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magineer

Posted on 29.10.2022

Abgedreht magisch Dass viele Leser:innen mit "Unsterblich sind nur die anderen" nichts weiter anfangen können, wundert mich im Leseland Deutschland eher recht wenig - hier regiert bei all den Instagram-Lesemäusen und Booktube-Empfehler:innen schließlich immer noch pastellfarbener New-Adult-Schmonz oder bieder-emanzipative Romantic Fantasy. Simone Buchholz' neuer Roman ist nichts von beidem. Eigentlich im Krimi beheimatet, zaubert die kreative Autorin hier einen mythisch-magischen Reiseroman aufs Brett, der sich gewaschen hat: Aus einer relativ standardisierten Ausgangssituation, in der zwei Frauen auf der Suche nach drei Freunden deren Schiffsüberfahrt nach Island nachverfolgen, um Hinweise auf den Verbleib der Vermissten zu finden, entwickelt sich ein übersinnlicher Geisterroman, dessen Sujet zwar relativ linear den "Fliegenden Holländer" beerbt, aber für den geneigten Leser durchaus die eine oder andere Überraschung bereithält. Simine Buchholz wäre nicht die mit allen Wassern gewaschene Autorin, wenn sie "Unsterblich sind nur die anderen" als Standard-Mystery an einem Wochenende druntergeschrieben hätte. Etwas plump ist hier tatsächlich nur der Titel. Stattdessen webt sie ein raffiniertes Konstrukt aus langen mäandernden Sätzen, in denen die entscheidenden Informationen oftmals beiläufig hinter der letzten Kommastelle geparkt werden und kreiert intelligente Bilder im Kopf, mit denen die unheimliche Reise auf dem geisterhaften Schiff immer stärker Fahrt aufnimmt und in ihrer unerreicht frechen Mischung aus Poesie, Theaterstück und dramatischen Elementen in breiten Pinselstrichen eine Geschichte elementarer Themen erzählt: Liebe, Trauer, Verlust zwischen Alkohol, Zigaretten und immer wieder mal Sex. Eine melancholische Schauermär, eine moderne maritime Geistergeschichte, die einen magischen Sog entwickelt und traurig den modrigen Odem seetanggeschwängerter Fäulnis atmet ... so unfassbar gut, dass man seinen Augen nicht trauen mag. Eines der Bücher des Jahres, das wohl auf ewig unter dem Radar fliegen wird und trotzdem jeden einzelnen seiner Leser verdient hat.

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