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gwyn

Posted on 7.8.2022

Kat Menschik ist eine leidenschaftliche Gärtnerin und Tomaten sind ihr Lieblingsgemüse. Es gibt über 3.000 Sorten, berichtet sie im Vorwort. Rund, oval, rot, gelb, lila, manche ähnelt mitunter einem Herzen – so unternimmt sie einen Streifzug durch die wichtigsten Sorten. Von Adora über Besser, Blaue Ananas, König Humbert, Ochsenherz, Orange Rusian, Rosa Oma, Tiflis Rosa bis hin zur Zahnradtomate. 500 Jahre Tomaten in Spanien und damit in Europa. Ob es denn ganz genau 500 Jahre sind, sei mal dahingestellt, aber so in etwa kommt das hin. 1521, fielen die spanischen Truppen unter Hernán Cortés in die Azteken-Hauptstadt Tenochtitlan ein, sie metzelten circa acht Millionen Eingeborene nieder, steckten die Stadt in Brand. Wer das ganze überlebte, starb an den eingeschleppten Pocken, Grippe und anderen Geschenken, die Kolonialherrscher mitbrachten. Nichts, worauf die Spanier heute stolz sind. Doch die Entdeckung Amerikas brachte auch ihnen neues Gemüse ins Land: Erdnüsse, Mais, Paprika und vor allem «xictomatl», wie es die Azteken bezeichneten, die Tomate. Mit den ersten grünen Dingern konnte niemand etwas anfangen. Missionare begeben sich bekanntlich unter gern das Volk. Und so erfuhr der Franziskaner Bernardino de Sahagún 1521 auf dem Markt, dass es derer viele Arten und Farben gäbe, und unlautere Händler würden Ausländern «unreife oder verdorbene Früchte» andrehen. In den «Crónicas de Indias» wird berichtet, dass diese «Tomate» von den Azteken zum Abschmecken von Eintöpfen und Saucen benutzt werde, um sie zu säuern. Der katholischen Kirche war das heidnische rote Ding nicht ganz geheuer und so behauptete man, die Pflanze sei toxisch. Sie landete zunächst als Zierpflanze in den Gärten. Unglaublich, aber wahr, was die katholische Kirche so verbreitete: Linsen würden den Charakter verderben, Tomaten die Gesichtsfarben entstellten und Auberginen die schwangeren Frauen krank machen. Alles Hexenzeug, was aus dem neuen Land angeschleppt wurde! Später zog die Tomate doch in die spanische Küche ein, hauptsächlich zu Soße verarbeitet: «tomate frito». Die sogenannte spanische Soße adaptierten die Sizilianer, die Makkaroni mit Parmesan aßen. Diese schmackhafte Sugo gab der Pasta den letzten Pfiff – übrigens war das damals Streetfood, bzw. Fingerfood. Das Sufrito ist in Spanien und Italien ist heute eine Grundlage für viele Soßen und Suppen, in Spanien füllen Flaschen mit «tomate frito» ganze Wände in Supermärkten – eine grauenhafte Industriepampe. Die Artenvielfalt bei den Tomaten schrumpfte leider mit der Industrialisierung stark. Doch dank der Großstadthipster und Kleingarten-Experimentierer eroberten die alten Sorten plötzlich die Wochenmärkte, und Artenvielfalt ist wieder auf dem Vormarsch. Und genau darum geht es in diesem Buch! Nur, was soll lange über Zeichnungen schwatzen ... 69 Seiten sind je einer Tomatensorte gewidmet. Der Namen der Sorte (von A – Z geordnet) steht unter der gemalten Frucht, die in den Größenverhältnissen zueinander stimmig sind. Unter den Grafiken vermerkt ein kurzer Kommentar etwas über Geschmack, Verwendung oder worauf man beim Anbau achten sollte. Kat Menschik zeigt uns die Vielfalt der Pflanze und inspiriert uns, neue Sorten zu entdecken. Tomate ist ja nicht unbedingt ein rundes oder eierförmiges, rotes Ding! Von quietschgelb, orange, wassermelonenrot bis rosé, tomatenrot, lila bis schwarz – von johannisbeergroß bis zur Größe eine Stachelbeere, einer Aprikose eines Apfels, rund oval, herzförmig, faltig – die Tomate hat nicht nur optisch viele Gesichter. Ein künstlerisches Werk zur Inspiration, etwas Neues zu decken, auszuprobieren – oder schlicht eine Hymne auf die Tomate. Ich hatte ehrlich gesagt etwas mehr erwartet. Nette Illustrationen mit kleinen Infos – aber wer etwas über Tomaten erfahren will, liegt hier eher falsch. Kat Menschik ist freie Illustratorin. Ihre Reihe Lieblingsbücher gilt als eine der schönsten Buchreihen der Welt. Zahlreiche von ihr ausgestattete Bücher wurden prämiert. Zuletzt erschienen dort u.a. Kat Menschiks und des Diplom-Biologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes Illustrirtes Thierleben (2020), Mitte (2021), Djamila (2022) und Tomaten (2022).

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