chip mittlerweile auch der Allgemeinbevölkerung immer mehr zugänglich gemacht, bestimmte Berufsgruppen bekommen ihn ohnehin kostenlos. Dadurch ist es möglich, sich Informationen einspeisen zu lassen - eine Fremdsprache plötzlich fließend beherrschen? Ohne weiteres möglich. Was auf den ersten Blick wie ein wahrgewordener Traum wirkt, zeigt aber auch seine Schattenseiten. Durch implantierte Technologie sind wir Menschen nicht nur vollkommen gläsern, sondern auch steuerbar. Und was sind all diese Fortschritte wert, wenn sie nicht mehr unserem freien Willen unterliegen? Figuren: Ihr merkt schon, Anne Freytag macht hier wieder viele spannende Töpfe auf und lässt und tief in ein grausiges Zukunftsszenario blicken, das gar nicht unrealistisch erscheint. Durch verschiedene Erzählperspektiven beleuchtet sie ganz unterschiedliche Wirkungsbereiche dieser Technologie: Was stellt die Regierung mit solch mächtigen Informationen an? Welche neuen Arbeitsplätze können entstehen? Was kann ein Mensch überhaupt noch selbst entscheiden? Zu den verschiedenen Erzählperspektiven habe ich kleine Kritikpunkte. Wir haben einige Perspektiven, aber hauptsächlich begleiten wir Journalistin Silvie Mankowitz auf der Spurensuche zu ihrem Bruder, Mayari Morales als Content-Moderatorin in Manila, und Dr. Irene Kallmann während des Wahlkampfes. Ich habe hier das Gefühl, dass es der Autorin nicht darum ging, die Figuren als solche sehr plastisch und tiefgründig abzubilden, sondern dass sie eher ein Platzhalter für bestimmte gesellschaftliche Rollen sind. Silvie nimmt die Rolle als von der NINK Technologie gebeutelte Zivilistin ein, hat aber durch den Journalismus eine Art Doppelrolle in diesem Netz aus Macht und Lügen. Mayari Morales zeigt, was Content-Moderatoren machen und wie für diesen Beruf die Menschlichkeit komplett über Bord geworfen wird. Und Dr. Kallmann ist eine Karrierefrau, die in der Politik ganz oben mitspielt und über Operationen im Verborgenen Bescheid weiß. Ich muss gestehen, dass ich bei einer der selteneren Erzählperspektive bis jetzt nicht weiß, was diese mir vermitteln sollte. Den Ansatz der vielen schnellen Perspektivwechseln finde ich sehr gelungen, aber die ein oder andere Sicht hätte es für mich nicht gebraucht. Handlung: Der Aufbau der Handlung war von der Autorin spannend gewählt und ich habe ihn als eher unüblich empfunden. Während ich am Anfang etwas verloren war und mich in dieser neuen Welt zurechtfinden musste (was sicherlich auch so gewollt war), hatte ich bei ungefähr der Hälfte des Buches einen Überblick, wer welches Spielchen spielt und was die Strippenzieher versuchen, zu vertuschen. Dann war die Frage: was kommt denn jetzt noch? Letztendlich erzählt Anne Freytag wie es dazu kam, und was in der Folge passieren wird. Deswegen empfand ich die Geschichte zu keiner Zeit langweilig, wenn auch manchmal etwas vorhersehbar. Die schnellen Schnitte, die unter anderem durch die kurzen Kapitel und die Perspektivwechsel entstehen, fand ich gut gemacht, obwohl sie diesmal leider nicht dieselbe Sogwirkung auf mich hatten wie bei den anderen Thrillern der Autorin. Es hat mich grundsätzlich interessiert, wie es weitergeht, aber ich war nicht so an das Buch gefesselt und konnte es auch gut mal beiseitelegen. Das war etwas schade, denn handwerklich gibt es hier nichts zu meckern. Das Ende war nochmal ein gelungener Schachzug, der mich begeistert hat und bei dem ich auch einige kluge Zitate herausgeschrieben habe. Man merkt einfach, dass die Autorin sehr smarte Gedanken zu gesellschaftlichen Missständen und Denkweisen der Menschheit einwebt, die dem ganzen immer einen aktuellen und dringenden Charakter verleihen. Fazit: Anne Freytag hat mit "Mind Gap" wieder mal einen hochaktuellen, dystopischen Thriller geschrieben, der mit einem interessanten Gedankenexperiment zum Nachdenken und Schauern anregt. Obwohl das Buch handwerklich gut gemacht ist, hat mir das erste Mal bei der Autorin ein bisschen die Spannung und Sogwirkung gefehlt. Nichtsdestotrotz bin ich sehr froh, in dieses Zukunftsszenario eingetaucht zu sein, und mit neuen Fragestellungen und Gedanken hinausgegangen zu sein. Fans der anderen Thriller der Autorin werden sicherlich auch hier ihre Freude dran haben.

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