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Buchdoktor

Posted on 2.12.2020

Sue Blacks Rückblick auf ihre Karriere als Anatomin und forensische Anthropologin ist stark von ihrer Herkunft aus einer Familie geprägt, in der niemand ein Blatt vor den Mund nimmt. Die Art, in der ihre eigene Familie mit dem Tod umgeht, hat prägenden Einfluss auf sie. Als 12-Jährige übernimmt die Autorin einen Nebenjob in der örtlichen Metzgerei, den sie klaglos und nüchtern als Gelegenheit betrachtet, von ihrem Chef zu lernen. Blacks weiterer Lebensweg wird davon geprägt sein, dass sie die Ärmel hochkrempelt und anpackt, was getan werden muss. Die Autorin berichtet zunächst von der Abgrenzung zwischen Pathologie (Feststellung der Todesursache), Paläopathologie (Untersuchung von Leichen, die nach mehr als 70 Jahren gefunden werden) und forensischer Anthropologie (Identifizierung des Toten und Rekonstruktion seines Lebenslaufs). Forensik als Ganzes führe die Identität(en) und den Körper eines Verstorbenen wieder zusammen. Voraussetzung für die solide Ausbildung von Pathologen seien Spender, die ihren Körper der Wissenschaft zur Verfügung stellen. Blacks respektvolle Beschreibung dieser Spenderkultur in Großbritannien nimmt einen beachtlichen Raum im Buch ein, schließlich muss jeder britische Medizinstudent mit „seiner“ Leiche ein ganzes Jahr verbringen und in dieser Zeit das anatomische Wissen aus drei dicken Anatomie-Lehrbüchern erwerben. Black schildert aus der Sicht der Pathologin spektakuläre Fälle aus Großbritannien, die die Öffentlichkeit bewegten oder die den Ehrgeiz der Pathologen-Zunft besonders anstachelten. Anders als in Fernsehserien, ginge es in ihrer Profession nicht darum, Recht zu behalten, sondern den Angehörigen der Toten endlich Klarheit über den Tod und die Todesursache zu verschaffen. Wie wichtig die Gewissheit für die Hinterbliebenen ist, haben diese ihr immer wieder gespiegelt. Sue Black beteiligte sich auf internationaler Ebene u. a. 1999 an der Exhuminierung von Massengräbern im Kosovo und 2004 in Thailand an der Identifizierung der Opfer des Tsunamis. Unter Blacks Einfluss wurde Großbritannien innerhalb kurzer Zeit weltweit führend darin, bei globalen Katastrophen Opfer aus vielen verschiedenen Ländern zu identifizieren. Dass Großbritanniens prominenteste Anatomin in der wissenschaftlichen Lehre tätig wird, ist deshalb nur folgerichtig. Wie Blacks Zusammenarbeit mit Val McDermid entstand, hat mich als Krimi-Leserin natürlich besonders amüsiert. Mit einem sympathischen Maß an Selbstkritik und dem Bewusstsein für die eigene Fehlbarkeit zeigt Sue Black eindrucksvoll, warum sie für ihre Tätigkeit brennt. Unvergesslich bleiben mir dabei Szenen und Persönlichkeiten, die sie als Jugendliche prägten.

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