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wandanoir

Posted on 11.3.2022

Zur Sache, Schätzchen! Eine Auseinandersetzung mit dem Wokismus. Kurzmeinung: Muss man gelesen haben. Matthias Politycki findet es gar nicht gut, was zur Zeit mit der deutschen Sprache passiert und daher hat er sich nach Österreich abgesetzt. Ich verstehe ihn. Politycki spricht Klartext. Er fühlt sich inmitten der deutschen Sprachpolizei nicht mehr wohl. Nichts weniger als eine Kulturrevolution nennt er den Versuch einer lautstarken Minderheit, der deutschen Sprache ihre Schönheit zu entreißen, ihre Klarheit zu zerstören und die Strukturen eines Sachtextes mit gegendertem Text so aufzublähen, dass das Erfassen des intendierten gedanklichen Zusammenhangs erschwert, wenn nicht gar unmöglich wird. Selbstverständlich aus den lautersten Motiven heraus. (Das macht es überhaupt nicht besser, eher schlechter). Als ich unlängst den Titel „Die Erwählten, wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet“ von John McWhorter vorstellte, das ich in der deutschen Übersetzung gelesen hatte, war ich bass erstaunt zu lesen, dass sich die Übersetzerin angemaßt hätte (möglicherweise auf Anweisung des Verlags?), einen englischen nicht gegenderten Text, der sich ausdrücklich gegen das Gendern richtet, bei der Übersetzung ins Deutsche nachzubessern, also zu gendern und politisch korrekt (in ihrem Sinne) die Worte Schwarze Menschen und weiße Menschen unterschiedlich groß / bzw. klein zu schreiben, etc. etc. was im Originaltext jedoch nicht so gestanden hat. Was für eine Übergriffigkeit! Wenn das wahr wäre! Wer bestimmt eigentlich über einen Sprachenwandel, fragt sich Politycki. Die Mehrheit. In einer Demokratie. Und die zuständige Institution „Der Rat für deutsche Rechtschreibung“. „Wer … Demokrat ist, holt sich für sein Handeln, sofern es die Interessen der Allgemeinheit berührt, ein Mandat, am besten auf Basis einer gesellschaftlichen Debatte, die möglichst viele einbezieht.“ So aber läuft es nicht. Eine breite Debatte findet nicht statt und wo sich Andersdenkende positionieren, werden sie mit Hilfe der sozialen Medien ausgegrenzt und ausgebuht. Eine Streitkultur, ein Austausch über die Sache aufgrund von Argumenten, ist das nicht. Politicky schreibt: „Direkte Auseinandersetzungen mit Wokisten …verlaufen in der Regel wie Dialoge des absurden Theaters. Konfrontiert man sie mit Fakten, streiten sie diese rundheraus ab, präsentieren ihre alternativen Fakten. Im Namen der Diversität, stellen sie Meinungen, die im Vergleich zu ihren tatsächlich divers ausfallen, grundsätzlich in Frage und diskreditieren sie mit der drolligen Standardreplik, man habe das Problem offensichtlich nicht verstanden. Oder mit der Standarddiagnose, man sei „strukturell vorbelastet“ qua Hautfarbe, Geschlecht, Alter, ängstige sich offenbar vor Neuerungen; ärgere sich darüber, dass man Privilegien preisgeben oder Sprachroutinen aufgeben müsse; man sei „halt noch nicht so weit.“ Damit verlagern sie die Auseinandersetzung von der sachlichen auf die emotionale Ebene, wo man Gegenargumente als bloßen Reflex abtun kann. Oder sogar als Symptom einer psychischen Störung, als Transphobie, Islamophobie, Xenophobie, Misogynie.“ Die Auseinandersetzung um die deutsche Sprache ist längst ein ideologisch geprägter Machtkampf geworden. „Wer Sprache vorschreibt, will damit auch die entsprechende Weltanschauung durchsetzen und die Menschen in Unmündigkeit halten.“ (Wenn man z.B. gegen die Worte "Vater" und "Mutter" vorgeht und sie zwingend gegen das blutleere "Elternteile" ersetzen möchte, dann will man das gängige Familienbild zersetzen). Um unsere Streitkultur ist es schlecht bestellt, meint Politycki, denn man kann nicht mehr offen oder gar kontrovers miteinander reden und diskutieren und um das Richtige oder Angemessene ringen, wenn man in diesem Diskurs dafür angepöbelt oder gemaßregelt wird, wie man schreibt (und redet) und missliebige Begriffe auf dem Index stehen. „Belehrungsimpertinenz von links wie Pöbelei von rechts“ nennt es Politycki und meint das seien „zwei Seiten derselben Bankrotterklärung“ deutscher Streitkultur. Politycki beklagt gesellschaftlich sowohl die horizontale Zensur, die rückwirkende Zensur (Geschichtsbereinigung: Klassiker müssen „bereinigt“ werden) wie auch die vorauseilende Zensur (bevor mir einer an den Karren fährt, passe ich mich halt an) und empfiehlt Stellung zu beziehen: „Demgegenüber steht eine schweigende Mehrheit, die eigentlich nicht schweigen müsste. Welche Folgen Opportunismus haben kann, weiß man als Deutscher. Schweigen aus Bequemlichkeit sollte hierzulande keine Option mehr sein.“ Außerdem warnt er: „Eine kulturelle Revolution ist kein Spaß, und nichts Geringeres erleben wir derzeit: Eine vergleichsweise kleine Gruppe, die sich als Elite versteht, ist angetreten, uns im Zeichen der Wokeness das Sprechen, das Denken und den Umgang miteinander neu beizubringen und, um ihr moralisierendes Narrativ durchzusetzen, auch unsere Vergangenheit neu zu bewerten beziehungsweise gleich zu übermalen, vom Sockel zu stürzen oder umzuformulieren. Wokeness, das ist Ausweitung der Political Correctness auf alle Lebensbereiche.“ Der Kommentar: Auch die RAF wollte die Dekonstruktion der Gesellschaft. Wenn ich „Dekonstruktion der Sprache“ höre, ein erklärtes Ziel der Wokisten, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. 1984 redet von „Neusprech“. Auch diese Assoziation ist beunruhigend. Ich hoffe sehr, dass die Verlage dieses Landes den Mut haben werden, sich dem deutschen Neusprech zu verweigern oder, soweit sie nachgegeben haben, zurückzurudern. Auch alle anderen öffentlichen Medien haben eine große Verantwortung, deren sie sich keineswegs bewusst sind. Sie beteiligen sich fröhlich an der Demontage der deutschen Sprache. Ich gebe eine Leseempfehlung für Polityckis berechtigten Aufschrei. Kategorie: Sachbuch. Verlag: Hoffmann & Kampe, 2022

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