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Buchdoktor

Posted on 18.2.2021

Als Martine Allens Eltern bei einem Brand ums Leben kommen, erfährt sie zu ihrer Verblüffung, dass sie eine Großmutter in Südafrika hat, von der ihre Mutter ihr kein Wort verraten hat. Obwohl Lehrer und Nachbarn sich rührend um die Elfjährige kümmern, sieht sie sich abrupt in die Nähe von Kapstadt verpflanzt, wo Großmutter Gwyn das Wildreservat Sawubona betreibt. Gwyn Thomas war von Martines Mutter lange zuvor als Vormund eingesetzt worden. Gwyn wirkt auf das Mädchen streng und schroff, kein Wunder, dass Martine sich von ihr abgelehnt fühlt. Bei Gwyn gibt es kein Shoppen, kein Herumrennen im Haus und selbstverständlich soll Martine bei der Hausarbeit helfen, stellt die Großmutter klar. Eine Atempause ist nicht vorgesehen, der Unterricht an einer offenbar privaten Junior High School beginnt praktisch sofort. Am Flughafen wurde Martine von Tendai abgeholt, einem großen, freundlichen Zulu der bei Gwyn als Ranger arbeitet. Tendai macht die fremde junge Engländerin mit seiner Tante Grace bekannt und stellt gleich klar, dass man im südlichen Afrika nicht alles wörtlich nehmen sollte, weil allerlei Legenden erzählt würden. Gwyn wiederum betont, dass sie keinen Kontakt zwischen Grace und ihrer Enkelin dulden wird. Warum Martine nichts über ihre Herkunft weiß, darüber wird im Haus Thomas ein Mantel des Schweigens gebreitet. Ihre Einführung ins Leben im Busch und in ihre Familiengeschichte erhält Martine u. a. von Tendai, der aus den nahegelegenen Drakensbergen stammt. In ihrer neuen Schule entdeckt Martine, dass eine tonangebende Clique den Mitschüler Ben mobbt und dass ihre Britishness ebenfalls Ziel des Spotts sein wird. Dass weiße Südafrikaner innerhalb des Vielvölkerstaats Südafrika nur einen Teil ausmachen und britischstämmige Weiße davon wiederum nur einen Bruchteil, wird Martine bald lernen müssen. Tante Graces Andeutung, dass Martine über besondere Fähigkeiten verfügt, die mit dem Auftreten einer weißen Giraffe zusammenhängen, erweisen sich schon bald als Tatsache. Martine entdeckt ihre tiefe Verbundenheit zum jungen Giraffenbullen Jemmy, den sie schließlich gegen Wilderer verteidigen muss, die das Tier ins Ausland verschachern wollen. In einem Kinderbuch müssen Zusammenhänge gestrafft werden so dass die Handlung sich auf die Beziehung Martine/Jemmy, das Familiengeheimnis, die Schulsituation und die Bedrohung des Tiers durch Wilderer konzentriert. Vieles, das vor Ort offensichtlich wäre, entfällt, so dass die Konzentration auf so wenige Personen im Haus Thomas auf mich für das südliche Afrika teils unrealistisch wirkt. Martines afrikanisches Abenteuer wird von einer allwissenden Erzählerstimme vermittelt, der Wissenstransfer, woher die von ihrer Herkunft völlig überrumpelte Martine ihr plötzliches Wissen über Afrika hat, war für mich nicht immer nachvollziehbar. Die Übersetzung ins Deutsche hat mich anfangs verwirrt, als der tiefschwarze, große, kräftige Tendai sich als Buschmann (= vom Volk der San) bezeichnete, ein Volk, dessen Vertreter ich als klein, schlank und zurückhaltend erlebt habe. Tendai juxte zu Anfang der Geschichte darüber, dass er sich natürlich auf dem Weg zum Flughafen verfahren hätte. Im Englischen wird er sich „man of the bush“ genannt haben, nicht bushman. „Die weiße Giraffe“ ist auf Englisch 2006 erschienen, die erste deutsche Auflage 2008 bei Freies Geistesleben, 2010 die Taschenbuch-Ausgabe bei Gulliver/Beltz und Gelberg. Damals waren Ansprüche an Sensibilität gegenüber anderen Kulturen vermutlich noch geringer als heute. Dem Text mit einer Zielgruppe ab 12 würde ein kritischer Blick auf Übersetzung, die Beschreibung der farbigen Volksgruppen und den lokalen Wortschatz guttun. Ich würde mich im südlichen Afrika z. B. hüten, Jeep und Landrover synonym zu verwenden … Als Einstiegsband einer Serie, die in mehreren Ländern des südlichen Afrika spielt, spricht mich die Thematik an, auch wenn ich die Darstellung für die Zielgruppe etwas zu kindlich finde.

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