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evaczyk

Posted on 29.12.2022

Iben Albinus ist eigentlich eine erfolgreiche Drehbuchautorin, und das merkt man ihrem Debütroman "Damaskus" angesichts seines hohe Erzähltempos, Cliffhanger-Momenten und dramatischen Twists an. Ich würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn das Buch um eine Menschenrechtsaktivistin im beginnenden syrischen Bürgerkrieg zeitnah auch verfilmt wird - nicht nur wegen der sowohl spannenden als auch weiterhin aktuellen Handlung, sondern auch wegen einer athmosphärisch dichten, "visuellen" Erzählweise. Worum geht es? Sigrid Melin, die einst im Irakkrieg für eine dänische Zeitung im Nahen Osten war und aus dieser Zeit noch eine posttraumatische Störung mit sich herumschleppt, hat mit einem Temperamentsausbruch vor laufender Kamera ihre Karriere als Pressesprecherin von Amnesty International vergeigt. Da kommt das Angebot eines alten Studienfreundes durchaus passend: Sigrid soll für einen Telekommunikationskonzern nach Damaskus gehen, gewissermaßen als gutes Gesicht des Kapitalismus auf Einhaltung humanitärer Standards achten. Die Entscheidung ist nicht leicht, muss Sigrid doch ihren Mann, den halbwüchsigen Sohn und die Teenager-Stieftochter zurücklassen - andererseits lockt nicht nur die Rückkehr in die arabische Welt, sondern auch das Wiedersehen mit der syrischen Studienfreundin Reem, die die Sicherheitsfirma leitet, die für den Schutz von Sigrid und den anderen Mitarbeitern von NorCom zuständig ist. Denn es ist das Jahr 2011, der Arabische Frühling ist ausgebrochen. Es gärt nicht nur in Nordafrika, sondern auch in Syrien. Der neue Job erregt auch das Interesse des Ehepaares von nebenan, die beide beim Geheimdienst arbeiten. Denn Sigrid soll versuchen, einen Regierungsmitarbeiter oder eine andere hochrangige Persönlichkeit zur Zusammenarbeit zu überreden. In Damaskus erlebt Sigrid nicht nur die Faszination für die Gassen der Altstadt, Baklava und die traditionelle arabische Gastfreunschaft. Sie muss auch feststellen, dass Reem, eine Alavitin, bestens vernetzt mit dem Assad-System ist, auch die blutige Niederschlagung von Demonstrationen verteidigt. Einer ihrer Kindheitsfreunde ist der syrische Innenminister. In dem Luxushotel, in dem Sigrid und ihre Kollegen leben, schnüffelt auch der syrische Geheimdienst herum. Nur Firas, Reems Mann, der als Arzt in einem Militärkrankenhaus arbeitet, hält sich mit politischen Lobpreisungen Assads zurück - auch weil er im Krankenhaus die Folterungen und Tötungen von Regimegegnern miterlebt. Wie schnell es gehen kann, die Aufmerksamkeit des Geheimdienstes zu erregen, muss auch Sigrid feststellen. Im Gefängnis des Geheimdienst wird sie Augen- und Ohrenzeugin von Menschenrechtsverletzungen, ihr Status als Ausländerin und Expat bewahrt sie vor Schlimmerem. Reem wiederum spürt immer mehr Druck, ihre Loyalität gegenüber einem Regime zu zeigen, in dem die Paranoia mit jeder Freitagsdemonstration steigt. Dann verschwindet ihr Mann - und Sigrid und Reem, die schon vor einem Zerwürfnis standen, müssen eine schwere Bewährungsprobe bestehen. Vieles von dem, worüber Albinus schreibt, hat bei aller Fiktion reale Hintergründe - etwa die Versuche, Informationen aus den Foltergefängnissen ins Ausland zu schmuggeln, die Zustände in den Gefängnissen und den Haftanstalten, die zahlreichen, miteinander konkurrierenden Geheimdienste, die Brutalität einer Macht, die sich bedroht sieht durch den Wunsch nach Veränderungen. Und auch die modernen Kommunikationsmittel erweisen sich als Fluch und Segen zugleich. "Damaskus" fesselt bis zuletzt, bietet Spannung und eine immer düsterere Atmosphäre, während Syrien auf einen Abgrund zusteuert. Manches erscheint mir wenig realistisch - dass Journalisten willentlich Nachrichtendiensten zuarbeiten, ist nach allen westlichen Medienstandards ein No Go, und mit einer Vergangenheit als Menschenrechtsaktivistin scheint es mir noch unglaubwürdiger, dass sich Sigrid, noch dazu ohne jeden Druck, auf die Bitte ihrer Nachbarn einlässt. Dass Sigrid sich mehrfach unreflektiert und unüberlegt mit ihren Äußerungen in die Bredouillie bringt, dient zwar dem Plot, ist aber so unprofessionell, dass es mit ihrer vorangegangenen Berufslaufbahn und jemanden, der den Teenagerjahren entwachsen ist. Das ist allerdings Mäkelei auf hohem Niveau, denn ich habe diesen spannenden Thriller sehr genossen und hoffe, dass der Erstling von Iben Albinus nicht ihr letzter Roman bleibt.

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