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elena_liest

Posted on 28.12.2020

Die 15-jährige Paola wächst in einer Villa in einem italienischen Städtchen auf. Ihre Eltern sind sehr wohlhabend und ihr verstorbener Großvater hat sich ein profitables Bauunternehmen aufgebaut. Die Unstände scheinen perfekt für eine zufriedene und wohlbehütete Kindheit und Jugend - doch Paola fühlt sich nicht wohl. Sie scheint nirgendwo dazu zu gehören, hasst ihren Körper, der so gar nicht aussehen möchte wie der ihrer Mutter und Großmutter und gut in der Schule ist sie auch nicht. Allein ihr Bruder Richie scheint sie zu verstehen und so entfliehen die beiden so oft sie können der elterlichen Villa und erkunden die Gegend. Dabei stoßen die Geschwister sowohl auf Freundschaft, als auch auf ein schlimmes Familiengeheimnis... Ich bin immer wieder überrascht, wie vielfältig die Bücher aus dem Diogenes-Verlag sind. Man erwartet hinter diesem wirklich gelungenen Cover und dem Buchtitel vieles, ein Jugendbuch vermutet man hier aber eher nicht. Genau das bekommen die Leser*innen aber bei "Dieses ganze Leben". Raffaella Romagnolo entführt die Lesenden nach Italien, in eine kaputte Familie, die mehr Schein als Sein ist und in den Kopf einer Jugendlichen, die schwer mit sich selbst zu kämpfen hat. Von der ersten Liebe über die Aufdeckung eines Geheimnisses, das die ganze Familie entzweihen könnte, ist alles dabei. Paolettas - oder kurz Paolas - größtes Problem ist ihr Gewicht. Mir wurden beim Lesen andauernd Zahlen um die Ohren gehauen, seien es nun die Kilos oder der BMI der Protagonistin. Auch wenn die Autorin damit wohl eher Kritik an dieser Fixierung auf das Körpergewicht üben wollte, war mir das doch etwas zu viel des Guten. Gerade Personen, deren BMI über dem von Paola liegt (da zähle ich mich dazu), möchten vielleicht eher nicht andauernde Diskussionen und Gedankengänge darüber lesen. Das führt dann mehr dazu, dass man sich selbst unwillkommene Gedanken über so was unnötiges macht - muss ich persönlich nicht haben. Sehr schön zu lesen fand ich wiederum Paolas Beziehung zu ihrem Bruder Richie. Richie sitzt im Rollstuhl und ist seit seiner Kindheit behindert. Der Umgang der beiden Geschwister miteinander und auch das Umgang der Autorin mit dem Thema Behinderung hat mir sehr, sehr gut gefallen. Ich habe es sehr genossen, davon zu lesen, wie die beiden spazieren gehen oder sich gegenseitig kabbeln. Allgemein hat die Autorin ein Händchen dafür, außergewöhnliche Persönlichkeiten miteinander interagieren zu lassen. Antonio, Paolas Großmutter, der Gärtner - alle haben ihre Macken und haben trotzdem fantastisch zueinander gepasst. Zwiegespalten stehe ich Paolas Art gegenüber. Die Autorin hat der Protagonistin unglaublich viele Gedanken in den Kopf geschrieben, seitenweise werden Kleinigkeiten auseinander gedacht und es werden Details ausgearbeitet, die für die Geschichte selbst absolut unwichtig sind. Das war teilweise charmant, teilweise aber auch extrem anstrengend. Der Schreibstil ist eigentlich sehr flüssig und angenehm, durch Paolas Gedanken wirkte das Buch aber trotzdem viel zu oft überladen. Insgesamt ist "Dieses ganze Leben" eine schöne Coming-Of-Age-Geschichte, die mich an vielen Stellen verzaubern konnte, mich aber oft auch sehr runtergezogen und etwas genervt hat. Eine richtige Empfehlung möchte ich nicht aussprechen, auch wenn der Jugendroman wohl gerade für Menschen in Paolas Alter sehr gut zu lesen ist.

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