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marcello

Posted on 27.12.2022

Auch wenn „Happy New Year“ nicht als Thriller etc. vermarktet wurde, so ist der Cover doch sehr typisch für das Genre, weil es mystisch und in seiner simplen Schönheit doch auch bedrohlich wirkt. Dazu noch der Unterteil „Zwei Familien, ein Alptraum“ und ich war erst recht wieder bei Thriller. Letztlich ist „Happy New Year“ aber wirklich eher ein Zwitterding, denn es hat etwas Rätselhaftes an sich, wo man sich so seine Gedanken machen kann, was wohl passiert ist und wer wo Verantwortung trägt. Letztlich ist das Buch aber vor allem eine tiefgehende psychologische Studie, die durch drei Perspektiven intensiv beleuchtet werden. Wofür ich Malin Stehn auf jeden Fall loben kann, das ist ihre Art, ihren drei Perspektiven so treu zu bleiben und mit Frederik, Nina und Lollo auch drei Charaktere zu schaffen, die alle auf ihre Weise keine Sympathieträger sind, weil die Autorin wirklich verdammt tief gräbt. Wir haben sicherlich alle unsere hässlichen Seiten, aber die werden selten so geballt gezeigt. Zwar war das Buch so wahrlich kein Stimmungsaufheller, aber ich fand es doch auch faszinierend, diese Charaktere so ehrlich und verblümt kennenzulernen. Bei Lollo erleben wir sofort eine sehr oberflächliche Persönlichkeit, die an ihre Freundinnen keinen guten Gedanken lässt und die alles mit einem prüfenden Auge bedenkt, ob es nur ja einen äußeren Anschein wahrt. Später als ihre Tochter Jennifer verschwunden ist, wandelt sich das Bild und es wird deutlich, dass sie den Hass auf ihre eigene Persönlichkeit in Hass auf ihren Ehemann umwandelt, obwohl sie sich immer einig bei allem waren. Es ist sicherlich nicht einfach, bedingungsloses Mitleid mit Lollo zu empfinden, aber es ist dennoch interessant mitzuverfolgen, wie sie quasi durch diesen Schrecken ‚aufwacht‘. Nina ist sicherlich die normalste in der ganzen Geschichte, die auch in den ganzen sich entfaltenden Ereignissen ein fast schon außenstehender Posten ist. Sie hat damit zu kämpfen, wie ihr Mann den Boden unter den Füßen verliert, sie sieht ihre leidende Tochter und sie schämt sich auch gegenüber Lollo, weil sie für sie nicht die bedingungslose Freundin sein kann, weil zu viel reinspielt. Sie ist ein wenig die Kümmerin, die Bodenständige, auf deren Rücken unwissentlich so viel ausgetragen wird und der irgendwann auch einfach mal der Kragen platzt. Dennoch ist sie auch die Figur, bei der man am wenigsten entdecken kann, weil sie auch keine Geheimnisse hat, sie ist einfacher Mensch, der damit arbeitet, was ihr angeboten wird. Frederik wiederum ist der, zu dem die meisten Andeutungen gemacht werden und wo man nicht sicher ist, wie dunkel das Grauen bei ihm wirklich ist. Er war durch seine Stimmungen sicherlich der unerträglichste, aber ich fand es durchaus auch interessant, wie er immer in der Liebe zu seiner Familie und seinen Schuldgefühlen schwankte. Da er gerade auch zu Beginn der Geschichte für mich den vernünftigsten Eindruck machte, war ich auch gespannt, wie weit seine Schuld nun tatsächlich reicht. Während nun also diese Figurenebene wirklich sehr interessant und ungewöhnlich für mich war, so bin ich zu dem Erzählstil noch etwas unentschlossen. Dieses Figurenbasierte fließt natürlich einteilig groß ein, aber dennoch hemmt es auch in einigen Aspekten. Denn das, was am Ende noch alles aufgedeckt wird, das passiert eher im Off und wird dann aus dem Hut gezaubert. Vielleicht muss ich mich an der Stelle mehr daran erinnern, dass es eben kein Thriller ist, aber dennoch war es schon eher ungewöhnlich. Ich habe zwar zwischendurch in eine ähnliche Richtung gedacht, die finale Lösung fand ich dennoch überraschend und dazu hätte ich mir noch etwas mehr Innenleben gewünscht und nicht nur den Strafprozess dann. Manche Wendungen waren mir auch etwas zu übertrieben, auch weil mir dann im nächsten Schritt die ausführlichere Darstellung von Jennifer gefehlt hat, denn sie ist für diese Geschichte enorm wichtig, auch wenn sie aktiv keine große Rolle spielt. Es hat auch immer mal wieder Rückblenden gegeben, aber bis auf die eine entscheidende waren die auch eher austauschbar. Es ist also ein etwas schmaler Grat, auf dem der Erzählstil hier wandelt. Die Vor- UND Nachteile sind offensichtlich. Fazit: „Happy New Year“ war in meinem Lesejahr 2022 ein ungewöhnliches Buch, weil es irgendwo zwischen Thriller und psychologischem Roman schwankte und weil auch der Erzählstil dementsprechend seine Vor- und Nachteile aufzuweisen hat. Während ich die intensiven Figurenperspektiven zu schätzen wusste, so fühlte sich das Buch in anderen Aspekten wiederum unfertig an.

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