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Buchdoktor

Posted on 8.2.2021

Für den schwedischen Eisenbahnbau sollten 1911 drei Tunnel frei gesprengt werden. Als eine der Sprengladungen nicht explodiert, ist derjenige aus der Sprengmeistergruppe für die Entfernung verantwortlich, der sie angebracht hat. Die Ladung explodiert direkt vor Oskar Johansson, verletzt ihn schwer, unvorstellbar schwer. Die Zeitung schreibt, er wäre bei dem Unglück getötet worden; Oskar kämpft monatelang im Krankenhaus um sein Leben und gegen die Schmerzen. Seine schwangere Verlobte verlässt ihn, nachdem sie ihn angesehen hat. In der Gegenwart verbringt Oskar seine Sommer auf einer winzigen, namenlosen Schäreninsel; legt Netze aus für Barsche und Flundern. An manchen Tagen kommt Oskars ebenso wortkarger Bruder zu Besuch auf die Insel oder er tratscht ein wenig mit dem Briefträger. Der Briefträger, der mit dem Boot kommt und für viele alte Schärenbewohner der einzige Kontakt ist, wird sehr viel später wieder in Mankells Romanen auftauchen. Auf der Insel besucht den alten Mann ein jüngerer Icherzähler, der geduldig wartet, was Oskar aus seinem Leben berichtet. Die Explosion damals verdichtet Oskar auf drei Sätze. Doch ein Satz von Oskar kann eine ganze Geschichte erzählen. Nicht auf jede Frage will er antworten, an manches erinnert er sich nicht genau; der Zuhörer hat sich auf Oskars eigenes Tempo einzustellen. Oskar war als Kind durchschnittlich, wollte nie etwas anderes sein. Obwohl Oskar eine wichtige, angesehene Arbeit leistete, hat er sich als Arbeiter stets vom Bürgertum verachtet gefühlt. Eine Schlüsselszene macht die Herablassung der Herren gegenüber ihren Arbeitern und Dienstmädchen deutlich. Die Arbeiterfrage hatte Oskar schon als Jugendlichen interessiert und er wird sich sein Leben lang fragen, warum Veränderungen so schwer in Gang zu setzen sind. Aber wenn ein Mann nach dem Tod seiner Frau deren Blumen regelmäßig weiter gießt, stellt sich die Frage, ob er wirklich wie alle anderen ist – und nicht doch etwas Besonderes. Als „Der Sprengmeister“ 1973 erscheint, ist sein Autor erst 25 Jahre alt und sich sehr bewusst, dass dieser Roman seine Visitenkarte für den Literaturmarkt sein wird. Dass Mankell in diesem Alter bereits einen Rückblick auf das ganze Leben einer Romanfigur verfasst und wie er es tut – das finde ich unbedingt lesenswert. Leser von Robert Seethaler sollten hier zugreifen.

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