Profilbild von magineer

magineer

Posted on 4.10.2022

Brillanter Wälzer mit Schwächen Ein grandioser Thriller und dennoch ein zwiespältiges Buch - "Todesspiel", so der etwas einfallslose deutsche Titel, ist leider nicht perfekt, obwohl er alles Notwendige mitbringt. Wer Dolores Redondos Baztan-Trilogie kennt, hat auch schon von Amaia Salazar gehört, einer der fähigsten Polizistinnen Spaniens und hier (noch vor den Ereignissen der Trilogie) schon mit 25 Jahren eine Subinspectora, die landesweit für ihre berufliche Brillanz geschätzt wird. Da ist es nur folgerichtig, dass sie am Austauschprogramm der Polizei teilnimmt und im FBI-Hauptquartier in Quantico/USA mit anderen Kollegen zusammen eine Profiling Masterclass absolviert. Ihre Kombinationsgabe, gepaart mit fast untrüglicher Intuition, macht sie schon bald zum Zentrum der Aufmerksamkeit, als eine echte Mordserie ihren unaufhaltsamen Verlauf nimmt - und Amaia findet sich auf einmal inmitten eines hochprofessionellen FBI-Ermittlerteams wieder. Gemeinsam sind sie einem Täter auf den Fersen, der gnadenlos immer wieder im Angesicht von Naturkatastrophen zuschlägt. Und gerade jetzt zieht Hurrikan Katrina bedrohlich über die Südstaaten der USA in Richtung New Orleans ... Die Settings sind spektakulär, die Verbrechensserie knackig, die Charaktere ausgefeilt, wenn auch oft etwas zu sehr gebrochen - und trotz eines wundervoll geschliffenen Schreibstils kommt Redondos Serienkiller-Prequel nicht ganz aus den Startlöchern. Solange Amalias perfekte Intuition gefragt ist, folgt man den spannenden Erkenntnissen mindestens genau so gebannt wie den Taten des gestörten "Komponisten", aber sobald das Team nach etwa einem Viertel des Romans in New Orleans eintrifft, bremst sich die Autorin unnötig selber aus: Zu viele parallel stattfindende Ereignisse trüben den Lesefluss, die Rückblenden in die Vergangenheit der Protagonistin (und zusätzlich noch in das frühere Leben des leitenden US-Agenten) scheinen zu einem völlig anderen Buch zu gehören und das anfangs so perfekte Timing hinkt hinterher. Das ist schade, denn im Grunde genommen ist "Die Nordseite des Herzens" (der deutsche Untertitel, der das Original übersetzt, ist treffender) ein herzzerreißend schöner und handwerklich unglaublich ausgefeilter Thriller. Auf 400 Seiten wären Amaia Salazars frühe Jahre in der Verbrechensbekämpfung eine pulstreibende Achterbahnfahrt gewesen, aber gestreckt auf über 600 Seiten ist Dolores Redondos Roman einfach ein bisschen zu ambitioniert und verliert die Vorschusslorbeeren vom Beginn schon vor der Ziellinie. Fans der Baztan-Reihe werden ausreichend bedient, und letztlich ist "Todesspiel" kein Thriller, dessen Lektüre man hinterher bereuen würde, aber anhand der verschenkten Möglichkeiten zur Straffung ist man schon ein wenig traurig, dass nicht alle Erwartungen erfüllt werden. Dolores Redondo ist immer noch eine der herausragendsten Crime-Autorinnen Spaniens - beim nächsten Buch kann es nur noch besser werden. Mit Einschränkungen also dennoch wärmstens empfohlen!

zurück nach oben