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Dagmar

Posted on 13.6.2021

Aus gutem Grund lese ich kaum Dystopien. „Wasteland“ hat mich jedoch mit seiner geschlechtergerechten Sprache neugierig gemacht. Was muss ich mir unter Gender-sensibler Phantastik vorstellen? Sternchen überall? Lässt sich so was lesen? Und wenn ja – wie gut? Eines vorneweg: Es liest sich bestens und kommt ohne Sternchen aus. Ich habe die Tatsache, dass hier möglichst geschlechtergerecht formuliert wird, fast überall überlesen. Aufgefallen ist es mir nur dann, wenn es um nonbinäre Personen ging. Über Pronomen wie „ser“ oder „xier“ stolpere ich derzeit noch – aber ich freue mich darauf, mich daran zu gewöhnen! Gerade solche Romane tragen zu einer Gewöhnung bei, denn hier stehen Gender-Themen nicht im Vordergrund, sondern sind Teil der Handlung. Etwas anderes fiel mir beim Lesen viel mehr auf: die Vielfalt der Lebensentwürfe und die Diversität der Figuren. Wenn die Welt untergeht – wie wollen wir dann leben? Das beginnt bei der Heldin Layla, die immer mal wieder türkische und arabische Begriffe und Redewendungen verwendet. Und es hört bei der faschistoid-religiösen Sekten mit ihrem rückwärts gewandten Menschenbild noch lange nicht auf. Dazwischen gibt es eine anarchistisch-matriarchalische Marktgemeinschaft, die jenseits der Heteronormativität in Großfamilien ohne Verwandschaftsbezug lebt. Und eine straff hierarchisch organisierte Gang, die einen Schaufelradbagger für den Tagebau zu ihrem Zuhause erklärt hat, von einer Queen geführt wird und sich durch und durch toxisch verhält. Doch am meisten fasziniert hat mich Zeeto. Er hat eine bipolare Störung. Hätte er sie nicht, hätte sich die Handlung niemals so entwickeln können. Was für eine Vielfalt an Handlungsmöglichkeiten sich auf einmal auftut, wenn Protagonist*innen die ganze Bandbreite menschlichen Lebens abbilden! Hopepunk – auch im Wasteland gibt es noch Sonnenaufgänge Aber trotz der Experimentierfreudigkeit des Autorenpaars habe ich mich nie wie in einem Sprachlabor gefühlt. „Wasteland“ ist ein sehr spannender Roman, dessen Plot allerdings nicht ganz ausbalanciert ist. Doch die Welt, in der Layla und Zeeto leben, ist klug konzipiert. Klimawandel, biologische Kampfstoffe und Umweltzerstörung haben Europa so sehr in die Apokalypse befördert, dass ich lange gebraucht habe, um Schauplätze wie die Eifel zu erkennen. Das Setting bescherte mir tatsächlich Alpträume und erinnerte mich daran, warum ich Dystopien vermeide. Doch vielleicht besteht ja Hoffnung. Hopepunk nennt sich diese Spielart dystopischer Geschichten. Am Ende satteln Layla und Zeeto das Motorrad und reiten in den Sonnenaufgang, auf der Suche nach einer besseren Zukunft.

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