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letterrausch

Posted on 10.3.2021

Was hat mich wohl zu diesem Buch hingezogen? Vielleicht das Cover, vielleicht aber auch eine wohlwollende Rezension in irgendeiner deutschen Tageszeitung. Wahrscheinlich war es eine Komibination aus beidem, die mich diesen Roman des Briten John Ironmonger auf meine Bibliotheks-Merkliste setzen ließ. Als ich dann ungefähr in der Mitte des von Johann von Bülow gelesenen Hörbuchs angekommen war, musste ich mir eingestehen, dass das ein Fehler gewesen war. Der Roman startet wie jeder beliebige England-Wohlfühlroman: Ein nackter Mann wird an Cornwalls Küste angespült und von den Bewohnern des Dorfes St. Piran (fiktiv, übrigens) gerettet. Er mietet sich ein Zimmer, bleibt und der Autor beschreibt nach und nach die sympathischen und natürlich auch ein bisschen schrägen Einwohner. Der nackte Angespülte stellt sich als Joe Haak, Londoner Shorttrader heraus, der seine Bank aufgrund einer Fehleinschätzung ein Vermögen gekostet hat. Als Leser könnte man jetzt also annehmen, es ginge um die Selbstfindungsgeschichte eines Londoner Börsianers, der im abgeschiedenen Cornwall den Sinn des Lebens (und vielleicht die Liebe) findet. Das steckt vielleicht auch in dem Buch. Aber nachdem Ironmonger eine Expositionsfigur (wirklich, dieser Charakter macht nichts anderes, als Zusammenhänge darzustellen) erklären lässt, dass das Ende unserer Zivilisation gekommen sein wird, wenn eine Grippe und eine Krise im Nahen Osten zusammenfallen, passiert genau das. Zack – ganz plötzlich Grippe und Ölknappheit. Und ab diesem Punkt macht der Roman eine scharfe Kurve und es geht darum, wie ein kleines Dorf eine Grippewelle übersteht. Nun hätte dieser Roman eventuell größeres Wohlwollen bei mir gefunden, wenn ich ihn letztes Jahr um diese Zeit gelesen hätte. Da hätte man ihn vielleicht als Prophetie wahrnehmen und sich Handlungsanweisungen für die Pandemie abschauen können. Leider habe ich den Roman aber nicht letztes Jahr gelesen und die Diskrepanz zwischen Ironmongers Grippe und unserer Covid-Pandemie ist mehr als deutlich. Dazu kommt, dass er sich als Versuchsobjekt ein kleines, relativ autarkes Dorf aussucht. Als die Versorgung zusammenbricht, buddelt man einfach den alten Brunnen auf, fängt Fisch und grillt zusammen. Klar, die Lage ist irgendwie so ein bisschen angespannt, aber rechte Weltuntergangsstimmung will nicht aufkommen. Zwangsläufig fragt man sich natürlich, was ein Städter in einem Wolkenkratzer in so einem Fall tun würde. Verhungern? Plündern? Das interessiert Ironmonger jedoch nicht; er beobachtet lieber, wie die Leute in St. Piran zusammenhalten, die Straße zu ihrem Ort verbarrikadieren und ansonsten im Angesicht des Todes total nett zueinander sind. Das war mir einfach auf Dauer zu süßlich und trotz der Unterfütterung mit Theorien zu Wirtschaft und globaler Politik letztendlich dann doch zu einfach gedacht. Insgeheim habe ich für den Roman das Genre des Wohlfühl-Weltuntergangs erfunden, denn ich weiß wirklich nicht, wie man das Buch sonst über- bzw. beschreiben könnte. Ironmonger will offenbar ganz viele schwere Themenkomplexe ansprechen: Wie fragil ist unser Warenverkehr? Was müsste passieren, um unsere Zivilisation komplett zum Erliegen bringen. Wie gehen wir damit um, wenn unsere Existenz und unser Überleben gefährdet sind? All das endet dann aber doch nur in einer süßlichen Schmonzette, in der nur ein uninteressanter Nebencharakter stirbt und ansonsten alle die Chance bekommen, glücklich bis an ihr Lebensende weiterzumachen. Und dem Protagonisten hinterherzuschmachten. Tatsächlich war dieser Joe nämlich total nichtssagend. Ich habe ihn nicht wirklich kennengelernt und er war mir so ziemlich egal. Den weiblichen Figuren im Roman ging das nicht so. Alles, was einen Rock anhatte, fühlte sich magisch zu ihm hingezogen. Gähn. Ist das die Wunscherfüllung des Autors oder wie soll die geneigte Leserin das verstehen? „Der Wal und das Ende der Welt“ hat mich also ratlos zurückgelassen. Ein Roman, der nicht Fisch und nicht Fleisch ist (welch Wortwitz) und der es einfach nicht geschafft hat, mich auf irgendeine Art zu berühren.

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