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Buchdoktor

Posted on 1.12.2020

„Pembo“ ist berüchtigt für ihre Wutanfälle. Wenn ihr etwas in die Quere kommt, explodiert sie wie ein Vulkan. Die 11-Jährige hätte mit diesem Temperament ein anstrengendes Kind sein können – wenn ihre Großmutter Melek nicht entdeckt hätte, dass Pembegül die Farbe Rosa nicht ausstehen kann. Zogen ihr die Erwachsenen einen rosa Strampelanzug an – schrie Pembo. Das Baby von Mustafa und seiner deutschen Frau Mona mochte einfach kein Rosa und keinen Mädchenkram. Bis heute mag Pembo Fußball, Astronomie und kurze Haare. Wer mit einer allerbesten Freundin wie Dilek (Dilo) gemeinsam im Ringerverein trainiert, erträgt sogar den völlig unpassenden Vornamen Pembegül (rosa/rote Rose). Auch Dileks Familie ist mit einer anstrengenden Tochter geschlagen, die sie mit „Anti-Mädchen-Mist“ nervt. Neben dem realen Leben in einem kleinen türkischen Dorf und einer großen Familie hat Pembe ein fantastisches Leben, in das sie sich beim Einschlafen träumt und in dem es auch eine allerbeste Freundin gibt. Darin lässt der Zauberer Magic Mustafa seine Tochter bei seinen Auftritten verschwinden. Die reale Pembe ist aktuell schwer beleidigt; denn ihr Vater hat der Familie lange verheimlicht, dass er in Hamburg von seinem Bruder einen Friseursalon geerbt hat. Deutschland ist in Pembos Vorstellung das schrecklichste Land der Welt – und ohne Dilo und die zahlreichen „Onkel“, die in Wirklichkeit ältere Cousins sind, kann es Pembo in Hamburg-Altona sowieso nicht gefallen. Mutter Mona wird Mustafa jedenfalls nicht widersprechen, wenn sein Plan ihn glücklich macht. Sie scheint geradezu aufreizend gut gelaunt zu sein und kocht und bäckt gegen den Frust von Mann und Tochter an. Der erste Tag in der neuen Schule bringt Pembo die Begegnung mit der zickigen Scarlet und mit Paul, den sie wegen seiner koreanischen Mutter für einen „Halbling“ hält wie sie. Hamburg hatte sich bei der Ankunft der Mutlus von seiner besten regnerischen Seite gezeigt – und alle drei müssen sich bald kleinlaut eingestehen, dass sie sich für Onkel Hasans Leben bisher zu wenig interessiert haben. Zu Pembos Kinderproblemen mit Umzug, Schulwechsel und Spott über ihre burschikose Art kommt deshalb ein ernstes Problem der Eltern. Die Lösung des Problems ist kein bisschen fantastisch. – Pembo bittet mit Unterstützung von Paul und Lehrer Blumenstängel (O-Ton Lehrer: „ich habe das schon im Griff“) die Klasse um Hilfe, die Ärmel krempeln jedoch Erwachsene hoch. Für eine Zielgruppe ab 9 bieten Autorin und Illustratorin einen üppig in Meeresblau illustrierten Kinderroman, dessen Heldin mit zwei Kulturen und zwei Sprachen lebt. Vokabelzettel mit türkischen Ausdrücken lockern den Text auf und kommen mit eigenem Sprachwitz. Auf meiner Hitliste ganz oben (neben verschiedensten Schimpfwörtern): güm = *Türen knall* und „mizmiz“ für Mimimi-Gejammer. Liebevoll gezeichnete Figuren und Nebenfiguren und deren Begeisterung für Kochen und Essen vermitteln beim Lesen eine heimelige Atmosphäre. Mein heimlicher Held ist Herr Kim, der den Namen seiner Frau angenommen hat, weil er ihn schöner findet als seinen. Fazit Fantastische und reale Ebene halten sich in der Geschichte ausgeglichen die Waage, ebenso die Kinder- und Erwachsenenprobleme. Dass Pembo in der beginnenden Pubertät massiv mit einer starren Rollenzuschreibung gemobbt wird, steht zwar nicht im Vordergrund, wird m. A. gerade für dieses Alter sehr realistisch beschrieben. Abschiede, Veränderungen, sozialer Druck durch Rollenklischees und die Einsicht, dass Zuhause dort ist, „wo man mit seinen Liebsten zusammen lebt“ – diese Themen sprechen auch ältere Leser und Erwachsene an.

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