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miss_pageturner

Posted on 6.12.2022

Mit Ich bin Circe hat sich Madeline Miller letztes Jahr in mein Herz geschrieben und mir mein Jahreshighlight 2021 beschert. Klar bekam ich da große Augen, als ich sah, dass etwas Neues von ihr veröffentlicht werden würde, selbst wenn es “nur” eine kurze Erzählung ist.   Wenn der Mythos endet, beginnt etwas Neues Die ca. 40-seitige Kurzgeschichte Millers widmet sich dem Mythos von Pygmalion. Ein Motiv, dass in der Literatur der Neuzeit bereits viel Aufmerksamkeit und Adaptionen bekommen hat, was zunächst etwas verwunderlich scheint, ist der Mythos selbst doch eigentlich “nur” eine Randnotiz im großen Universum der griechischen Mythologie. Im 3. Jh. v.Chr. lediglich als kurze Anekdote zum Aphroditekult auf Zypern erwähnt, macht erst Ovid eine richtige Erzählung daraus, wobei auch hier Pygmalions Geschichte nur ein Teil, ein Mythos innerhalb eines Mythos rund um Orpheus ist. Die Geschichte ist eine von drei über unterschiedliche Liebschaften, die Orpheus, nachdem er nach dem Verlust seiner geliebten Eurydike der heterosexuellen Liebe abgeschworen hat, erzählt. In den folgenden Jahrhunderten wurde der Stoff vielfach adaptiert, Jean-Jacques Rousseaus gab 1770 in seinem Werk Pygmalion der zum Leben erwachten Frau, die bei den antiken Autoren noch namenlos war, erstmals einen Namen: Galathée, zu deutsch: Galatea. Doch wie man diese ganzen Adaptionen auch dreht und wendet, es sind männliche Autoren, die sich vorrangig um die Perspektive des Pygmalion bemühen. Es war also höchste Zeit sich mal zu fragen, was Galatea selbst von der ganzen Sache hielt und wer könnte dieser Figur besser eine Stimme verleihen, als die Queen of ancient feminism storys: Madeline Miller. Dabei erzählt sie, anders als in ihren Romanen, nicht den bekannten Mythos auf ihre Art nach, sondern schafft vielmehr eine Ergänzung, indem sie erzählt, was aus Galatea und Pygmalion nach den Ereignissen aus dem Mythos wurde. Damit beschert sie uns nicht nur Einblicke in die Gefühlswelt einer bisher stumm gebliebenen Figur, sie verleiht auch dem eigentlichen Mythos eine neue Leseart, die in meinen Augen durchaus plausibel und vereinbar mit dem original ist, denn wenn man sich die Verse Ovids, die in dem Büchlein ebenfalls abgedruckt sind, anschaut, steckt da schon einiges an Misogynie drin, das mag seine historischen Gründe haben und liegt nicht daran, dass Ovid oder seine Zeitgenossen per se schlechte Menschen waren, die Verbindung von Frauen mit schlechten und lasterhaften Eigenschaften und die Reduzierung Galateas auf die Erfüllung von Pygmalions Wünschen lassen sich dennoch nicht von der Hand weisen. Von der Suche nach Selbstbestimmung Von der Handlung der Kurzgeschichte brauche ich euch eigentlich nichts zu erzählen, was nicht schon im Klapptext steht, alles andere wäre nur Spoiler. Reden wir also lieber über die Themen, die Miller hier aufgreift, denn trotz der Kürze der Geschichte werden einige leider immer noch hochaktuelle Themen behandelt. Das zentrale Motiv ist in meinen Augen die Suche Galateas nach Selbstbestimmung für sich und ihre Tochter. Sie will raus aus einem Teufelskreis aus Bevormundung und Entmündigung, der die kurzen 15 Jahres ihres bisherigen Lebens vollkommen bestimmte. An dieser Stelle kann ich schon mal sagen, dass mir das Ende der Kurzgeschichte sehr gut gefallen hat, denn es verdeutlicht, dass mitunter Selbstbestimmung und Freiheit noch wichtiger und essenzieller sind, als das eigene persönliche Glück. Was ich an Madeline Miller schätze ist, dass sie Stil und Stimmung an ihre Figuren anpassen kann. Galatea erzählt ihre Geschichte gefasst und distanziert, fast schon teilnahmslos und die Geschichte bekommt dadurch eine erdrückende Stimmung, die jedoch sehr gut zu dem passt, was Galatea erdulden muss. Wer Leid über lange Zeit ertragen muss, stumpft zum Selbstschutz ab, das heißt nicht, dass die Person aufgegeben hat. Zudem passt für mich dieser nüchterner Charakterzug auch gut zu einer Frau, die nicht wie Menschen langsam aufgewachsen ist, Erfahrungen gesammelt und durch ein soziales Umfeld geprägt worden ist, sondern ohne Beistand durch göttliches Tun in ein Leben, in dem ihre Meinung nie gefragt war und allzu große Gefühlsregungen unerwünscht sind, hinein katapultiert worden ist. Diese Erzählweise macht es vielleicht manchen Leser/innen schwer Zugang zu Galatea zu finden, unterstreicht für mich jedoch nur Galateas Leid und verstärkt die Intensität der Geschichte. Im Grunde ist das einzige Manko an der Kurzgeschichte für mich: Paphos. Dafür, dass diese für Galatea der zentrale Antrieb ist, hätte ich mir ein paar mehr Seiten, die sich näher mit der Tochter auseinandersetzten gewünscht.   Eins noch zum Abschluss: Ich sehe durchaus, dass man die Preispolitik hinter diesem Büchlein kritisieren kann und finde selbst auch, dass 20€ trotz der wunderschönen Aufmachung mit Illustrationen und Farbschnitt zu viel sind. Dies sei hier erwähnt, hat aber keinen Einfluss auf meine Sternebewertung, denn in meiner Rezension bespreche ich das Werk, nicht den Verlag und dessen Preise. Fazit: Natürlich kann diese Kurzgeschichte nicht mit Millers Romanen verglichen werden, doch diesen Anspruch sollte man an Kurzgeschichten auch nicht stellen. Die kurze Erzählung rund um Galatea hat trotzdem einiges zu bieten, indem sie aufzeigt, wie wichtig Selbstbestimmung und Freiheit ist. Darüber hinaus zeigt sie, wie wandelbar der Still der Autorin in Abhängigkeit von den erzählenden Figuren ist. Ich werde definitiv noch mehr von Madeline Miller lesen.

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